Marco Pütz, gerade wurde Ihr Werk Euphonia‘s Voice für Euphonium in der Philharmonie vom Luxembourg Philharmonic uraufgeführt, obwohl es schon vorher von einem anderen Orchester eingespielt wurde.
Ja, Euphonias’s Voice ist ein Auftragswerk der Philharmonie Luxemburg und des Luxembourg Philharmonic. Ich habe diesen Auftrag vor rund 7 Jahren erhalten und habe das Werk 2019 fertiggestellt. Leider ist dann die Corona-Krise dazwischengekommen und hat die ganze Planung dann über Bord geworfen. Währenddessen war allerdings der deutsche Dirigent Alexander Merzyn, Generalmusikdirektor in Cottbus, auf meine Musik aufmerksam geworden und führte mein Tuba-Konzert auf. Er war von meiner Musik sehr begeistert, und wollte mehr davon dirigieren und sogar aufnehmen. Euphonia’s Voice, da es sich im ein Auftragswerk der Philharmonie handelte, durfte aber nicht öffentlich gespielt werden. Liebenswürdigerweise gaben mir die Verantwortlichen der Philharmonie aber grünes Licht, um das Werk mit einigen anderen meiner Kompositionen wie Moods, Chapters of Life, Elegia und Strömungen für ein Naxos-Album einzuspielen, dies mit dem Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus unter Alexander Merzyn. Ich habe mein Werk, wie auch die anderen, bei Kunzelmann verlegen lassen, die wiederum Zugang zum weltweit größten Verleger Zinfonia haben.
Das kann schon dann auch schon frustrierend sein, wenn man ein Auftragswerk komponiert hat und die Aufführung kommt nicht zustande.
Natürlich. Alle Komponisten wollen ja, dass ihre Werke aufgeführt werden. Und dieses Werk sollte Teil eines Projekts sein, bei dem die Philharmonie Auftragswerke für selten gespielte und eher unbekannte Solo-Instrumente verteilt. Ein sehr interessantes Projekt an sich, aber ich weiß nicht, ob diese Idee jetzt nach dem Lockdown beibehalten wurde. Aber ich will nicht klagen; Corona hat alles über den Haufen geworfen und vieles in der Klassikszene musste danach neuorganisiert werden.
Aber in der Zwischenzeit und eben nach Euponia‘s Voice sind bereits weitere Werke entstanden.
Ja, ich habe gerade meine 2. Symphonie abgeschlossen. Meine 1. Symphonie, die Four Coulours Symphony, wurde im Februar in Cottbus uraufgeführt und auch aufgenommen. Komponieren ist ein kontinuierlicher Prozess. Momentan finde ich sehr viel Freude an der symphonischen Musik und ich bewege mich momentan auch eher in diese Richtung. Die Beschäftigung mit den Streichinstrumenten ist schon eine echte Herausforderung für mich als Bläser, aber ich merke, gerade dies öffnet mir neue Horizonte. Ich muss aber auch sagen, dass ich mein erstes Streichquartett schon 2004 komponiert habe, mein erstes ernstzunehmendes Stück für Symphonieorchester war Moods 2009, das ich allerdings 2021 noch einmal überarbeitet habe. Also ganz neu bin ich in dieser Domäne nicht (lacht).
Ist es heute eigentlich einfacher, ein modernes Werk für Blasorchester, resp. Brass Band zur Aufführung zu bringen, als jetzt ein sogenanntes zeitgenössisches Stück für Symphonieorchester? Und warum?
Die spontane Antwort auf die erste Frage müsste JA lauten, schon alleine deshalb, weil es eine viel größere Anzahl von Blasorchestern und Brass Bands gibt, als Symphonieorchester. Aber so einfach ist das mit der schnellen Antwort dann doch nicht. Da es sich bei den allermeisten Blasorchestern und Brass Bands um Amateurorchester handelt, muss man diesem Umstand als Komponist schon Rechnung tragen, d.h. wenn man möchte, dass ein etwas komplexeres Stück auch aufgeführt wird, muss man schon einige Kompromisse machen, was den Schwierigkeitsgrad betrifft. Diese Kompromisse betreffen leider auch allzu die Dirigenten vieler Amateurorchester. Verzichtet man als Komponist auf diese Kompromisse, bleiben hier nur einige wirklich gute Amateurorchester bzw. Profi-Orchester übrig, die dann auch eine zufriedenstellende Interpretation von schwierigen Werken garantieren können.
