Der Geiger Mikhail Pochekin ist glücklich, dass das 21. Jahrhundert die Menschen besser zusammenbringt. Man kann mal eben nach Moskau telefonieren und lange reden. Soeben ist der Geiger, der zurzeit in Österreich wohnt, auf einer kleinen Konzerttournee in Moskau, Sankt Petersburg und Jekaterinburg unterwegs. Dass zwischen jedem Ort circa 1000 km liegen ist Normalzustand in Russland - wo in Mitteleuropa schon Wege von 300 km zwischen Aufführungsstätten als 'weit' angesehen werden. Aber die Gemeinsamkeiten überwiegen – etwa wenn es um die Liebe zu Johann Sebastian Bachs Musik geht! Der 28-Jährige hat soeben Johann Sebastians Bachs Sonaten und Partiten BWV 1001-1006 eingespielt, das Studio-1 des Moskauer TV und Radio Hauses bot für dieses Unterfangen den idealen Klangraum. Fast zehn Jahre hatte Pochekin dieses Projekt im Kopf. Im Gespräch mit Stefan Pieper macht er seinen eigenen, tiefen Bezug deutlich.

Mikhail Pochekin

Obwohl die CD erst ein paar Tage raus ist, gab es schon ein beachtliches Medienecho. Lesen Sie Kritiken?
Ich spiele ja Musik für ein Publikum und bin immer neugierig zu erfahren, was das Publikum denkt. Und die Kritiker sind auf jeden Fall ein Teil des Publikums.
Deswegen ist es für mich immer interessant, in Ruhe alle Reviews zu lesen.

Hat sich für Ihre Karriere ein neues Kapitel durch diese Aufnahmen eröffnet?
Auf jeden Fall. Es war ein langer Weg, bei dem mir auch fantastische Professoren und Musiker weitergeholfen haben. Ich bin allen Unterstützern sehr dankbar.
Vor kurzem hatte ich ein sehr schönes CD-Präsentationskonzert im Salon Christophori in Berlin. Hier gibt es genau die Bedingungen, die man braucht. Man kann mit dem Publikum sprechen. Auch das genieße ich immer sehr! Im September habe ich ein Präsentationskonzert im Gasteig in München, weitere folgen in Hamburg, Madrid und Moskau.

Wie sehr sind Bachs Sonaten und Partiten ein Fundament für Sie?
Bach ist schon immer ein großer Lieblingskomponist von mir gewesen. Ich habe den Zyklus im Alter von 11 oder 12 zu hören angefangen. Damals wurde mir eine Aufnahme von Thomas Zehetmair geschenkt, die ich immer noch sehr gerne höre.

Beschäftigt sich jeder Geiger mit diesen Werken wie in einer Art Lebenswerk?
Alle Geiger spielen Werke aus diesem Zyklus, egal auf welchem Niveau. Diese Kompositionen sind für die Vermittlung von musikalischem und technischem Verständnis einfach essentiell.

Welche Voraussetzungen mussten bei Ihnen für eine Aufnahme erfüllt sein? Gibt es ein interpretatorisches Ideal?
Nein, es gibt kein absolutes interpretatorisches Ideal. Jede Annäherung widerspiegelt einen bestimmten Zustand, der von Woche zu Woche wechseln kann. Unser Verständnis von Bachs Musik wächst und entwickelt sich zusammen mit uns. Ich werde auf jeden Fall immer weiter forschen. Wer weiß, vielleicht werde ich in 10-15 Jahren wieder eine Aufnahme von diesem Zyklus machen.

Trotzdem möchte ich noch mal genauer fragen: Was ist Ihnen besonders wichtig beim Spielen dieser Musik?
Vielfach zweifelt man und fragt sich, ob man Bach überhaupt lebendig genug spielt. Man muss sich immer über eins klarwerden: Bachs Musik ist kein Exponat in einem Museum. In seiner Musik sind große, tiefe Emotionen und Gefühle eines Menschen enthalten. Er hat seinen Zyklus geschrieben, als gerade seine Frau verstorben war. Diese unglaubliche Traurigkeit widerspiegelt sich ganz stark.
Wenn ich an die Chaconne aus der Partita Nr.2 denke, finden sich hier Choräle über den Tod. Es ist so etwas wie ein musikalischer Grabstein für seine verstorbene Frau.
Aber es bleibt nicht dabei stehen in dem Zyklus, denn da ist eine Entwicklung in Richtung Zuversicht. Alles geht von unglaublich traurigen Stimmungen aus, aber dann, vor allem ab dem dritten Satz, dem Largo aus der C-Dur-Sonate geht es immer mehr in Richtung Verklärung. So weit, bis sich die Partita Nr. 3 E-Dur in bestem Sinne dem Göttlichen annähert. Ich denke, dass die Emotionen und Gefühle eines tief getroffenen Menschen in diesem Zyklus eine ganze Evolution durchlaufen.

