Dmitri Shostakovich: Konzert für Violine und Orchester Nr. 1; Sofia Gubaidulina: In tempus praesens, Konzert für Violine und Orchester; Simone Lamsma, Violine, Niederländische Radio Philharmonie, James Gaffigan & Reinbert de Leeuw; 1 SACD Challenge CC72681; Aufnahmen 10/2011 und 05/2016, Veröffentlichung 03/2017 (73:21) – Rezension von Uwe Krusch

Ein klassisches Violinkonzert der Moderne, das Erste von Shostakovich, sowie ein rezenteres Werk, das Zweite Konzert von Gubaidulina, ‘In tempus praesens’, sind eine interessante Kombination. Gemeinsam ist den beiden Komponisten, dass sie unter den Umständen des politischen Systems litten, wobei Shostakovichs Martyrium sicherlich das deutlich schlimmere war.

Über das ältere Konzert ist schon vielerlei gesagt worden. Das neuere ist weniger bekannt. Sofia Gubaidulina hat ihre Konzerte immer herausragenden Musikern gewidmet, Gidon Kremer das erste Violinkonzert, Yuri Bashmet das Bratschenkonzert und Mstislav Rostropovich das Cellokonzert. Das hier eingespielte Werk wurde auf Anregung von Paul Sacher Anne-Sophie Mutter gewidmet, die es mit großer und inniger Bereitschaft in ihr Repertoire aufgenommen hat.

Ein Stichwort für dieses Konzert ist der Namen Sofia. In der Ostkirche ist die Sofia die Personifikation der Weisheit und die Bereiterin des Nährbodens für alles Kreative. Damit ist sie der Ursprung der Kunst und der Auseinandersetzung mit dem Licht und den Schattenseiten des menschlichen Daseins. Diese Idee wird in der Musik in die Hell-Dunkel-Dynamik und den Ausdruck aufgeladener Präsenz jedes einzelnen Klanges umgesetzt. Daneben treten die gleichen Vornamen der Komponistin und der Widmungssolistin.

Das Orchester ist groß besetzt, die Bläserriege mit vierfachem Holz in Extremen von Piccolo bis Kontrafagott. Hinzu kommen drei Wagnertuben und großes Schlagwerk. Andererseits fehlen die Violinen, so dass die Solostimme einem weitgehend sehr dunkel temperierten Orchester gegenüber steht.

Das einsätzige, fünfteilige Werk entfaltet sich mit fächerfömigen Orchesterausbrüchen, aus denen die Sologeige versucht, auszubrechen. Höchste und tiefste Register, also Himmel und Hölle, stehen sich gegenüber und entwickeln sich am Ende zum Unisono, zur göttlichen Einheit. Dazwischen gibt es einen Moment der Stille, aus dem sich die Solovioline mit ihrer Kadenz befreit.

Die noch junge niederländische Geigerin Simone Lamsma hat sich diesen beiden außerordentlichen Werken mit zwei verschiedenen Stradivaris gewidmet, die ihr zur Verfügung gestellt wurden. Shostakovich wurde im Studio aufgenommen, Gubaidulina im Konzert mitgeschnitten.

Das Gubaidulina-Konzert hat hier, im Vergleich zur Aufnahme der Widmungsträgerin, eine deutlich längere Spieldauer. Simone Lamsma kann dadurch die Feinheiten des Werkes stärker ausleben. Dabei besteht die Schwierigkeit darin, dass Intensität bei einem langsameren Tempo schwerer zu erzielen ist. Diese Schwierigkeit überwindet sie mit Leichtigkeit. Auch dem Shostakovich-Konzert kann sie eine große Dichte verleihen.

Unterstützung erfährt sie vom Philharmonischen Radio-Orchester der Niederlande, das bei Shostakovich von seinem Ersten Gastdirigenten James Gaffigan und bei Gubaidulina von Reinbert de Leeuw geleitet wird. In allen drei Partnern hat sie ausgezeichnete Kombattanten, die ihre Erfahrung und Musikalität einsetzen, um die Solistin zum Erfolg zu tragen.

Shostakovich’s First Violin Concerto and Gubaidulina Second form a remarkable program for a recording. Both works get exquisite and captivating accounts from the young Ditch violinist Simone Lamsma.

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