Wenn ein Orchester aus ausgewählten Mitgliedern, allesamt führend bei ihrem Instrument und ein ihm verbundener Dirigent in einer dem täglichen Betrieb entrückten entspannten Atmosphäre zusammen musizieren können, dann kann daraus Großes entstehen.
Das von Claudio Abbado ins Leben gerufene Orchester hat mit Chailly eine neue Zeit begonnen. Und natürlich sind zwei so große aber auch verschiedene Musiker wie diese beiden Dirigenten im Umgang mit einem Orchester grundverschieden. Bei Chailly sieht man die konzentrierte und definierte Vorgehensweise, die trotzdem den Musikern im Ensemble die erforderlichen Freiheiten lässt, um sie zum Leuchten zu bringen. Diese Zusammenbindung hat bereits in kurzer Zeit zu einem neuen und auch ausgezeichneten Ergebnis geführt. Vielleicht ist auch eine strengere Vorgabe, auch wenn alle Beteiligten sicher selbst kontrolliert sind und ihr Tun hinterfragen, auch nicht das Verkehrteste, um doch noch einen weiteren gemeinsamen Schub zu erreichen.
Wenn ein reines Ravel Programm serviert wird, dann kann das auch langweilen. Oder das Menu wird so beziehungsreich aufgebaut und fein gewürzt aufgetischt, dass der Appetit mit jedem Happen größer wird. So taten es die Festivalmusiker, indem sie die Valses nobles et sentimentales vor La Valse stellen und letztere ohne Unterbrechung folgen ließen. Mit den Valses wollte Ravel einen orchestralen Klang erschaffen, der mehr durch Klarheit und Transparenz als durch Virtuosität besticht. Gleichzeitig hielt er die Valses für eines seiner am schwierigsten zu interpretierenden Werke. Beidem wird die Interpretation gerecht. Chailly vermeidet es schon, effektheischend und großspurig zu agieren. Vielmehr lässt er die Valses auf Sparflamme beginnen, aber nicht etwa sentimental, sie schwingen sanft und elegant, ohne Wiener Schmäh zu bemühen, sie erklingen mondän glitzernd. Die direkt anschließende La Valse sollte eine Art Apotheose des Wiener Walzers sein, bei der Ravel die Walzerseligkeit in verzerrte Rhythmen und dissonante Harmonien überführt und das Stück in Gewalt und Chaos enden lässt. Auch diese Entwicklung lässt Chailly herausspielen und sich zwanglos, aber zwingend entwickeln.
Wie immer bei Ravel sind auch die Auszüge aus dem Daphnis et Chloé herrlich orchestriert und voller Finesse in der Stimmungsdarstellung. Auch diese Musik lässt Chailly natürlich fließen, ohne Mätzchen und unnötige Betonungsexzesse. Die Musiker scheinen sich mit Hingabe, auf jeden Fall sehr süchtig an ihrer eigenen Tonerzeugung zu ergehen.
Ebenso natürlich wird das Stück ohne Musik, also der Bolero, entwickelt. Wunderbar ergötzen sich die Bläser an ihren jeweiligen Soli, die sie über den immer markanter zupfenden Pizzicato-Streichern ausleben. Das Tempo zieht, anders als meistens, nicht an und das Stück schreitet trotzdem stringent voran.
Das Orchester ist hier der Star und trotzdem darf man insbesondere die Holzbläser erwähnen, die den Abend über Wunderbares leisten. Und aus diesen ragt der Flötist Jacques Zoon so dezent wie strahlend mit seinem weichen und doch bissfesten Ton traumsicher heraus.
Chailly also ist ein agierender Maestro, akkurat, der die Fäden in der Hand hält. Aber er arbeitet mit den Musikern im Orchester zusammen, strebte nie nach Effekt und, bleibt auch im Applaus bescheiden.
Die technische Aufbereitung ergänzt die wunderbaren musikalischen Vorgaben.