Im niederländischen Rotterdam ging am Pfingstwochenende mit der 7. Ausgabe der ‚Classical Next‘ der weltweit größte Klassik-Branchentreff zu Ende. Über 1300 Teilnehmer aus 35 Ländern präsentierten nicht nur ihre Produkte, betrieben Networking, hörten Vorträge und Konzerte, sondern diskutierten im Kongress-zentrum 'de Doelen‘ zudem aktuelle Trends und Zukunftsfragen der internationalen Klassikszene. Im Gespräch mit Pizzicato erläutert Musikpublizist und ICMA-Jury-Mitglied Martin Hoffmeister seine Eindrücke.

Herr Hoffmeister, global betrachtet gibt es einige Musikmessen: Welcher Stellenwert kommt der ‚Classical Next‘ zu neben großen Playern wie der ‘Midem‘ in Cannes und den Messen in Frankfurt und Shanghai?
Die genannten Messen haben einen anderen Fokus. Es geht dort insbesondere um den Handel mit Musikinstrumenten, Noten und Musikbüchern. Das Thema Klassik ist ein Sujet unter vielen. Bei der ‘Classical Next‘ gibt es, samt seiner zahllosen Seitenaspekte, nur ein Thema. Entscheider und Protagonisten der Szene aus sämtlichen Bereichen forcieren Austausch und Wissenstransfer. Wo sonst hätten Labelvertreter, Vertriebe, Festivalmacher, Produzenten, Agenten, Promoter, Verlage, Fachmagazine, Streaminganbieter, Journalisten, Radio, TV und Musiker in vergleichbarer Weise die Chance, das Thema aus unterschiedlichen Perspektiven zu erörtern und gezielt Networking zu betreiben?

Im Prinzip wäre denkbar gewesen, das Thema Klassik in die vorhandenen Messen und Branchentreffs zu integrieren…
Versuche das zu bewerkstelligen, gab es mehrfach in der Vergangenheit. Die ‘Midem‘ beispielsweise gab der Klassik über Jahre die angemessene Plattform. Irgendwann aber ließ offensichtlich das Interesse nach an dem weniger umsatzstarken Musiksegment. Und auch die verschiedenen Klassik-Player selbst waren uneinig in der Frage, ob man vor dem Hintergrund neuer digitaler Kommunikationswege Geld für die Teilnahme an einer Messe investieren sollte. Die fundamentalen Umbrüche in der Musikindustrie, die neuen digitalen Potentiale und das veränderte Publikums- resp. Hörverhalten haben die Verantwortlichen in den letzten Jahren allerdings zunehmend vor dermaßen komplexe Herausforderungen und Grundsatzfragen gestellt, dass man in der Szene langsam zu begreifen scheint, dass verdichtete Kommunikation und ein abgestimmtes strategisches Handeln nötig sind, um Lösungsansätze zu generieren und die Branche nachhaltig im 21. Jahrhundert positionieren zu können.

Dieses Jahr präsentierte sich Frankreich bei der CN
(c) Martin Hoffmeister

Was kann denn ein solcher Branchentreff beitragen zur Stärkung der Branche?
Zunächst setzen die Veranstalter das Thema Klassik jährlich auf die Agenda, was allein einer Botschaft gleichkommt. Zweitens schafft eine Messe wie diese die Infrastruktur, um miteinander ins Gespräch zu kommen, drittens kreiert sie den Anlass, aufeinander zuzugehen. Angesichts der zahllosen ungelösten Probleme und anstehenden Fragen in den meisten Bereichen der Szene sind die CN-Aktivitäten zu begrüssen. Zum unerklärlichen Phänomen innerhalb der Musikbranche zählte über lange Jahre die Tatsache, dass die meisten Player nicht bereit waren, über die eigenen Ansätze und Wege hinaus sich auch anderen Konzepten und Strategien gegenüber zu öffnen oder gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Da regierte eine gewisse Hermetik. Das hat sich grundsätzlich geändert. Die Fragen, die erörtert werden, betreffen grundsätzlich gleichermaßen alle Beteiligten im heterogenen  Klassikkosmos. In diesem Sinne vermag eine Institution wie CN die anstehenden Themen in Panels, Konferenzen, Vorträgen und Konzerten gewissermaßen aufzunehmen und zu spiegeln. Innovative Impulse werden demokratisiert, Erfahrungswerte geteilt. Erwähnt werden in diesem Zusammenhang sollte die Einführung von ‘Innovation Awards‘, mit denen in diesem Jahr besonders avancierte Aktivitäten und Strategien von Ensembles und Orchestern prämiert wurden.