Bei Kompositionen für Symphonieorchester ist das anders: Die meisten sind Profi-Orchester, denen man als Komponist in technisch-musikalischer Hinsicht alles zumuten darf – auch den Dirigenten, soweit diese offen sind für Neue Musik – und damit meine ich nicht unbedingt neue avantgardistische recherchierte Musik, die für Orchester und Dirigenten sehr fordernd sein kann. Davon abgesehen sind Profiorchester für Komponisten immer ein Gewinn, sowohl für die Umsetzung ihrer Ideen beim Komponieren, als auch für die Qualität der späteren Aufführung. Die Schwierigkeit, um solche Aufführungen mit Symphonieorchester hier in Luxemburg zu garantieren, liegt einerseits an der kleinen Zahl von Profi-Orchestern wie eben das Luxembourg Philharmonic, die Solistes Européens Luxembourg und das Orchestre de Chambre du Luxembourg, andererseits an der für das kleine Land doch beachtlichen Anzahl von Komponisten, die sich Aufführungen und Orchester teilen müssen. Auch finde ich es schade, dass im normalen Konzertbetrieb, außer einigen wenigen Uraufführungen, nicht mehr Luxemburger Komponisten programmiert werden. Ich für meinen Teil bin in der glücklichen Lage frei entscheiden zu können, was und für wen ich komponiere. Deshalb habe ich von 2022 bis 2024 zwei Symphonien und ein Werk für Sopran-Saxophon-Solo, Streicherorchester, Pauken und 2 Schlagzeuger geschrieben, von denen nur das letztgenannte Stück ein Auftrag war.
Kommen wir auf Euphonia’s Voice zurück. Wie kann man sich denn die Genese eines solchen Werkes vorstellen?
Also, zuerst kommt ja, wie im Falle von diesem Konzert, der Auftrag, wo auch definiert wird, für welche Besetzung und auch wie lange das Werk dauern wird. Bei Euphonia’s Voice waren das natürlich das Solo-Instrument Euphonium und ein großsymphonische Besetzung. Die Dauer war auf rund 15-20 Minuten festgelegt. Ich selber bin ja Saxophonist und komme somit aus dem Bläserbereich, so dass ich das Instrument und seine Klangmöglichkeiten gut kenne. Ich konnte mir also hier sofort vorstellen, wie ich das Euphonium künstlerisch und musikalisch am besten in Szene setzen und seine Möglichkeiten, sowohl klanglich wie auch virtuos, voll ausloten konnte. Was mir aber sofort klar war, ich wollte kein Sow-Stück schreiben, so wie das im Bereich der Brassband nach dem Motto « immer höher, immer schneller, immer lauter“ üblich geworden ist. Immer eins draufsetzen und mit einem langen, spektakulären Schlussakkord enden, das wollte ich nicht. Ich wollte zwar virtuose Passagen miteinbauen, habe aber sehr viel Wert auf Kantilenen. Lyrisch-expressive Passagen und einen schönen Klang gelegt. Das Ganze ist ziemlich tonal, besonders der langsame Mittelsatz. Hier kann der Solist dann wirklich auf seinem Instrument singen. Ich habe mich auch übrigens während des Prozesses immer wieder mit Philippe Schartz ausgetauscht, und er hat mir gezeigt, was möglich ist und wie das dann in Wirklichkeit auch klingt. Gerade bei einem Blasinstrument ist es ungeheuer wichtig, die natürliche Atmung zu berücksichtigen und das Werk demnach so zu komponieren, dass der Solist immer genug Zeit hat, zu atmen.
Es ist also keine experimentell-avantgardistische Musik.
