Krzysztof Penderecki
(c) Bruno Fydrich

In Warschau fand Ende November das Penderecki-Festival statt. Wie zahllose weitere Konzerte und Opernaufführungen in polnischen Metropolen stand die Reihe im Zeichen des 90. Geburtstages des 2020 gestorbenen Komponisten. Musikpublizist und ICMA-Jury-Member Martin Hoffmeister besuchte Konzerte in Krakau und Warschau. Im Gespräch mit Pizzicato erörtert er u.a. die Bedeutung Pendereckis für die Musikszene des Landes.

Herr Hoffmeister, fast überall in Polen wurden und werden in diesen Tagen anlässlich des 90. Geburtstages von Krzysztof Penderecki dessen Werke aufgeführt. Dass ein zeitgenössischer Komponist in dieser Weise von Veranstaltern und Kultur-Institutionen gewürdigt wird, ist nicht eben die Regel in Europa. Dafür muss es Gründe geben…
Pendereckis Werk wird Kontinente übergreifend vergleichsweise oft aufgeführt. Sein Schaffen bietet zahllose Anknüpfungspunkte für Konzertdramaturgen. Man kann seine Musik verbinden mit früher Polyphonie, mit Werken Bachs ebenso wie mit Wiener Klassik, Romantik und Kompositionen aus dem 20. und 21. Jahrhundert, mit experimenteller elektronischer Musik. Was dieses vielgesichtige, von breiter stilistischer Varianz getragene Schaffen ausmacht, das ist zum einen dessen Modernität und Zeitlosigkeit, zum anderen der Bezug zur Tradition. Pendereckis über 6 Jahrzehnte entstandenen Werke bieten zwischen purer Avantgarde, klassizistischer Einlassung und romantisierender Volte alle vorstellbaren Tableaus, amalgamiert zudem teilweise mit Elementen aus Jazz, Folklore oder asiatischen Idiomen. Und diese Vielseitigkeit und Offenheit in verschiedene Richtungen, die macht Pendereckis Musik ungemein attraktiv für Musiker, Ensembles und Orchester ebenso wie für Konzert- und Opernhäuser. Auch drei Jahre nach seinem Tod noch fungiert der Komponist als einer der Hauptbotschafter polnischer Kunst und Kultur. Sein Werk steht im Zeichen des Humanismus und der Völkerverständigung.

Pendereckis Heimatort Krakau und sein Landsitz in Luslawice südöstlich der Königsstadt waren zentrale Bezugspunkte und stete, zuverlässige Inspirationsquellen. Wie hat Krakau den Komponisten-Geburtstag gefeiert?

Gautier Capuçon
(c) J.Bort

Mit einem Konzert in der Philharmonie, bei dem neben Pendereckis Concerto grosso für 3 Violoncelli und Orchester Henryk Goreckis 3. Sinfonie (Sinfonie der Klagelieder) zur Aufführung kam. Die Gegenüberstellung der beiden novemberlich-abgetönten Werke erwies sich in mehrfachem Sinne als idealtypische Hommage, denn einerseits verband Penderecki und Gorecki eine langjährige Freundschaft, anderseits steht das Concerto grosso exemplarisch für Pendereckis tiefe Affinität zum Violoncello. Wenige andere einschlägige Konzerte stellen die spieltechnischen und klanglichen Potentiale des Instrumentes tiefdimensionierter und variantenreicher in den Fokus. Mit Gautier Capuçon, Claudio Bohorquez und Arto Noras waren drei Protagonisten der internationalen Cello-Szene geladen, Künstler zumal, die seit Jahrzehnten mit Pendereckis Werken vertraut sind. Mehr noch als eminente technische Fertigkeiten wußten die Solisten in wechselnden Dialogen, schließlich in der finalen Kadenz, unterschiedliche, bisweilen kontrastierende Ausdrucksmittel auszuspielen und miteinander zu verweben. Im Verein mit den nuanciert und luzide agierenden Krakauer Philharmonikern unter der Leitung von Alexander Humala vermochten die Solisten in subtilen, energetisch und koloristisch aufgeladenen Wettstreit zu treten und Pendereckis komplexe Partitur exemplarisch abzubilden.

Penderecki hatte zeitlebens klare Vorstellungen davon, welche Orchester, Ensembles, Solisten und Dirigenten seine Werke idealerweise aufführen sollten. Mit zahllosen Musikern kooperierte er über Jahrzehnte, diskutierte eingehend Details von Partituren und Notentexten. Einige dieser Wegbegleiter konnten die Veranstalter auch für die 2023er Ausgabe des Festivals gewinnen…
Tatsächlich generiert und generierte solche Kontinuität stets künstlerischen Mehrwert. Denn Pendereckis Werke offerieren in sämtlichen Belangen einen reich spektrierten Kosmos von Details. Aufführungen bedürfen entsprechend der kundigen Begleitung durch den Komponisten oder erfahrener Weggefährten, um höchsten interpretatorischen Standards gerecht werden zu können. Insofern war zu begrüßen, dass für das Festival in Warschau und andere Jubiläums-konzerte erneut Solisten wie Anne-Sophie Mutter, Arto Noras, Claudio Bohorquez, Michel Lethiec, Leticia Moreno oder Dirigenten wie Jurek Dybal, Maciej Tworek oder Alexander Humala zu den Gästen gehörten.

