Ein Interview von Remy Franck

Die Geigerin Lena Neudauer, 1984 in München geboren, erhielt 2011 für ihre Schumann-CD bei Hänssler Classics den Preis der ICMA in der Kategorie ‘Concertos’. Nun hat Sie eine neue Schallplatte beim selben Label herausgebracht, die das Gesamtwerk für Violine von Maurice Ravel enthält. « Sie ist wiederum preisverdächtig », sagt Remy Franck. Die Supersonic-Auszeichnung wurde ihr jedenfalls schon zuerkannt (die Rezension finden Sie am Schkuss des Interviews). Die Geigerin stellen wir im folgenden Artikel vor.

Obwohl Lena Neudauer schon sehr früh eine außergewöhnliche Begabung zeigte, sah sie sich selber nie als Wunderkind. Mit 11 Jahren kam sie in die Klasse von Helmut Zehetmair an das Mozarteum Salzburg. Internationale Aufmerksamkeit errang sie, als sie 15-jährig spektakulär den Leopold-Mozart-Wettbewerb in Augsburg nicht nur gewann, sondern auch nahezu alle Sonderpreise erhielt. Doch sie entschied sich gegen den frühzeitigen Beginn einer Star-Karriere und stieg erst gar nicht ins Konzertgeschäft ein. Stattdessen ging sie ihrem Geigenunterricht nach, spielte viel Kammermusik und neue Musik, heiratete und freute sich über die Geburt von zwei Kindern.

Und wie ging es dann weiter?
Tja, als ich 21 war, dachte ich: So kann das nicht weiter gehen, ich muss spielen, ich muss das jetzt doch in die Hand nehmen. Ich habe mich darum gekümmert, eine Agentur zu finden, frühere Kontakte zu beleben, und genau so natürlich, wie es aufgehört hatte, ging es dann auch wieder weiter. Und das obschon man eher denken könnte, mit zwei kleinen Kindern würde man das nicht unbedingt tun wollen. Aber es gibt nichts Schöneres für mich, als Musik zu machen, als Geige zu spielen. Und darauf wollte und will ich mich konzentrieren. Was mich in meiner Jugend irritiert hat und was ich heute immer noch nicht voll akzeptiere, ist das ganze Drumherum, diese Maschinerie des Musikbetriebs, in die man sich einfügen muss. Ich habe die Geige aber auch nie beiseite gelegt, ich habe immer weiter gespielt, weiter studiert. Es ging in dem Konflikt, den ich hatte, ja auch nicht um die Geige, es ging darum, nicht bedingungslos Karriere zu machen. Und heute geht es darum, die Karriere mit dem Unterrichten und der Familie in Einklang zu bringen.

Und wie passt das alles zusammen?
Das frage ich mich auch manchmal, wie das geht. Es ist mal leichter und mal schwieriger. Manchmal freue ich auf die Fahrt von München zur Hochschule nach Saarbrücken, kann im Zug lesen und entspannen. Und an anderen Tage empfinde ich es doch als weit und mühsam.

Nun ist das Ganze ja ein Beruf. Und zum Beruf gehört die Leidenschaft. Wo liegt die bei Ihnen?
Im Empfinden von Musik, beim Hören, beim Spielen oder beim Über-Musik-Nachdenken. Unterrichten mache ich sehr gerne, es ist interessant, jungen Musikern auf einen Weg helfen zu können. Es ist auch für mich bereichernd, weil ich die Dinge sehr viel kritischer wahr nehme und auch mein eigenes Spiel kritischer betrachte.

Auf Ihrer ersten CD, die, welche den ICMA-Preis gewonnen hat, spielen Sie Schumann. Haben Sie eine Präferenz für die deutsche Romantik?
Nein, ich bin sehr offen für ein breites Repertoire. Ich liebe Barockmusik und zeitgenössische Musik. Die klassische Periode mag ich sehr, besonders Mozart. Aber ich liebe auch Ravel sehr, so sehr, dass er im Mittelpunkt meiner nächsten CD steht.

Warum gerade Ravel?
Er interessiert mich als Persönlichkeit. Ich glaube, dass er als Person schwer zu fassen war, eher unnahbar. Seine Marotte, Kitsch, Kuriositäten und Fälschungen zu sammeln, findet für mich eine Entsprechung in seiner Musik: Er hat sich ja in der Weltmusik bedient, da und dort etwas gefunden, das er dann zu Eigenem verarbeitete. Ich hätte Ravel gerne persönlich kennen gelernt.

Und wie sind Ihre Erfahrungen mit zeitgenössischer Musik?
Ich liebe es, Erfahrungen mit neuer Musik zu machen, ich liebe es, neue und ungewöhnliche Klangformen zu erproben, bis hin zum Geräusch…Ich liebe es auch, das Publikum mit dieser neuen Musik in Kontakt zu bringen und Vorurteile abzubauen. Selbstverständlich gibt es in der neuen Musik gute und weniger gute Kompositionen. Manchmal bekommt man Notenmaterial, das so unübersichtlich ist, dass man erst einmal gar nichts versteht. Und wenn dieses Erarbeiten sich dann zu schwierig gestaltet, kommt es auch vor, dass ich die Musik einfach zur Seite lege… Wenn es keine Freude macht, zu spielen, lasse ich es besser sein.

Sie spielen auf einer Geige von Lorenzo Guadagnini aus dem Jahr 1743…
Ich war vor kurzem bei einem Wiener Geigenbauer, der mir erklärte, Guadagnini habe in seinem Atelier selber wohl nie eine einzige Geige gefertigt. Wie dem auch sei, ich liebe den Klang meiner Guadagnini so sehr, dass ich sie nie gegen ein anderes Instrument eintauschen möchte. Ich bin total glücklich damit.

