Es ist erstaunlich oder auch beängstigend, dass immer wieder Menschen zwei Seiten zu haben scheinen. Galeazzo Maria Sforza, um die Mitte des 15. Jahrhundert Herzog von Mailand, war einerseits für seinen grausamen, tyrannischen und wollüstigen Charakter bekannt, andererseits aber ein großer Förderer der Kunst. Insbesondere hielt er sich eine höfische Sängerkapelle, in dem die damaligen Größen der Musikwelt vertreten waren. Aber vielleicht ging es ihm nicht (nur) um die Musik, sondern um das, was man heute mit ‘mein Haus’, ‘mein Auto’, ‘meine Yacht’ beschreiben würde, also Geltungssucht.
Lassen wir die Antwort offen, um bloß zu registrieren, dass der auch heute weithin bekannte Josquin des Prez ebenso an seinen Hof gelangte wie die hier eingespielten Agricola, Compère und van Weerbecke. Van Werbecke als Leiter und Organisator der Sängerkapelle sowie Loyset Còmpere waren dabei die wesentlichen Komponisten am Hof.
Im Mittelpunkt steht die Missa Galeazescha von Loyset Còmpere, fünfstimmig(?) zu Ehren der Jungfrau Maria komponiert. Ob sie zu Lebzeiten des Herzogs, als sein Requiem oder zu einem anderen Anlass oder gar anderenorts geschaffen wurde, ist ebenso wie viele Lebensdaten des Komponisten. Merkwürdig ist, dass die Besetzung zunächst als für fünf Gesangslinien, mit zwei Tenorstimmen, geschrieben scheint. Diese beiden Stimmen wechseln sich aber ab im Gesang oder sind, wenn sie denn an wenigen Stellen zusammen geführt werden, unisono. Auch der Sinn dieser Gestaltung ist nicht klar. Dass es sich um wunderbare Musik der Renaissance handelt, steht jedoch außer Frage.
Gespickt werden die Sätze der Messe mit Werken des Leiters der Sängerkapelle, Gaspar van Weerbecke, sowie anderen Komponisten des Hofes, nämlich Alexander Agricola, Heinrich Lübeck sowie Johannes Martini.
Gewürzt wird die Aufnahme durch unterschiedliche Besetzungen. Sie reichen von Orgel (Liuwe Tammings) über Chor (Odhecaton), tiefe Bläsergruppe (La Pifarescha), Ensemble Pian&Forte (Trompeten) sowie ein gemischtes Ensemble (La Reverdie). Die Gesamtleitung hat Paolo Da Col. Sie alle bieten eine spannende Hörreise in vergangene Zeiten an. Die Beteiligten erfüllen ihre Aufgaben samt und sonders mit Aplomb und großem Können.