Georg Friedrich Händel: Der Messias in der Fassung von Wolfgang Amadeus Mozart; Elena Tsallagova, Sorpan, Wiebke Lehmkuhl, Alt, Richard Croft, Tenor, José Coca Loza, Bass, Alexis Fousekis, Tänzer, Max Harris, Alter Mann, Leopoldine Richards, ein Kind, Philharmonia Chor Wien (Chordirektor: Walter Zeh), Les Musiciens du Louvre, Marc Minkowski, Dirigent, Robert Wilson, Regie; 1 DVD Unitel Edition OA1302D; Aufnahme 2020, Veröffentlichung 08/2020 (135') – Rezension von Uwe Krusch

Der Messias mit Les Musiciens du Louvre und Marc Minkowski mag zunächst nach guter bis sehr guter Darbietung des Werkes klingen, aber eben auch ganz konventionell, und das als DVD? Doch diese Vermutung greift aus zwei Perspektiven zu kurz. Zum einen handelt es sich sozusagen um den Messias, nicht den Messiah, und zum anderen ist er im Operngewand zu sehen.

Mit dem Messias statt dem Messiah ist gemeint, dass Minkowski für seine Präsentation in Salzburg nicht das Original von Händel, sondern die Bearbeitung von Wolfgang Amadeus Mozart gewählt hat. Baron Gottfried van Swieten, Mäzen der Mozart-Zeit, hatte seine umfangreiche Notensammlung auch Mozart zur Verfügung gestellt und ihn damit auch vor allem an Bach und Händel herangeführt. Mozart nutzte diese Möglichkeit und adaptierte den Messias auf den Zeitgeschmack. Unter Beibehaltung der Komposition im Grundsatz meint das vor allem eine Erweiterung der Bläserbesetzung. Dadurch erzielt er ein damals übliches, also eben klassisches Klangbild. Das wirkt weicher und geschmeidiger als das Original und damit gleichzeitig ungewohnt glatt. Man hat so ein bisschen den Eindruck, Musik von weniger talentierten Zeitgenossen Mozarts zu hören, die nicht so einfallsreich waren, aber eben schön klingen. Da Minkowski sein Orchester auch klassischer als üblich artikulieren lässt, fehlt einem fast die Schärfe barocker Spielart. Man ist immer zwischen Bekanntem und scheinbar Ungewohntem hin und her gerissen. Als Blick in die Bearbeitungspraxis ist diese Version sicherlich mal hörenswert, wenn auch dem Original der oberste Podestplatz bleibt.

Diese charmantere Lesart entpuppt sich dann im Zusammenspiel mit der Inszenierung als Glücksfall für diese. Wilson fasst das Werk nicht einfach als religiöses Werk, sondern als spirituelle Reise und kommt damit, wenn der Begriff nicht schon belegt wäre, zu einem Ansatz als Gesamtkunstwerk, in dem Bewegungen, Körper, Licht und Raum zu Gesang und instrumentaler Musik treten. Damit will er den Augen eine Dimension geben, um die Musik besser zu hören. Nun sind Anpassungen von Opern und Oratorien an die konkrete Aufführungssituation schon immer und gerade in der Zeit üblich gewesen und auch bis heute nicht vergessen. Eine Besonderheit ist es schon, ein Oratorium mit starken visuellen Effekten zu verbinden.

Beim Messias trifft Wilson sozusagen auf ein wesensverwandtes Werk, denn im Messias werden lose Bibelzitate zu einem Werk verknüpft, die zwar einen Ablauf, aber eigentlich keine Handlung ergeben. Und da auch Wilson bei seinen Inszenierungen nicht an Handlung klebt, sondern frei assoziiert, fügen sich die Dinge hier nahtlos aneinander. Abstrakt wie die Handlung ist der einfarbig eisig blassblaue rechteckige Kasten als Bühnenraum, der mit Solisten, Chor und Objekten belebt wird. Wie man diese Elemente betrachtet bleibt jedem selbst überlassen, etwa bei der kopflosen Puppe mit Hummer an der Leine, dem Astronauten oder den schon früh hereinschwebenden, ja was, Holzstücken, wie sie am Strand angespült werden? Oder auch der Strohbär, der im wahrsten Sinne des Wortes der alemannischen Fastnacht entsprungen zu sein scheint und von einem anmutig in die Ferne blickenden Mädchen zurückgewiesen wird. Dazu kommen Videoinstallation von Wasserwelten, seien sie fließend oder gefroren, die sich schwingend, schiebend, wie bei einem Feuerwerk oder beim Vulkanausbruch entfalten bis explodieren.

