Alain Steffen hat sich mit dem Dirigenten Marek Janowski unterhalten.

Marek Janowski
(c) Philharmonie/Eric Devillet

Was bedeutet das Dirigieren und Interpretieren für Sie, sowohl als Künstler wie auch als Mensch?
Ich gehöre natürlich noch zu der alten Generation  an, die den hauptsächlichen Sinn des Dirigierens darin sieht, das Orchester zu dirigieren und mit der Gestik zu helfen und zu führen. Früher mussten wir Dirigenten ja mit den Orchestern noch wirklich die Werke erarbeiten. Aber heute kann fast jedes Orchester das ganze Repertoire von Beethoven bis Shostakovich, so dass der Dirigent eigentlich nur noch den reibungslosen Ablauf zu garantieren braucht. Der Dirigent von heute versucht eher mit seiner Choreographie, dem Publikum deutlich zu machen, was denn im Orchester passiert. Dirigieren ist in meinen Augen ein gestisches Interpretationsmittel, um mit möglichst wenig Gestik, das zu realisieren, was man sich denkt, was der Komponist im Sinne gehabt hatte. So habe ich das vor fünfzig Jahren gesehen und so sehr ich es noch heute.
Persönlich ist es für mich immer sehr schön, wenn es mir zusammen mit dem Orchester gelingt, eine besonders schwierige oder heikle Stelle  oder Phrase so zu spielen, dass es einen Interpretationsbogen gibt. Der einmal mal etwas besser, mal etwas schlechter gelingt. Man kennt die Werke ja jetzt schon über viel Jahrzehnte und hat dann auch seine Vorstellung, wie diese oder jene Phrase klingen könnte. Und wenn einem das im Konzert zusammen mit den Musikern gelingt, dann erlebe ich das immer als einen sehr freudigen und befriedigenden Moment.

Marek Janowski

Sie werden gerne mit dem Titel Kapellmeister bezeichnet. Was noch vor einigen Jahren einen negativen Beigeschmack hatte, kommt heute fast einem Ritterschlag gleich. Was hat es denn nun mit der Bezeichnung Kapellmeister wirklich auf sich?
Eigentlich ist  Kapellmeister die erste und richtige Bezeichnung für einen Dirigenten. Sehen Sie, Richard Straus war im Garmisch-Partenkirchener Telefonbuch mit Dr. Richard Strauss, Kapellmeister verzeichnet. In dieser Zeit ging es um das Handwerk, die Arbeit. Und wenn Sie Strauss auf dem Pult sehen, dann wissen Sie, wie man seine monumentalen Werke mit einer sehr, wirklich sehr sparsamen Gestik dirigieren kann.  Dann wurde der Begriff des Dirigenten, oder heute Stardirigenten, geprägt und der Kapellmeister stand für biedere und langweilige Aufführungen. Was natürlich komplett falsch ist. Auch das Herumgekasperle jüngerer Kollegen auf dem Dirigentenpult ist völlig unsinnig und unproduktiv, doch scheint das Publikum das auch zu mögen. Das hat viel mit Psychologie und Übertragung zu tun.

Sie hatten eine Periode, in der Sie über 15 Jahre keine Opern mehr dirigiert hatten. Brauchten Sie Distanz oder hatte das andere Gründe?
Ich habe wirklich sehr intensiv die eigentlich speziell deutsche und schreckliche Entwicklung der Opernregie der siebziger, achtziger und neunziger Jahre aus dem Orchestergraben heraus miterlebt,  wo es – überspitzt ausgedrückt – dem Regisseur  nur darum ging, möglichst heftig ausgebuht zu werden und somit auf der ersten Seite der Feuilletonzeitschriften zu landen. Und irgendwann hatte ich einfach genug davon. Man kann tausendmal sagen, man ist als Dirigent für die Musik verantwortlich, aber wenn sie mit einem verrückten Regisseur eine Produktion vorbereiten müssen, dann sitzen Sie mit dem in einem Boot. Am Schluss habe ich mich nur noch darüber geärgert und beschlossen, keine szenische Oper mehr zu dirigieren. Das habe ich dann auch über 15 Jahre gemacht. Dann kam Bayreuth und das wollte ich wirklich einmal ausprobieren. Ich habe dann dort den Ring dirigiert obwohl ich mit der Inszenierung von Frank Castorf überhaupt nicht einverstanden war.