Wie verlief Ihre erste Begegnung mit dem Instrument?
Oh, das war sehr speziell. Ich fand die Geige nicht besonders attraktiv, sie machte mir den Eindruck, sehr gross und etwas plump zu sein, doch als ich dann die ersten Töne spielte, war ich ganz begeistert von ihrem starken und tiefgründigen Klang.

Wann haben Sie überhaupt begonnen, Geige zu spielen?
Ich war drei Jahre alt, als mein zwei Jahre älterer Bruder begann, Violine zu studieren. Da wollte ich das sofort auch tun. Meine Eltern gaben nach, und ich bekam einen phantastischen Lehrer, so dass ich eigentlich spielend Musik lernen konnte. Dennoch erinnere ich mich, dass ich doch recht viel üben musste und wenig Freizeit hatte. Es war nicht immer einfach. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass dieses frühe Studium wesentlich war für meinen späteren Werdegang,

Sie sind anfangs nach der Suzuki Methode unterrichtet worden. Ab welchem Alter, glauben Sie, braucht man mehr?
Ich habe mit drei Jahren angefangen und kam mit sechs Jahren zu einem anderen Lehrer. Vielleicht war das schon etwas spät…

Welcher Geiger hat Sie am meisten beeinflusst?
Thomas Zehetmair, bei dem ich ja auch studiert habe. Ich bewunderte ihn sehr, hatte alle seine Aufnahmen und habe viel von ihm gelernt.

Er ist bekannt dafür, sehr analytisch zu sein…
Ja, bei ihm ist wohl der Kopf das Wichtigste, und das unterscheidet mich von ihm. Ich spiele eher aus dem Bauch heraus.

Jetzt ist Ihre Ravel-Platte erschienen, haben Sie weitere Aufnahmeprojekte?
Ja, und ich weiß, dass das sehr wichtig ist, aber ich brauche Zeit dafür, ich will mich nicht drängen lassen. Ich muss mich manchmal forcieren, in diesem schnelleren Rhythmus zu funktionieren, der die Musikwelt von heute prägt, in der es, habe ich den Eindruck, auch manchmal eher darum geht, dass man gut aussieht … Für mich ist in meiner Karriere vor allem die Abwechslung wichtig. Je vielfältiger und bunter meine Pläne sind, umso lieber sind sie mir.

Lena Neudauer & Remy Franck Photo: ICMA/Martin Hoffmeister

Lena Neudauer & Remy Franck
Photo: ICMA/Martin Hoffmeister

SEHR SENSUELL

Supersonic – M. Ravel: Sonate posthume pour violon et piano, Habanera, Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré, Sonate pour violon et violoncelle, Kaddish,Tzigane, Sonate pour violon et piano; Lena Neudauer, Violine, Paul Rivinius, Klavier, Julian Steckel, Cello; 1 CD Hänssler Classic 98.002; 2012 (70′)

Vor zwei Jahren überraschte uns Lena Neudauer mit einer Schumann-CD, die wir für die ICMA nominierten und der die ICMA-Jury später einen Award in der Kategorie ‘Konzerte’ gab.

Diese neue Ravel-CD ist wiederum preisverdächtig. Der Höhepunkt des Programms ist die sensuelle, wie ein 20 Minuten andauerndes Liebesspiel anmutende Sonate für Violine und Cello. Schon das ‘Vorspiel’ ist ein erotisches Einstimmen auf den lustvollen Instrumentalverkehr, den Ravel in petto hält. Ein erster Höhepunkt wird im ‘Très vif’ erreicht, einem Katz- und Mausspiel voller ironischer Einschübe, aber auch mit heißem und lüsternem Umschlingen, ehe das ‘Lent’ eine Phase voller Zärtlichkeiten bringt, vor dem leidenschaftlichen Finalrausch. Neudauer und Steckel sind Meister der Klangverwebungen, und die Klänge, die sie produzieren, schmiegen sich eng aneinander, in perfekter Gefühlsharmonie.

In der ‘Tzigane’ markiert Lena Neudauer nicht die ‘Wilde’, wie etwas Rachel Kolly d’Alba, sie erreicht aber trotz eines sehr kultivierten Spiels eine große Ausdruckskraft, die im zweiten Teil des Stücks im Zusammenspiel mit dem Pianisten Paul Rivinius noch spannender wirkt. Eine ausgeprägte Klangfarbenphantasie produziert kontrastreiche Stimmungen, die den Hörer auch ohne jede Aggressivität ins instrumentale Geschehen einbinden und dem Charme der ungarischen Klänge erliegen lassen.

Auch in den anderen kürzeren Stücken gelingt den Interpreten ein ähnlich packendes Musizieren, sei es im Habanera-Rhythmus oder in dem musikalisch umgesetzten aramäischen Gebet ‘Kaddish’.

Von den beiden Sonaten für Violine und Klavier kommt die frühe Erste von 1897 virtuos daher, während es in der zweiten, aus dem Jahre 1927, nur um Stimmungen geht. Und die gelingen dem perfekt dialogierenden Duo Neudauer und Rivinius vortrefflich, weitgehend mehr mit weichem Klang übrigens als mit Stringenz und heftigem Akzentuieren. So kommt im ersten Satz das Reflektive der Musik voll zur Geltung, und im Finale bleibt auch im virtuosen Elan noch etwas Geheimnisvolles und Unsicheres erhalten. ‘Psycho’ ist da nicht mehr fern…

Ausdrücklich gratulieren muss ich auch den Tonmeistern des Saarländischen Rundfunks, die ein geradezu perfekt natürlich Klangbild besorgt haben.                                                                                                                                             RéF

  • Pizzicato

  • Archives