Wenn man auch nicht alles verstehen mag, so sind viele Bilder doch auch fesselnd. So gelingt etwa in der Sopran-Arie ‘Ich weiß, dass mein Erlöser lebet’ ein innigliches Bild, wenn die Sängerin unter einem schwarzen verdrehten Portal die Hand hebt und die Arie mit tiefgreifender Hoffnung singt, wozu ein Tierskelett in Nebelschwaden erscheint.

Dieser Lichtraum von Wilson wirkt betörend. Das erfordert dann auch gar nicht, dass viel passiert. Wilson lässt kunstvoll stehen und schreiten. Diese gemessenen Bewegungen werden durch die edlen Roben gestützt. Mitunter belebt ein solistischer Tänzer die Szene. Die Sopranistin Elena Tsallagova schüttet Wasser aus der einen in die andere Karaffe und sich dann über den Kopf, ein Taufritus? Der Tenor Richard Croft agiert gleichzeitig als Conférencier, der tänzelt und lächelt. Ob man diese Auflockerung bis hin zum Clownesken will, mag jeder selber entscheiden, je nachdem wie ernsthaft er die religiöse Komponente nimmt oder etwas Leben dazu gutheißt. Der Inszenierung tut dieses Aufbrechen der Seriosität eigentlich gut, um Eintönigkeit zu vermeiden. Leichtfüßig verwirrend deutet Robert Wilson die Endzeit und nimmt damit dem Geschehen die Dramatik.

Das Solistenquartett ist hervorragend. Elena Tsallagova hat einen anrührenden Sopran, der gut zu Mozart passt und weniger zu Händel gehören würde. Sie entwickelt sich vom Engel der Verkündigung zu einer luziden Gestalt, die auf dem Nachen über den nebelumwobenen See gleitet, als würde sie die Seelen in das Totenreich begleiten. Dazu singt sie strahlend unnahbar und entführt in überirdische Sphären. In der Alt-Szene ‘Er ward verschmähet’, in der Wiebke Lehmkuhls intensive, bis ins Deklamieren gehende Stimme erklingt, wird deutlich, dass diese dunkle Stimme gut zu den eisigen Welten von Robert Wilson passt. Ihre auch bewegliche Rolle gibt ihr im Vergleich mehr irdische Präsenz, die sie gelassen ausstrahlt.

Der Tenor Richard Croft tänzelt, lacht und zwinkert nicht nur, sondern gibt bereits mit ‘Tröstet Zion!’ als erster Arie des Abends eine großartige Ausdrucksgestalt in einem ruhig beseelenden Pianissimo vor. Dabei strahlt er die tiefgreifende Zuversicht eines göttlichen Wesens aus, die richtungsgebend für den Abend ist. Mühelos und ausdrucksstark meistert der bolivianische Bassist José Coca Loza die Koloraturen. Kostüm und Haartracht suggerierten Nähe zu Konfuzius. Unter diesem Eindruck wandelten sich seine prophetischen Aussagen zu Botschaften jenseits christlicher Ausrichtung mit großer Ernsthaftigkeit.

Während Croft und Lehmkuhl zu ihren Arien tänzeln, fordert Robert Wilson vom Sopran und Bass konzentriertes Stillhalten.

Der Philharmonia Chor Wien agiert leider nicht durchweg auf diesem Niveau. Zwar singt er oft ausgezeichnet, nimmt sich dann aber sozusagen Auszeiten, in denen er in sich inhomogen agiert oder auch mal im Tempo etwas schleppt. Das ist schade und beeinträchtigt den Gesamteindruck dann doch.

