Um das 'Pittsburgh Symphony Orchestra', dessen 'Music Director' Manfred Honeck ist, aber auch Orchesterklang, Interpretation und Gustav Mahler geht es in diesem Interview von Alain Steffen.

Manfred Honeck
(c) Jason Cohn

Was ist für Sie das Reizvolle an einem Orchester wie dem ‘Pittsburgh Symphony’?
Die amerikanischen Orchester haben den Ruf, sehr auf Präzision zu gehen und bestmöglichst vorbereitet zu den Proben zu kommen. Zudem haben diese Orchester ein unheimliches Klangpotential, sind also wirkliche Klangkörper. In Pittsburgh aber kommt noch ein Element hinzu, das mir sehr wichtig ist. Die Musiker spielen nicht nur technisch erstklassig oder kommen sehr gut vorbereitet zu den Proben, nein, bei diesen Musikern spürt man den Willen, ganz tief in die Musik einzutauchen und dem Wesentlichen auf die Spur kommen. Und gerade das ist es, was mich interessiert. Was nützt die ganze Präzision, wenn man den Kern der Musik nicht begreift? Wenn ich die Wahl zwischen technischer Präzision und empfundener Musik hätte, dann würde ich mich immer für die Musik entscheiden. Das heiβt, ein Akkord bei den Streichern beispielsweise, muss bei mir nicht unbedingt immer zusammen sein. Es kann durchaus sein, und ich verlange es auch, dass der Kontrabass einen kleinen Moment früher einsetzt. Warum? Erst einmal weil die Saiten später ansprechen und andererseits weil der Akkord selber eine Basis braucht und daher früher wahrgenommen werden muss. Das war auch ein Trick von Furtwängler und das machte einen Teil seiner ganz speziellen Klangvorstellung aus. Furtwängler war nie jemand, der unbedingt auf Präzision aus war, sondern er begriff die Musik als etwas Organisches. Sein Klang kam immer von unten, weil er eben die dunklen Streicher oft einen Deut früher einsetzen lieβ. Und mit den Musikern des ‘Pittsburgh Symphony’ kann man genau das machen, weil sie auch dafür technisch sehr versiert sind und Gefallen am Entstehen eines Klanges haben. Mahlers Musik, die uns zur Zeit sehr beschäftigt, verlangt gerade nach solchen Kunstgriffen, die eine Interpretation dann wirklich musikantisch werden lassen. Schauen Sie, oft haben die Menschen nach einem Konzert das widersprüchliche Gefühl, einerseits an einem absolut präzisen und technisch brillant gespielten Konzert teilgenommen zu haben, andererseits aber die Musik nie wirklich empfunden zu haben. Gerade das kommt vor, wenn Interpreten sich sagen: Kommt, wir machen alles präzise und gehen dann nach Hause.

Was ist denn das Spezifische am Klang des Pittsburgher Orchesters?
Man kann hier keine eindeutige Antwort geben, weil das Element Klang von so vielen verschiedenen Faktoren abhängig ist. Klang hat sehr viel zu tun mit der Sprache, die der Musiker spricht. Härtere Sprachen bringen oft einen härten Ton im Spiel mit sich. Klang hat sehr viel mit dem kulturellen Umfeld zu tun, in dem man aufwächst. Mit den Musikhochschulen, die man besucht. Klang hat ebenfalls sehr viel mit dem Instrument zu tun. Denken Sie da an die Wiener Oboe. Die wird nur in Wien gespielt, nirgendwo anders auf der Welt. Das ist Tradition. Die tschechischen Hörner haben ihre eigene Schule und man versucht natürlich, diese Traditionen weiterzugeben und am Leben zu erhalten. Gerade heute, wo durch die Internationalisierung alles zu verwässern droht und landestypische Orchester ihren Charakter nach und nach verlieren, ist das wichtig. Wir haben in Pittsburgh nur Amerikaner oder amerikanisierte Asiaten im Orchester. Und das ist bei den meisten amerikanischen Orchestern so. Warum? Weil das Land sehr, sehr groβ und demnach die Zahl erstklassiger Musiker sehr hoch ist. Es ist üblich, dass sich bei uns zwei bis dreihundert wirklich erstklassige Kandidaten für einen Posten bewerben. Und da spielt einer besser als der andere. Eine letzte, wichtige Komponente ist natürlich der Dirigent, der eine eigene Klangvorstellung hat oder den klang in eine gewisse Richtung lenkt. Wenn ein Dirigent wirklich am Klang interessiert ist, dann kann er den Klang eines Orchesters auch verändern. Nehmen Sie Herbert von Karajan. Über Jahrzehnte hat er den typischen Klang der Berliner Philharmoniker geformt und sie haben so gespielt, wie er sich das vorgestellt hat. Danach haben Claudio Abbado und Simon Rattle jeweils ihre Klangvorstellungen bei den Berlinern durchgesetzt. Und auf CDs kann man ganz genau überprüfen, dass die Berliner heute nicht mehr so klingen, wie sie unter Karajan geklungen haben.