Welche Themen beschäftigten die globale Klassikszene besonders in diesen Tagen. Konnten Sie ein einheitliches Stimmungsbild ausmachen ?
Wie bereits in den vergangenen Jahren war auch 2018 kein konsistentes Gesamtbild der Branche zu erkennen. Was kaum verwundert, denn in Zeiten des Umbruchs bleibt Vieles indifferent, das meiste offen. Niemand weiss genau, was die Branche zu erwarten hat, wie sie sich entwickeln wird in den kommenden Jahren. Auf zentrale Fragen wie der nach der ‘Next Generation‘ für klassische Musik, nach der Zukunft des physischen Tonträgers, der Klassik in der digitalen Welt oder der Publikumsentwicklung in Konzerthäusern oder bei Festivals existieren keine ‘letzten‘ Antworten. Immer deutlicher wird allerdings, dass allein die pure Anzahl von Klassikoptionen für Publikum und Liebhaber zum Problem werden könnte. Unzählige Veranstalter, Musiker, Orchester und Ensembles streben weiterhin auf bereits gesättigte Märkte. Alle Player wollen physische und/oder digitale Belege ihres Schaffens, sie brauchen Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit. Die dadurch ausgelöste (Selbst-)Marketingspirale nervt und überfordert die potentielle Kundschaft. Mit dem Ergebnis: Globale Desorientierung macht sich breit, zumal die kuratierenden Korrektive wie Fachmagazine, Zeitungen, Internetportale und Kulturradios der Klassik-Inflation sich kaum mehr gewachsen zeigen.

Sie sprechen von einem inflationären Klassik-Angebot. Lassen sich bereits Gewinner und Verlierer dieser Entwicklung ausmachen?
In den Klassik-Hauptabsatzmärkten USA, Japan, Korea, Deutschland, England und Frankreich lassen sich Bereinigungstendenzen ausmachen. Bis auf wenige Ausnahmen konzentrieren sich selbst die Major-Labels im Klassik-Segment wieder auf das Kerngeschäft, setzen auf Nachhaltigkeit und Seriosität. Die internationale Vertriebslandschaft verschlankt sich, weniger Distributeure vereinen mehr Labels unter ihrem Schirm. Im Independent-Label-Bereich ist kaum zu übersehen, dass größere, finanzstarke Firmen kleinere übernehmen. Insgesamt betrachtet wurde den Produzenten von physischen Tonträgern, zumindest auf dem deutschen Markt, eine Atempause gewährt. Die Abwärtsspirale konnte aufgehalten werden. Dennoch warten die einschlägigen Streamingdienste mit zunehmend kuratierteren Tableaus auf, sodass diese CD-Konkurrenz in den nächsten Jahren wohl deutlich erstarken wird. Durchgängig positive Signale erreichen uns von den meisten Konzert-, Opern- und Festivalveranstaltern, in deren Segment sich der Publikumszuspruch auf hohem Niveau konsolidiert hat.

Die Welt der Klassik gehört naturgemäß eher zu den fragilen Kultur-Bereichen. Man agiert in den Zwischenzonen von Kunst und Kommerz. Beides bedingt sich und schließt sich doch aus. Wie geht die Szene mit diesem Paradoxon um?
Es ist nicht ehrenrührig von Kunst, von Musik leben zu wollen und/oder zu können. Allerdings funktioniert der Balanceakt nur dann, wenn der Schaffensethos der Künstler oder der jeweilige Unternehmensethos im Zentrum stehen und den Ausgangspunkt bilden. Im Fokus muss immer die Kunst stehen. Ob bei Musikern, Labels, Festivals oder Konzertveranstaltern: Von ausschließlich kommerziellen Überlegungen, vom Geist des Kommerzes getragene Produkte desavouieren gleichermaßen Werke wie Künstler. Bereits die einschlägigen Marketing-Tableaus und –Diskurse lassen zumeist die mentale Dürftigkeit der Unterfangen erkennen. Wer sich mit dem Kommerz gemein macht, erzielt in den aktuellen Märkten allenfalls temporäre Aufmerksamkeit. Die Abwahl durch das Publikum nach dem Hype generiert die entsprechenden Vakua.

Die ‘Classical Next‘ als kommunikativer Nukleus der Szene sendet alljährlich nicht nur inhaltliche, sondern auch atmosphärische Signale aus. Kann man Botschaften aus dem diesjährigen Treff destillieren?
Ich bin jedes Jahr aufs Neue überrascht von der Dynamik, vom Enthusiasmus der Szene. Unabhängig von Zahlen, von Erfolgen oder Niederlagen ist ein tiefer, ein grundsätzlicher Glaube in das Sujet Klassik auszumachen. Und diese Empathie gegenüber dem Genre, die generiert stetig neue Impulse. Bei den zahllosen offenen Fragen, die der Markt derzeit aufwirft, wird niemand ausschließlich jubeln oder überhöhte Erwartungen skizzieren. Viel wesentlicher scheint mir der Konsens darüber, dass Klassik als unverzichtbares Instrument gesellschaftlicher Distinktion fungiert.

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