Frau Arghamanyan, Ihr aktuelles Album Femmes de Légende ist Ihr erstes Album nach einer längeren Veröffentlichungspause. Zwar hatten Sie zwischenzeitlich rein digitale Alben im Streaming herausgebracht, aber seit Ihrem Album mit dem Klavierkonzert in Es-Dur von Franz Danzi im Jahr 2018 hat es auf einem namhaften Label kein Album mehr von Ihnen gegeben. Wie kam es zu dieser Pause?
Das ist ganz klar, COVID hat die klassische Musikszene total erschüttert, und natürlich war auch ich davon betroffen. Stellen Sie sich vor, dass auf einen Schlag plötzlich über mehr als 18 Monate alle Konzerte abgesagt waren… Die Kultur hat enorm gelitten in dieser Zeit. Andererseits habe ich die Zeit genutzt, um neues Repertoire einzustudieren und zwei Alben für die Streamingplattformen aufgenommen: Brahms /Tchaikovsky (The 127th Day, Ulysses Arts) und mein „KOMITAS Project“ (DAG Classical).
Wie kam es dann zu der Idee, ein Album mit Klaviermusik ausschließlich von Komponistinnen aufzunehmen? War das Ihre Idee oder entstand sie in Zusammenarbeit mit Ihrem Kooperationspartner, dem SWR?
Die Idee für das Programm entstand im Austausch mit Frau Sabine Fallenstein vom SWR. Es war eine fantastische Erfahrung. Mein anfängliches Konzept war enger, und zwar hatte ich zunächst die Vorstellung, nur drei bekannte Komponistinnen vorzustellen, und zwar jede mit einem breiteren Repertoire: Mel Bonis, Fanny Hensel und Clara Schumann. Da haben wir dann zu recherchieren begonnen. Und je mehr wir eingetaucht sind, desto spannender wurde es: Mélanie Hélène Bonis, von 1858 bis 1937 gelebt, ändert ihren Namen zu Mel, um es leichter zu haben als Frau ihre Kompositionen veröffentlichen zu können; Fanny Hensel, die ältere Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy, hat zu Lebzeiten nur wenige Kompositionen unter ihrem eigenen Namen veröffentlicht, und zwar gegen Ende ihres Lebens und auf Drängen ihres Ehemanns; und natürlich Clara Schumann, die sowohl durch das Verhältnis zu ihrem Vater Friedrich Wieck als auch zu ihrem Gatten Robert Schumann inspiriert worden ist.
Mel Bonis, die übrigens am gleichen Tag wie ich Geburtstag hat, hat ganz viel spannende Klavierliteratur geschrieben. Zu ihren Lebzeiten war sie aber gar nicht berühmt. Jean-Pierre Ferey, ein französischer Pianist und Musikwissenschaftler, hat Mel Bonis’ Werke wiederentdeckt und katalogisiert. Einige ihrer Kompositionen, die je einer bedeutenden Frauenfigur aus der Mythologie gewidmet sind, hat er unter dem posthumen Titel „Femmes de Legende“ zusammengeführt. Omphale ist eine meiner Lieblingskompositionen aus diesem Zyklus. Und dann hat Frau Fallenstein vorgeschlagen, weiter auszuholen und nicht nur drei, sondern viele Frauen, die Komponistinnen waren, vorzustellen, und auch unbekanntere Namen mit einzuschließen. Sozusagen eine Variation zu dem Thema Femmes de Légende: nämlich eine Anthologie von Werken herausragender Komponistinnen. Das Programm hat sich dann über mehrere Gesprächsrunden ganz organisch entwickelt.
Das Spektrum ist erstaunlich vielfältig und reicht von der charmanten Klavierminiatur bis hin zum fast 14-minütigen Sonatensatz. Wie kam es zu dieser Repertoireauswahl?
Nachdem ich ja schon Mel Bonis, Fanny Hensel und Clara Schumann anvisiert hatte, habe ich mich auch mit der Klaviermusik von Pauline Viardot Garcia beschäftigt. Viardot, eine sehr interessante Frau, nicht nur Sängerin, sondern auch Pianistin und enge Freundin von Clara Schumann und Gastgeberin in einem Baden-Badener Salon, in dem sich alle großen Künstler und Persönlichkeiten der damaligen Zeit zusammengefunden haben.
Weitere Anregungen bekamen wir durch eine Anthologie, die im Schott Verlag erschienen ist: Klaviermusik von Komponistinnen. Wir haben viel recherchiert und gebastelt, damit das Programm sowohl künstlerisch als auch sozialgeschichtlich spannend werden würde.
Gab es dabei ein Stück, das auch für Sie selbst eine Entdeckung war? Wo Sie vielleicht gedacht haben: « Das ist so gut, man kann es gar nicht glauben, dass das so lange nicht wahrgenommen wurde? »
Das Gefühl habe ich bei vielen der Stücke gehabt! Da sind so viele Juwelen dabei, und viele davon völlig unbekannt, nicht zu glauben!