Welche Details waren Ihnen wichtig?
Der Zyklus besteht aus verschiedenen musikalischen Formen. Die Sonatenform stammt aus Italien, von so genannten « Sonata da Chiesa ». Die Form der Partita kommt aus Frankreich und besteht aus kontrastierten Tanzsätzen. Die Chaconne sticht als etwas singuläres, besonderes heraus. Im ganzen Zyklus verbindet Bach diese beiden Formen in genialer Weise – auf einer Seite durch ihre emotionale und dramatische Kraft. Auf der anderen Seite durch ihre musikalische Struktur.

Gibt es einen Königsweg bei der Erschließung des Materials?
Jeder Interpret muss versuchen, so gut und so tief wie möglich die Ideen des Komponisten zu verstehen. Deswegen gehe ich immer vom Autographen aus, wann immer das möglich ist. Wir sehen dann unmittelbar, wie Bach das geschrieben hat.
Wenn ich die Noten benutze, die schon von jemand anderem redigiert sind, bin ich sofort voreingenommen, dass hier die Ideen von jemand anderem ins Spiel kommen. Wenn ich jedoch unmittelbar auf Bachs Autograph schaue, gibt es nur eine direkte Beziehung: Nämlich, die zwischen Bach und mir.

Wenn Sie Bachs Musik für eine Aufnahme einspielen, wie gehen Sie vor? Bevorzugen Sie das kleinteilige Arbeiten am Detail oder lassen Sie lieber den durchgehenden Bogen fließen?
Am Anfang ist der möglichst große Bogen das allerwichtigste! Es hilft mir, die dramatische Entwicklung aufzubauen. Dadurch habe ich das Gefühl für die Form im ganzen Satz. Danach kann ich an kleinen Details arbeiten.

Können Sie ihrem Publikum mit einer neuen Bach-Aufnahme etwas wirklich neues vermitteln?
Ich denke, dass pro Jahr überhaupt nur 1-2 Aufnahmen des Bach-Zyklus für eine Solo-Violine erscheinen. Und für die Liebhaber der Violinmusik und für Bach im Allgemeinen ist ein solches Ereignis immer interessant. Mit dieser neuen Aufnahme möchte ich meine heutige Gedanken und Emotionen weiterleiten. Ob ob die für das Publikum interessant sind, sollen die Zuhörer beurteilen.

Wie kommt Bachs Musik in Russland an?
Überall in Russland besteht eine riesige Begeisterung für Bach. Das war auch in sowjetischer Zeit so. Bach war immer ein Fundament für die ganze Musik.

Was ist Ihre entscheidende persönliche Triebkraft, Musik zu machen?
Da kommt so viel zusammen. Aber eins ist am wichtigsten: Man muss einfach sehr in Musik verliebt sein. Und den leidenschaftlichen Wunsch verspüren, dies an ein Publikum weiter zu leiten. So etwas geht natürlich nicht ohne Unterstützung.

Wer hat Sie unterstützt auf diesem Weg?
Vor allem meine Familie, meine Eltern und mein Bruder Ivan, haben mir schon von kleinauf die Musik nahegebracht. Ivan ist ein fantastischer Geiger und sehr oft musizieren wir zusammen als Pochekin-Duo.
Einen ebenso wichtigen Anteil haben meine Professoren. Ich studierte sehr lange Zeit bei Ana Chumachenco und in diversen Jahren waren meine Professoren auch Rainer Schmidt sowie Viktor Tretiakov. Was nun Bachs Musik angeht, in verschiedenen Jahren habe ich für Christian Tetzlaff mehrere Werke von diesem Zyklus vorgespielt. Es war immer eine fantastische und unvergessliche Erfahrung für mich.

Zur Rezension der Bach-CD geht es hier.

 

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