Inwieweit spielt die Epoche der Komposition oder die Handschrift des Komponisten eine Wichtigkeit bei der Erarbeitung des Klanges?
Da ist natürlich der Dirigent sehr gefordert. Wir haben die Aufgabe, auf die Ursprünge zurückzugehen. Das wird sehr deutlich in der historischen Aufführungspraxis. Harnoncourt ist bis zu den Ursprüngen zurückgekehrt und wollte ein möglichst authentisches Klangbild. Somit ging er weiter als die meisten Dirigenten und passte das Instrumentarium der Epoche einfach an. Ich persönlich bin da nicht so radikal, denn ich bin nicht der Meinung, dass man ein ganzes Stück ohne Vibrato spielen muss. Ich gehe nicht jeden Tag Sushi essen und brauche mein Wiener Schnitzel auch. Vibrato ist ein Ausdrucksmittel, und ich gebrauche es dann, wenn die Musik es braucht. Die Musik fordert aber noch viel, viel mehr. Ich behaupte, dass es ebenso einen Mahler- wie einen Brucknerklang gibt. Nur, man darf das nicht als etwas Dogmatisches ansehen, sondern man muss etwas aus diesem Klang machen können. Da gibt es unendlich viele Möglichkeiten. Nehmen wir einmal die Orchesteraufstellung. Ich habe in Pittsburgh die Aufstellung 1. Geigen links, 2. Geigen rechts, Celli und Kontrabässe auf der linken Seite. Und es ist interessant zu sehen, dass man bis 1920 in dieser Aufstellung gespielt hat. Mahler hat seine 2. Geigen rechts platziert, das heiβt, als Hörer erlebt man in den Geigen einen Stereoeffekt, den Mahler so gewollt hat. Wenn ich die 2. Geigen aber jetzt neben den 1. Geigen links von mir habe, ergibt das ein komplett anderes Klangbild, das allerdings nicht den ursprünglichen Wünschen des Komponisten entspricht. Darüber hinaus haben sich unsere technischen Möglichkeiten verbessert, sowohl die der Instrumente wie auch die der Musiker selbst, so dass wir heute den Absichten der Komponisten weitaus näher kommen als das früher der Fall war.