Festivals im Zeichen eines einzigen Komponisten bilden eher die Ausnahme im weiten Feld internationaler Veranstaltungsreihen. Ausgenommen Reihen im Namen von Meistern wie Bach, Mozart und Beethoven. Welche Bedeutung kommt vor diesem Hintergrund dem Penderecki-Festival in Warschau zu?
Krzysztof Penderecki zählt zu den bekanntesten Künstlerpersönlichkeiten Polens des 20. und 21. Jahrhunderts. Kaum ein Zweiter zeitgenössischer Komponist der europäischen Szene erlangte vergleichbare Popularitätswerte. Insofern schien es wünschenswert und geboten, Penderecki mit einem Jubiläums-Festival die Reverenz zu erweisen. Sein Schaffen umfasst weit mehr als 100 Werke, die sich über alle Gattungen und zahllose Stilistiken hinweg erstrecken. Die Festival-Ausgabe 2023 fokussierte auf exemplarische Konzerte, geistliche Werke und Kammermusik des Komponisten, sodass dem Publikum die Möglichkeit geboten wurde, tief einzutauchen in die einschlägigen Ideen- und Klangwelten. Zugleich liessen die Konzerte Einblicke in stilistische Bandbreite und kompositorische Metamorphosen Pendereckis zu. Das auf diese Weise generierte Hören  über Unterhaltung und Kurzweil hinaus vielfältige Erkenntnisse zum Werk Pendereckis ebenso wie zur Musikrezeption im Allgemeinen.

Sie besuchen seit über einem Vierteljahrhundert regelmäßig die wichtigen polnischen Festivals in Warschau, Krakau, Breslau und Katowice und haben entsprechend zahlreiche Werke Pendereckis live erleben können. Das generiert Vergleichsmaßstäbe. Welche Höhepunkte des Festivals gilt es in den Blick zu nehmen?

Elzbieta und Krzysztof Penderecki applaudieren Anne-Sophie-Mutter – Archivfoto von 2018                                                               (c) Bruno Fidrych

Fraglos und erwartbar natürlich Anne-Sophie Mutters Exegese von Pendereckis 2. Violinkonzert Metamorphosen an der Seite der Warschauer Philharmoniker unter Andrzej Boreyko. Ein Abend der Zwischentöne, Nuancen, der Intensität und geigerischer Souveränität. Kaum weniger eindrücklich allerdings geriet das frühabendliche Kammermusik-Konzert in der Nationalphilharmonie. Das Festival-Team um Direktorin Elzbieta Penderecka hatte für sechs Hauptwerke (u.a. Suite für Cello solo, 2. Violinsonate, Ciaccona in memoriam Papst Paul II. und 3. Streichquartett bearb. für Quartett und Kontrabass) des Komponisten mit unterschiedlichen Besetzungen zwischen Solo, Duo, Trio und Quintett mehrere Musiker und Formationen geladen. Der Abend stand beispielhaft für Pendereckis Kunst der Verdichtung und Polystilistik, wie sie sich in nuce in seinem Kammermusikschaffen zeigt. Mit der achtsätzigen Cello-Suite etwa setzte der finnische Cellist Arto Noras gleich mehrere Ausrufezeichen. Getragen von elegischer Einlassung, Melancholie, Schmerz, aber auch rhythmischer Volte und lodernder Attacke transportiert das Werk höchste Intensitätswerte. Sämtliche denkbaren Spiel- und Ausdruckspotentiale des Instrumentes werden bis an die Grenzen ausgelotet. Ein Kraft- und Hochseilakt, der dem Cellisten alles abverlangt, insbesondere auch stilistische Beweglichkeit. State of the Art auch Leticia Morenos/Lukasz Krupinskis makellos-konturiert ausgeleuchtete Lesart der 2. Violinsonate Pendereckis. Das im Jahr 1999 vollendete Werk zählt zu den umfangreichsten, vielschichtigsten und spieltechnisch anspruchsvollsten des Polen. Verdichtungen, komplexe Faktur, wechselnde Idiome mit Anklängen an Jazz, traditionelle Folklore ebenso wie Reminiszenzen an Schostakowitschs und Weinbergs Klangwelten lassen die Sonate zu einem eminenten, strahlkräftigen Solitär der Gattung erwachsen.

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