Zum Beispiel Else Schmitz-Gohr, ihre Elegie für die linke Hand: auch hier der Einfluss von Max Reger. Es erinnert an Scriabins Präludium für die linke Hand Op. 9, Nr. 1, eine stille und dennoch sehr dramatische Komposition.
Oder Johanna Senfter’s Vogelweise: da wird schnell klar, dass auch sie bei Max Reger studiert hat, spätromantische Tradition – das Stück beginnt mit tiefen und schweren Bässen. Dann kommen plötzlich hohe, perlende Tremoli dazu, wie Vogelgezwitscher eben. Und dann die Auflösung in eine Stimmung von Trost und Frieden, einfach toll!
Besonders fasziniert hat mich aber Louise Farrenc’s Etude in d-Moll, komponiert in einem kontrapunktischen Stil wie bei Bach. Sehr transparente Stimmlinien: jedes Thema gewinnt eine eigene Bedeutung und einen eigenen Charakter; und natürlich Lili Boulanger’s Thèmes et Variations. 1918 komponiert, kurz vor dem vorzeitigen Tod der Komponistin, die nur 24 Jahre alt wurde. Fünf Jahre zuvor gab es bereits eine Sensation, denn mit nur 19 Jahren gewann Lili als erste und jüngste Frau den begehrten Kompositionspreis Prix de Rome. Heute gilt Lili Boulanger endlich als das, was sie war: eine der Hauptfiguren des französischen Impressionismus, deren Musik einem unter die Haut geht!

Nareh Arghamanyan
(c) Anna Patricia
Die Repertoireauswahl geht ja auch quer durch die Jahrhunderte – von der Frühklassik bis in die Moderne. Welche Herausforderungen für die Interpretation ergeben sich daraus?
Die Spannbreite des Programms hat mich mit ganz verschiedenen Herausforderungen konfrontiert: Brillanz bei den barocken oder frühklassischen Werken von Anna Bon und Marianna Martines, dann die deutsche und französische romantische und nachromantische Literatur.
Haben Sie die Beschäftigung mit der Musik dieser komponierenden Frauen zum Anlass genommen, um sich einer oder mehrerer dieser Komponistinnen weiter zu widmen und noch mehr Repertoire von ihnen zu studieren, um es vielleicht bei Konzerten zu spielen oder auf einem weiteren Album aufzunehmen?
Absolut! Mein nächstes CD Projekt sind Sonaten in g-Moll von Clara Schumann und Fanny Hensel, aber auch von Robert Schumann und Felix Mendelssohn-Bartholdy. Es ist so spannend nachzuvollziehen, wie die sich alle untereinander gekannt und beeinflusst haben. Die Sonate von Fanny Hensel ist eine Sensation. Außerdem plane ich ein Album mit Musik von zeitgenössischen Komponistinnen.
Ihr neues Album haben Sie beim Label Hänssler Classic herausgebracht. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?
Das habe ich meinem Agenten Tilmann Knierim-Dietz zu verdanken: er kennt sich so gut aus in der Klavierliteratur. Er hat die Verbindung zu Hänssler CLASSIC hergestellt.
Wird es jetzt wieder so lange dauern bis zum nächsten Album oder gibt es schon konkrete Pläne für die nächste CD? Können Sie uns vielleicht schon ein wenig über Ihre Pläne in dieser Richtung verraten?
Fünf neue Projekte sind in Planung! Davon ist eines schon fertig aufgenommen: ein Programm über die Magie des Frühlings, präsentiert durch eine Zusammenstellung selten gespielter musikalischer Kleinodien. Vergessene Komponisten für das Publikum von heute zu neuem Leben zu erwecken, darin sehe ich eine große Aufgabe. Selten gespielte Komponisten wie Josef Suk, der berühmte Geiger, Moritz Moszkowski und Leopold Godowsky werden dem Publikum vorgestellt. Aber auch bekannte Stücke wie Felix Mendelssohn und Edvard Grieg, und das alles unter dem gemeinsamen Thema ‘Frühling’.
Sie stellen das aktuelle Album auch live in Konzerten vor: Wo kann man Sie denn live überall erleben in den kommenden Wochen und Monaten?
Am 26. September 2025 in Wien im Palais Eschenbach, am 14. Oktober in München, am 17. Oktober in Udine/Italien, am 27. November 2025 im Konzerthaus in Klagenfurt. Und im Radio Klassik Stephansdom haben wir derzeit eine Spezialreihe laufen, in der jeden Tag eine der 14 Komponistinnen in einer fünf-minütigen Vignette vorgestellt werden. Es gibt also reichlich Gelegenheiten, das aktuelle Album auch live zu hören.