Marc Minkowskis Interpretation offeriert die dunklen Tiefen des Originals, die durch Mozarts Einwürfe, durch Reduktion, Instrumentierung und maßvolle Veränderungen, aufgehellt werden. Das Orchester musiziert durchlässig transparent auf dem gewohnt herausragenden Niveau. Nicht Angst und Tod sollte der Zuschauer erfahren, sondern Trost, und das nicht erst in der finalen Amen-Fuge.

The Messiah with Les Musiciens du Louvre and Marc Minkowski may at first sound like a good or very good performance of the work, but it may also sound quite conventional, and this on DVD? However, this assumption falls short from two perspectives. On the one hand, it is, so to speak, about the Messias, not the Messiah, and on the other hand, it is to be seen in an operatic production.
By the Messias instead of the Messiah is meant that Minkowski did not choose the original by Handel for his Salzburg production but the arrangement by Wolfgang Amadeus Mozart. Mozart adapted the Messiah to the taste of the time. This means above all an expansion of the wind instrumentation. In this way he achieves a sound that was usual at his time. The music is softer and smoother than the original and thus unusually smooth at the same time. Since Minkowski also lets his orchestra articulate more classically than usual, one almost misses the sharpness of the baroque style. One is always torn between the familiar and the seemingly unusual. This version is certainly worth listening to as a look at the arrangement practice, even if the original remains on the highest pedestal.
This more charming reading then turns out to be a stroke of luck for them in the interplay with the staging. Wilson considers the work not simply as a religious work, but as a spiritual journey, and thus, if the term were not already in use, he arrives at an approach as a Gesamtkunstwerk, in which movement, body, light and space join the music. In this way he wants to give the eyes a dimension to better hear the music with strong visual effects.
In the Messiah, Wilson encounters a work in which loose biblical quotations are combined to form a work which results in a sequence of events, but actually with no action. And since Wilson does not stick to the plot in his productions, but rather freely associates them, things here fit together seamlessly. Abstract as the plot is the monochrome icy pale blue rectangular box as a stage space which is enlivened by soloists, choir and objects. In addition, there are video projections of water worlds, be they flowing or frozen, which swing, push, unfold and explode like fireworks or volcanic eruptions.
This light space by Wilson has a beguiling effect. That doesn’t require much to happen. These measured movements are supported by the noble robes. Sometimes a solo dancer enlivens the scene. Soprano Elena Tsallagova pours water from one carafe into the other and then over her head, a baptismal rite? The tenor Richard Croft also acts as a conférencier, dancing and smiling across the stage. Everyone can decide for themselves whether they appreciate this or not, depending on how seriously they take the religious component. This breaking up of seriousness is actually good for the production to avoid monotony.
The soloist quartet is outstanding. Elena Tsallagova has a touching soprano that goes well with Mozart and would belong less to Handel. She evolves from the Angel of the Annunciation to a lucid figure gliding on her nostrils over the misty lake as if she were accompanying souls to the realm of the dead. To this she sings radiantly. With Wiebke Lehmkuhl’s intense voice in the alto scene He was spurned it becomes clear that this dark voice fits well with the icy worlds of Robert Wilson. In comparison, her role, which is also mobile, gives her more earthly presence, which she radiates calmly.
The tenor Richard Croft not only dances, laughs and winks, but with ‘Consolation Zion!’, the first aria of the evening, he already gives a magnificent expression in a calmly inspiring pianissimo. He radiates the deep confidence of a divine being, which is the guiding principle for the evening. The Bolivian bassist José Coca Loza masters the coloratura effortlessly and expressively. Under this impression his prophetic statements changed into messages beyond Christian orientation with great seriousness.
While Croft and Lehmkuhl dance to their arias, Robert Wilson demands concentrated stillness from the soprano and bass.
Unfortunately, the Philharmonia Choir Vienna does not consistently perform at this level. This is a pity and impairs the overall impression.Marc Minkowski’s orchestra performs with the usual outstanding level of transparency.

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