Nein, auf keinen Fall. Mir geht es um die Musik selbst und um das Instrument. Warum soll ich ein wunderbares Instrument wie das Euphonium mit allerlei Schnickschnack verfremden. Musik ist für mich keine mathematische Gleichung. Ich brauche nicht das Geburtsdatum meiner Großmutter als Anreiz, um damit ein Werk zu schaffen. Das ist vielleicht etwas konservativ gedacht, aber ich bin der Überzeugung, dass Musik auch immer musikantisch sein soll, was aber nicht heißt, dass ich Atonalität ablehne. Man muss nur wissen, wo und zu welchem Zweck man sie einsetzt. Musik, die nach einem rein mathematischen Schema komponiert wird, ist ohne Leben und Emotionen. Mathematische Spielereien, nein, das ist nichts für mich. Euphonia’s Voice ist ganz klassisch auf die Anatomie des Instruments hin komponiert. Ich liebe es an sich, zweigleisig zu fahren. Ich komponiere weiter für Bläser, aber seit 2009 widme ich mich auch vermehrt der symphonischen Musik.
Elegia war mein erstes Stück für Symphonieorchester, ein sehr persönliches Werk, das ich damals als Andenken für meinen verstorbenen Schwager komponiert hatte und was auf dem Bach-Choral O Haupt voller Blut BWV 244/54 basiert. Ich habe es dann 2021 noch einmal überarbeitet. Wichtig für meinen Weg waren dann auch die Auftragswerke für Moods, 2013 und Strömungen, 2014. Beide wurden von den Solistes Européens Luxembourg unter Christoph König in der Philharmonie uraufgeführt.
Und die Form?
(lacht) Auch hier bleibe ich eher klassisch und habe mich für drei Sätze mit den Bezeichnungen Intrada, Cantilena und Dance entschieden, die allerdings attacca gespielt werden und somit fließend ineinander übergehen. Natürlich hängt es auch von der Dauer ab. Aber für ein Werk, das rund 18 Minuten dauert, sind drei Sätze ideal. Meine Symphonien sind dagegen größer angelegt. Die Four Colours Symphony hat vier Sätze, nämlich Black, Red, Blue und Yellow und dauert rund 40 Minuten. Meine 2. Symphonie Worte für Mezzosopran und mit Texten von Ingeborg Bachmann, Nelly Sachs und Anna Achmatowa hat sieben Sätze und dauert rund 42 Minuten.
Woher kommen denn die Ideen für die Musik?
Die kommen spontan. Wenn ich weiß, welches Stück ich schreiben soll, habe ich sehr schnell ein erstes Thema oder eine Melodie. Und da arbeite ich dann weiter, ich variiere, es kommt ein zweites Thema hinzu, ich versuche die verschiedenen Instrumentierungen, suche Klangfarben, usw. Oft ist das erste Thema aber nicht unbedingt jetzt das Hauptthema des Beginns. Es kann sich nachher zu einem zweiten Thema entwickeln oder erst ganz am Schluss auftauchen. Wichtig ist, dass zum Schluss einen Bogen gibt, der vom Anfang bis zum Schluss führt. Oft verweise ich musikalisch im letzten Satz noch einmal auf den Anfang des Stückes. Musik soll einen Wiedererkennungswert besitzen, damit sich der Zuhörer in ihr zurecht finden kann. Das gilt auch für die zeitgenössische Musik. Das darf allerdings nicht aufgesetzt sein oder gekünstelt wirken, es muss dem Stil des Komponisten entsprechen. Auf jeden Fall darf man den Hörer nicht alleine lassen, wenn er sich in der Musik nicht zurecht findet, dann verliert er schnell das Interesse daran.
Ist das denn der Unterschied zwischen guter und schlechter Musik?
Sagen wir es so. Schlechte Musik besitzt keine Tiefe, keine Substanz und keine Phantasie. Sie ist meistens sehr linear komponiert, im negativen Sinne repetitiv, es gibt keine originellen Akkorde, Soli oder Instrumentendialoge. Die Motive lassen sich nicht weit entwickeln. Die Orchestration ist eintönig. Als Komponist muss man auch Abwechslung ins musikalische Geschehen bringen. Mal dominieren die Streicher, mal das Holz, mal das Blech oder das Schlagzeug. Auch kann man regelmäßig neue Instrumente ins Klanggeschehen Einbinden. Tempowechsel, Rhythmus, Klangfarbe, Lautstärke, damit will experimentiert werden. Und wenn die Mischung stimmt, dann kann schon mal gute Musik dabei entstehen (lacht).