Andris Nelsons
(c) Jens Gerber/Gewandhaus

Wenn bereits das Stimmen vor dem Konzert sensibel und im übertragenen Sinne geräuschlos von statten geht, ist eines der ganz besonderen Orchester zu Gast. Dass das vermutlich älteste europäische Orchester dieser Größe unter der Leitung seines noch neuen Kapellmeisters Andris Nelsons dabei in die Ursprünge seiner Entstehung zurückging, bot für das ausverkaufte Haus Gelegenheit, beliebte Werke zu hören. Dass die Zuhörer zusammen mit Pizzicato-Mitarbeiter Uwe Krusch mit Hélène Grimaud auch noch eine veritable Solistin erleben durften, tat dem Abend wahrlich keinen Abbruch.

Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann waren bei der Gründungsphase des Orchesters in Leipzig mehr als nur vor Ort. Denn Mendelssohn wurde 1835 der erste Vorgänger des heutigen Gewandhauskapellmeisters. Und sein eigenes Werk, die Ouvertüre ‘Meeresstille und glückliche Fahrt’ auf lag damals wie heuer auf den Pulten der Musiker. Dieses Werk des neunzehnjährigen eröffnet für den gerade in das Konzert gelangten Zuhörer vielleicht wie mit Oblomowschem Wesen. Die Streicher ergehen sich in Stille, sehr leise schwebenden Akkordflächen, die sowohl bildlich das ruhige Meer, aber metaphorisch auch den Stillstand im Leben aufzeigen, der erst später zu Wellen bzw. Angst oder auch Lebenslust wird.

So ein Werk an den Beginn des Abends zu setzen, zeugt von Selbstbewusstsein, da dieses Nichts schon ein Besonderes sein muss, um den noch vielleicht mental noch nicht so recht im Konzertsaal angekommenen Gast zu bannen. Dass dieses Selbstbewusstsein berechtigt ist, zeigten die Streicher, die alle ihre Sensibilität und ihre instrumentalen Finessen aufboten, um dieses Ruhen binnenspannungsreich erlebbar zu machen. Die anderen Orchestermitglieder durften dann im zweiten Teil der Komposition die überstandenen Gefahren mit großem Ausdruck quasi höfischer Zurschaustellung beitragen. Bereits hier zeigten auch alle Bläser, dass sie mehr als die Summe der Einzelspieler sind. Ihre nicht nur sauber, sondern rein abgestimmte Intonation und die einheitliche Gestaltung von Phrasen machen jeden Bläsersatz zu einem Genuss.

Ab dann gab es nur noch Schumann zu hören, der zur gleichen Zeit in Leipzig lebte und in seiner ‘Neuen Zeitschrift für Musik auch gerade auch bezüglich der Ouvertüre lobende Worte gefunden hatte. Mit seinem Klavierkonzert und der Rheinischen Symphonie standen zwei große und auch beliebte Werke im Fokus.

Das Klavierkonzert erfuhr von Seiten des Orchesters und von Andris Nelsons eine aufmerksam auf die Solistin hörende Gestaltung, die trotzdem nicht den eigenen Anteil am Werk leugnete. Denn diese virtuos angelegte Komposition gibt dem Ensemble reichlich Gelegenheit, sich zu äußern und zum Gesamtbild beizutragen und nicht nur Begleitfloskeln einzustreuen, sondern um eine gleichberechtigte Partnerschaft. Hélène Grimaud formte dazu einen Solopart, der wiederum auch nicht auf die virtuos glänzende einfache Linie setzte. Vielmehr gab sie ihren beiden Händen jeweils ihren eigenen bedeutsamen Anteil am Geschehen, so dass die Mehrschichtigkeit der Klavierstimme kristallin erhörbar wurde. Dazu trug auch, etwa bei den einleitenden Akkorden, der mitunter zurückhaltende Pedaleinsatz bei, der weg vom zu romantischen ein trockeneres Klangbild bot. Auch großer Applaus für die fein aufeinander abgestimmte Darbietung konnte Hélène Grimaud nicht zu einer Zugabe herausfordern, genauso wenig wie einige stehend Applaudierende am Ende des Abends dem Orchester weitere Töne nach der Symphonie entlockten. Das tat dem Konzert aber keinen Abbruch, da mir sorgfältig dargebotene Programme lieber sind, als zusätzliche Zirkusstückchen, die auch eine Stimmung stören können.

Die ‘Rheinische Symphonie’ stammt aus einer späteren Lebensphase Schumanns, nämlich seiner Zeit am Rhein. Trotz seiner Tätigkeit in Düsseldorf inspirierte sein kompositorisches Schaffen die Erhebung Johannes von Geissels zum Kardinal im Kölner Dom. Gleichzeitig bezieht sie andere Aspekte, wie Vater Rhein und das katholische Umfeld mit ein. Kompositorisch richtet er sich mit ungewohnten Ausprägungen am klassisch überkommenden Formschema aus. Bei der Interpretation von Schumanns Werk hat es immer wieder Diskussionen um die vermeintlichen Schwächen gegeben, die man dann in Aufführungen mit Kammerensemble überwunden sah. Hier nun bot sich wieder einmal die Gelegenheit, ein groß besetztes symphonisches Orchester bei seiner Deutung zu erleben. Dass auch in dieser Formation eine zwischen Streichern und Bläsern ausgewogene Klangbalance möglich ist, war man insbesondere im dritten und vierten Satz erlebbar, wo wieder die auch im Pianissimo grandiose Streicherkultur mit den famosen Bläsern kombiniert wurde.

Die Bezeichnungen der beiden Sätze, Nicht schnell und Feierlich, hatte Nelsons zum Anlass genommen, diese zu einer minimal, aber bedeutsam langsameren Darbietung mit kammermusikalischer Feinarbeit zu inspirieren. Während die anderen drei Sätze nur die Qualität des Orchesters und die bereits intensive Verbindung mit dem seit einem Jahr amtierenden Kapellmeister zeigten, bot sich hier ein Blick in die noch kommenden Erträge der bevorstehenden gemeinsamen Jahre. Nelsons, der oft seine linke Hand auf dem Handlauf des Podestes ablegte, wirkte dadurch vielleicht aufreizend entspannt. Dass dem aber nicht so war, konnte man immer dann erkennen, wenn er in kniffligen Situationen, etwa bei Tempowechseln, seine Körperspannung erhöhte und die erforderlichen Impulse anzeigte.

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