In Berlin haben Sie den kompletten Wagner konzertant dirigiert und aufgenommen. Bietet die konzertante Aufführung als solche bessere Arbeitsbedingungen und  ermöglicht sie schließlich auch bessere musikalische Resultate.
Auf jeden Fall, obwohl oder gerade das Erlebnis ein ganz anderes ist. Bei der konzertanten Aufführung kann sich der Zuschauer mehr auf das konzentrieren, was im Orchester passiert und natürlich auch auf den Gesang der Solisten. Im Gegensatz zu den bewegungsintensiven Inszenierungen und den oft hinderlichen Positionen, aus den Sänger singen müssen, können sie sich hier hundertprozentig auf Gesang und Phrasierung konzentrieren, was natürlich auch der Zuschauer hört. Auch als Dirigent hat man einfach einen besseren Kontakt zu den Sängern und man kann viel homogener miteinander musizieren. Aber nicht alle Opern eignen sich für konzertante Aufführungen. Ich würde beispielsweise keinen Lortzing konzertant machen, weil das die Handlung einfach notwendig ist. Auch Mozarts Nozze di Figaro ist konzertant eher problematisch. Das ist eine Aktionsoper und soll auch so dargeboten werden. Aber alle anderen Opern, wo Aktion sekundär und das Wort primär ist, eignen sich für konzertante Aufführungen. Sowohl im Verismo, wie auch in der deutschen Klassik und Romantik gibt es sehr viele Opern, die eigentlich keine Inszenierung brauchen, weil Musik und Wort stark genug sind. Die Opern von Wagner sind dafür das beste Beispiel.

Marek Janowski
(c) Philharmonie/Eric Devillet

Sie sind meines Wissens nach neben Christian Thielemann der einzige Dirigent, von dem es zwei offizielle Gesamtaufnahmen des Ringes gibt. Dazwischen liegen mehr als dreißig Jahre. Was hat sich an Ihrem Wagnerbild geändert?
Eigentlich nicht sehr viel. Heute achte ich besser auf die musikalischen Linien, das Deutlichmachen, was in der Partitur steht, das klare Herausarbeiten der kontrapunktischen Leitmotivik im Ring. Der Dresdner Ring, den wir Anfang der Achtziger aufgenommen haben, wurde Jahre im Voraus geplant und jeder Sänger wurde bewusst für die Rolle auserwählt. Beim Berliner Ring mit dem Berliner Radio Symphonieorchester war es anders. Einerseits wollte ich den Ring konzertant machen, eine CD-Veröffentlichung war ursprünglich gar nicht geplant gewesen, andererseits spielten wir in der Berliner Philharmonie und wir mussten uns dem Spielplan der Berliner Philharmoniker, die ja dort Hausrecht haben, anpassen. Wir mussten uns also nach Sängern umsehen, die an den Tagen, wo die Aufführungen stattfanden, Zeit hatten. Das war also eine komplett andere Besetzungspolitik gewesen.

Und wie hat sich der Wagnergesang im Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt?  Man spricht ja immer gerne von einer Sängerkrise, die ich glaube, es eigentlich gar nicht gibt.
Richtig, über dieses Thema wird leider immer noch unwahrscheinlich viel Unsinn verbreitet. Ob heute, ob vor dreißig, fünfzig oder achtzig Jahren,  es hat immer nur eine Handvoll Heldentenöre und Hochdramatische gegeben.  Vor achtzig Jahren ist es für einen Tristan-Tenor schwer gewesen, lebend zum Ende zu kommen und es ist auch heute für einen Tristan-Tenor schwer, lebend zum Ende zu kommen. Das gilt für Tristan, das gilt für Tannhäuser, das gilt für Siegfried. Da muss ein Dirigent helfen, indem er dynamisch bestimmte Dinge variiert und sich der Tagesform des Sängers anpasst.

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