Ludwig van Beethoven

Bei der Eröffnungsmatinee des Beethovenfestes Bonn 2014 hielt die neue Intendantein des Festivals, Nike Wagner, einen bemerkenswerten Vortrag, « Einstimmen auf B », aus dem wir nachfolgende einige besonders wichtige Absätze veröffentlichen wollen.

« Beethoven war Ausgangspunkt für die Instrumentalmusik weltweit, an Beethoven mühten sich die Komponisten nach ihm ab – Schubert fand den Ausweg ins Lyrische, Franz Liszt transkribierte die neun Sinfonien ehrfurchtsvoll für Klavier und erfand dann die ‘Sinfonische Dichtung’, Berlioz schrieb Essays über alle neun Beethoven-Sinfonien,
bis er die eigne Klangfarben-Sprache fand, Schumann vermählte die Klaviermusik mit der Dichtung und Wagner machte kurzen Prozess – er erklärte die neunte Sinfonie zu einer Epochengrenze, wonach nur noch sein Musikdrama kommen durfte. Brahms erste Sinfonie wurde von Hans von Bülow als ‘Beethovens zehnte Symphonie’ bezeichnet und unter der Verpflichtung – dem Weltgeist gegenüber! – neun Sinfonien schreiben zu müssen, standen alle, nicht zuletzt Bruckner und Mahler. Und nicht zu vergessen: Arnold Schönberg unterrichtete Komposition an Hand von Beethovens Werken – deren immanentes Variationsprinzip, wie Mauricio Kagel feststellte, mit dem Seriellen verwandt war.

Ebenfalls im 19. Jahrhundert wurde das Bild Beethovens als ‘Titan’ geschaffen und als solcher wurde er – im Faltenwurf – auf die Sockel gesetzt, ebenfalls im 19. Jahrhundert wurde auch sein Lebenswerk ‘kartographiert’ d.h. in drei Phasen eingeteilt; es gab den frühen, den mittleren und den späten Beethoven. Festgemeißelt. Und dieses Schema färbte ab: jeder bedeutendere Komponist wurde nun nach diesem Muster behandelt, jeder wies plötzlich drei Schaffens-Phasen auf: Beethoven als werkbiographischer Imperator… er beherrschte wirklich das
musikalische 19. Jahrhundert.

Erst nach zwei den Weltkriegen im 20. Jahrhundert wurde das anders – einerseits wurde Beethoven ‘Historie’ und unbefragter Bestandteil des Konzertrepertoires, wo der Revolutionär und Bürgerrechtler ‘ruhiggestellt’ wurde – denken Sie an die weihevollen Aufführungen Furtwänglers – oder er wurde eingemottet – denken Sie an das hypnotisierte Antlitz von Elly Ney beim Spielen der Beethovensonaten…

Andrerseits bröckelte vielfach das Verständnis für Beethovens Emphase und andere Komponisten wurden zur Herausforderung: Strawinsky, Schönberg, Varese, Boulez.

Der Gerechtigkeit halber aber muss auch sagen: mit dem Aufstieg der ‘modernen’ Musik rückte auch Beethovens Spätwerk mehr und mehr in den Vordergrund. Sein Avantgardismus etwa ab der Hammerklavier-Sonate – in den Streichquartetten, den letzten Sonaten, den Diabelli-Variationen – verblüffte auch die jungen Radikalen immer wieder.

Und in unsere Zeit reichend, gab es neue Arbeit an Beethoven -Veränderungen im klanglichen Erscheinungsbild. Der Unterschied in den Interpretationen von Furtwängler zu Karajan war ohrenfällig. Der frühe Karajan verjüngte den guten alten B. durch energische Dynamisierungen und allmählich wurden Beethovens Metronom-Angaben auch von den Traditionsorchestern ernst genommen. Im Zug dieser Entwicklung, in den letzten Jahrzehnten dann, bemächtigte sich endlich die aus Barockmusik-Interpretationen stammende ‘historische informierte Aufführungspraxis’ auch der Musik Beethovens: wenn ein Sir Roger Norrington diese dirigierte oder ein Jos van Immerseel… Auch wenn wir den feinen Klang der Wiener Klassik aufgrund anderer Räume, Temperaturen und gewachsener Publikumsfrequenzen nie werden hören können, so bietet diese Aufführungspraxis doch überraschende und aufregende Annäherungen an ‘authentische’ Klangbilder – denken Sie nur an die drastischen Unterschiede zwischen Hammerklavier und Steinway – hier große Differenzen zwischen den Registern, dort sind sie stufenlos und durchwegs geglättet, Samt und Seide.

(…) Der ‘große Sohn Bonns’ ist immer neu und anders verstanden worden und das soll uns – auch im Hinblick aufs Jubiläum 2020 – eine Perspektive geben. Den ‘Titanen’ Beethoven gibt es längst nicht mehr – der Revolutionär und Menschenrechtler aber hat es mehr denn je verdient, in den Vordergrund gerückt zu werden. »

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