Im Rahmen der diesjährigen Residenz der Berliner Philharmoniker bei den Osterfestspielen Baden-Baden, steht Dieter Dorns Neuinszenierung von Richard Wagner ‘Die Kulissenschieber von Baden-Baden’, pardon ‘Parsifal“ mit drei Aufführungen im Mittelpunkt. Alain Steffen besuchte die Premiere.
Wenn auch ein pfiffiger Dramaturg oder Journalist im Festspielmagazin meint ‘Dorn bewegt Wagner’, so bleibt diese Inszenierung hinter allen Erwartungen zurück. Es ist quasi ein Bühnenweihfestspiel im Baumarkt, wo die erschreckend phantasielosen Holzkulissen im 1. und 3. Akt permanent und ohne Sinn und Zweck emsig hin- und hergeschoben werden. Eine Referenz an Jesus von Nazareth, der ja auch über bauhandwerkliche Kenntnisse verfügte?
Auf diesen Holzpaneelen sind schlichte Landschaftsbilder pyrographisch verarbeitet, vom Zuschauer aber kaum wahrnehmbar und ohne Bezug zur Handlung. Abgesehen vom gelungen Schlussbild haben Dorn und seine Crew auch im 2. Akt szenisch nichts Interessantes vorzuweisen. Das Schlimmste aber ist die total hilflose und über weite Strecken langweilige Personenregie. Rampentheater, Overacting, Klischees, Dorn leistet sich auch hier Fehltritt um Fehltritt. Die Sänger bewegen sich und interagieren ohne Überzeugungskraft, was insbesondere bei Parsifal-Darsteller Stephen Gould zu einem Akt der Peinlichkeit wird. Der robust gebaute Sänger wirkt in jedem Moment ungelenkig und sehr unnatürlich. Insgesamt wird man als Zuschauer den Eindruck nicht los, also wurde hier an allen Ecken und Enden gespart und nur wenig mit den Sängern gearbeitet. Für die stolzen Preise, die man in Baden-Baden zahlen muss – der billigste Platz kostet 59, der teuerste 360 € – darf man sich eine etwas ernsthaftere Inszenierungsarbeit erwarten, als diese lieblose Billigproduktion von Dieter Dorn.
Schwamm drüber. Die musikalische Seite war dafür umso besser. Man erlebte die Berliner Philharmoniker in Höchstform, selbst in Bayreuth kann man das Werk orchestral nicht besser hören. Sir Simon Rattle dirigierte mit enorm viel Stilgefühl, sein Orchester erlaubte es ihm, die feinsten Nuancen und schönsten Klangfarben quasi als magische Klangwelten auszukosten, so dass man sich kaum vorstellen kann, die ‘Parsifal’-Musik besser, intensiver und schöner zu hören.
Die Besetzung war hochkarätig. Mit Spannung erwartete man das Kundry-Debut von Ruxandra Donose, die im 1. Akt relativ vorsichtig sang und deswegen auch sehr blass blieb. Den 2. Akt gestaltete sie mit Intelligenz und interpretatorischer Präsenz. Wenn auch die Stimme nicht die größte ist, so konnte sie sich aber gut gegen den stimmlich übermächtigen Stephen Gould behaupten. Die Herzeleide-Erzählung dagegen habe ich selten so lyrisch und ergreifend gehört wie an diesem Abend, auch nicht von Waltraud Meier. Franz-Josef Selig war ein stimmgewaltiger Gurnemanz, der durch seinen präzisen und wunderbaren fließenden Gesang immer wieder faszinierte. Einen in allen Bereichen überzeugenden Amfortas hatte man mit Gerald Finely gefunden, der die Leiden des Amfortas überzeugend und ohne Larmoyanz darzustellen wusste. Der Opernbösewicht vom Dienst, Evgeny Nikitin, war ein dämonisch-böser Klingsor, während die 78-jährige Sängerlegende Robert Lloyd einen immer noch stimmpotenten Titurel sang. Die Titelrolle wurde, wie oben erwähnt, von Stephen Gould gesungen. Gould ist für mich einer der besten Heldentenöre der letzten vierzig Jahre. Die sehr sicher sitzende Stimme scheint keine Grenzen zu kennen. Sie ist nach oben hin offen, besitzt ein gutes, baritonales Fundament und spricht sehr flexibel auf jede Situation an. Darüber hinaus ist Gould im Gegensatz zu vielen anderen Heldentenören zu einem sehr lyrischen und zarten Gesang fähig. Exzellent der Philharmonia Chor Wien, der das Sahnehäubchen dieser musikalisch überragenden doch szenisch in allen Belangen enttäuschenden Parsifal-Aufführung war. Und so quittierte auch das Publikum Dorns Inszenierung mit berechtigten Buhs und Pfiffen, bejubelte dagegen Sir Simon und seine Berliner Philharmoniker sowie den Chor und das ganze Sängerensemble.