Das Bachfest Leipzig 2025 läuft auf Hochtouren. Mit über 200 Konzerten, Veranstaltungen und Exkursionen an 11 Tagen ist es das bisher umfänglichste in seiner Geschichte. Michael Oehme berichtet.
‘Transformationen’ steht als Motto über dem diesjährigen Bachfest in Leipzig. Der in unseren Tagen überstrapazierte Begriff mag auf den ersten Blick abschrecken. Auf Bach darf er wirklich angewendet werden. Da sind seine berühmten Bearbeitungen von Werken Pergolesis, Vivaldis, Ernst August von Sachsen Weimars und anderen. Und da ist das seinem Schaffen eigene Parodie-Verfahren, mit dem er uns verblüfft und ungemein bereichert.
Das Eröffnungskonzert in der Thomaskirche begann quasi spiegelbildlich mit einem Orgelstück von Franz Liszt: Präludium und Fuge über B-A-C-H, famos gespielt vom jungen Thomasorganisten Johannes Lang – nicht an der romantischen Sauer-Orgel, sondern an der Bach-Orgel von Gerald Woehl, geweiht im Bach-Jahr 2000. Dann folgte zunächst mit dem Gewandhausorchester von Thomaskantor Andreas Reize forsch angegangen die prächtige Sinfonia d-Moll aus der Kantate ‘Wir müssen durch viel Trübsal’, BWV 146. Sie geht wohl auf ein verschollenes Violinkonzert aus seiner Köthener Zeit zurück und liegt uns heute als Kopfsatz des berühmten d-Moll-Klavierkonzerts, BWV 1052, vor – Transformation also im doppelten Sinne. Als Inbegriff für den Ausgangspunkt seines Parodieverfahrens darf die weltliche Huldigungskantate ‘Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten’ gelten. Gleich vier Sätze daraus wurden im späteren Weihnachtsoratorium geadelt und sind uns heute als die beiden Chöre ‘Jauchzet, frohlocket’ und ‘Herrscher des Himmels’ bsowie die Arien ‘Frohe Hirten’ und ‘Großer Herr und starker König’ bekannt. Schließlich die Missa, Kyrie und Gloria also, mit der sich Bach 1733 beim Dresdner Hof bewarb und die er am Lebensende zur h-Moll-Messe transformierte. Mit dem Gewandhausorchester standen Thomaskantor Andreas Reize in diesem Eröffnungskonzert exzellente Musiker zur Verfügung, dazu ein ordentliches Solistenensemble, aus dem der glockenhelle Sopran von Elisabeth Breuer hervorstach. Als geschätzter Altus überzeugte Alex Potter dann erst im Qui sedes ad dextram Patris der Missa. In Best- ja Höchstform präsentierten sich die Thomaner. Strahlkräftig leuchteten die Soprane, hatten Alt und die jungen Männerstimmen Substanz und Durchschlagskraft. Selbst im von Reize überschnell genommenen Cum sancto spirito geriet nichts außer Kontrolle. Am Ende durften die Stimmgruppen der Thomaner einzeln nach vorn an die Brüstung der Chorempore kommen und sich vom Bachfest-Publikum feiern lassen. Eine schöne Geste.
Mit Spannung wurden zwei Kantatenkonzerte erwartet, in denen sich John Eliot Gardiner mit seinen neuen Ensembles The Constellation Choir & Orchestra in Leipzig vorstellte. Im zweiten Konzert standen vier Kantaten für den 16. Sonntag nach Trinitatis auf dem Programm, ‘Liebster Gott, wann wird ich sterben’, BWV 81, ‘Komm, du süße Todesstunde’, BWV 161, ‘Wer weiß, wie nahe mir mein Ende’, BWV 27 und ‘Christus, der ist mein Leben’, BWV 95 – Kantaten also, die sich alle mit der Transformation vom Leben über den Tod hin zum Jenseits befassen, einer Thematik, die Bach wie keiner je vor noch nach ihm so intensiv und tief auslotend beherrschte. Bis auf die Kantate BWV 95, die Gardiner merkwürdig hektisch affektiert anging, war das ein berührend schönes Konzerterlebnis, entspannt und wohlklingend. Beeindruckend war das ausgesprochen homogene 14-köpfige Chorensemble. Aus dem Orchester verdienen insbesondere die Flötisten mit ihren obligaten Partien hervorgehoben zu werden. Von den Solisten haben mir insbesondere der junge Altus Alexander Chance und der glänzende Bariton Florian Störtz gefallen.
Einem Naturereignis glich das Gastspiel des Ensembles Cappella Mediterranea. Ausgehend vom höchst lebendigen Dirigierstil seines aus Argentinien stammenden Leiters Leonardo García-Alarcón entwickelten sie eine sinnenfrohe volltönende Musizierfreude, wie wir sie in der Vergangenheit durch falsch verstandene historische Notentreue oft vermissen mussten. Zurecht wurde er erst kürzlich als Artist of the Year der International Classical Music Awards (ICMA) ausgezeichnet. Zu den Mitwirkenden in diesem Kantatenkonzert (BWV 46, 101 und 102) gehörte auch der herausragend klangvolle Chouer de Chambre de Namur, dessen Leiter Alarcón ebenfalls ist. Bei Bachs ‘Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei’ standen die Chorsänger zunächst im Kirchenraum verteilt und zogen singend hin zum gemeinsamen Platz vor der Sauer-Orgel. Herausragend in diesem Konzert auch das Solistenensemble: Sophie Junker, Sopran, Christopher Lowrey, Valerio Contaldo, Tenor und Andreas Wolf, Bass, junge Sänger, denen man unbedingt bald wiederbegegnen möchte. Anhaltender Jubel in der Thomaskirche, bevor die Bachfest-Besucher aus über 50 Ländern der Erde weitereilten – in die Nikolaikirche, das Paulinum, das Alte Rathaus oder die Alte Börse und die vielen weiteren Veranstaltungsorte in und um Leipzig.