Sie sind ein Dirigent, der sich nicht nur auf das groβe Repertoire beschränkt, sondern auch weniger bekannte Werke aufführt, wie beispielsweise die Symphonien von Max Bruch.
Ich finde es wichtig, als Interpret auch Fürsprecher weniger bekannter Komponisten und Werke zu sein, sofern die Musik auch qualitativ gut ist. Und das ist bei Max Bruch der Fall. Von ihm sind ja nur das Violinkonzert und die Schottische Fantasie bekannt, und das ist schade, denn dieser Komponist ist groβartig. Bruch hat tolle Symphonien geschrieben und es ist bedauerlich, dass gerade heute, wo wir unendlich viele Möglichkeiten haben, dieser Musik irgendwie gerecht zu werden, noch immer nicht genügend Anstrengungen unternommen werden. Wir haben die Aufgabe, auch solche Werke bekannt zu machen. Das gilt übrigens auch für Mendelssohn, der, obwohl er weitaus mehr aufgeführt wird als Bruch, im Musikleben immer noch nicht die Rolle spielt, die er eigentlich spielen müsste. Oder Walter Braunfels, der von Nazis verleugnet und verfemt worden ist. Man merkt immer mehr, welch destruktiven Impakt das Nazi-Regime auf die Kunst und die Musik hatte, so dass Komponisten wie Mahler, Mendelssohn oder Braunfels lange Jahre unter den Folgen zu leiden hatten. Aber glücklicherweise wächst nun eine Musikergeneration heran, die sich von diesen und auch anderen Vorurteilen freigemacht hat und mit sehr viel Begeisterung und Entdeckerlust einen neuen Wind in die klassische Musikszene bringt.

Sie beschäftigen sich viel mit Mahler und haben einen Zyklus mit Aufnahmen seiner Symphonie gestartet.
Mahler ist für mich einer der interessantesten Komponisten überhaupt. In seinen Werken hat er sich immer mit dem Sinn und den Fragen des Lebens beschäftigt, und das auf eine sehr persönliche, tiefe und ehrliche Art und Weise. Auf der anderen Seite zeigte er ein groβes Interesse für die böhmisch-österreichische Volksmusik. Und von diesen beiden Komponenten müssen wir ausgehen. Die Zeit hat sich geändert oder ändert sich permanent und damit auch das Verhältnis zum Sinn des Lebens. Die Tiefe von Mahlers Musik begreift man in Kriegsjahren anders als in den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs. Und das Verhältnis der Menschen zur Volksmusik hat sich besonders drastisch verändert, so dass heute kaum noch einer weiβ, wie die Volksmusik damals gespielt wurde. Wir können heute rein technisch natürlich einen Walzer oder Ländler spielen, aber wir empfinden diese Musik heute nicht mehr so wie in der Zeit, wo die Menschen einen engen Bezug dazu hatten.
Ich hatte das große Glück, dass mein Vater darauf bestand, mich ich als Kind Zither spielen zu lernen, was doch eines der typischsten österreichischen Volksmusikinstrumente ist. Der Lehrer hat nicht einmal richtig Noten lesen können, doch er wusste intuitiv, aus der Tradition heraus, wie die Märsche, Polkas und Walzer mit diesem ganz besonderen Etwas gespielt wurden, das man einfach nicht notieren kann. Das Musikantische stand bei ihm ganz im Vordergrund, dieses etwas derbe Böhmische. Damals habe ich das alles nicht so ernst genommen, aber heute weiβ ich, wie wichtig dieser Lehrer doch für mein Verständnis von Mahlers Musik war. Wenn man Mahlers Umgang mit der Volksmusik respektiert, erkennt man sehr schnell, dass Mahler gerade hier den Zeitgeist der Dekadenz und des ‘Fin-de-siècle’ im damaligen Wien sehr gut heraus gespürt hat. Mahlers Musik darf nie so klingen, wie Sacher-Torte schmeckt, obwohl sie unheimlich lecker ist (lacht).

Gibt es für Sie auch Mahler-Symphonien, bei denen Sie sagen würden, dass sie qualitativ nicht so gelungen wären?
Im Gegenteil, ich würde mich nie trauen, etwas Negatives über Mahlers Musik zu sagen, weil sie einfach total ehrlich ist. Der kümmert sich nicht darum, was das Publikum hören möchte, der kümmert sich nur um das, was er als Komponist spürt und wie er seine Welt wahrnimmt. Jede seiner Symphonien hat ihr eigenes Charisma.

  • Pizzicato

  • Archives