Laurent Brunner
(c) François Berthier

Laurent Brunner, seit 2007 Direktor von Château de Versailles Spectacles, hat 2018 ein hauseigenes Plattenlabel gegründet. Der  immer nach Exzellenz strebende Lothringer knüpft in Versailles an den Erfolg an, den er mit einem Festival in Verdun und später mit Le Carreau in Forbach hatte. Im Jahr 2022, vier Jahre nach seiner Gründung, wurde Château de Versailles Spectacles von den International Classical Music Awards (ICMA) zum Label des Jahres gewählt. Remy Franck traf Laurent Brunner zu einem Interview (die englische Fassung ist hier).

Ihr Plattenlabel wurde 2018 gegründet, also rund zehn Jahre nach der Gründung von Château de Versailles Spectacles, einer privaten Tochtergesellschaft der öffentlichen Einrichtung. Welche Bilanz können Sie ziehen?
Es ist eine etwas ungewöhnliche Bilanz, weil sie zwei Jahre der Pandemie umfasst. Auf der einen Seite gab es einen Verkaufsrückgang und auf der anderen Seite den Übergang zum Digitalen, der dadurch verstärkt wurde, dass es fast überall keine Konzerte mit Publikum mehr gab. Und dadurch hatten die Künstler viel Zeit, die genutzt wurde, um Aufnahmen zu machen, vor allem von spezielleren Programmen, was bei uns oft der Fall ist mit französischer Musik aus dem 17. und 18. Jahrhundert und Aufführungen seltener Werke wie Cadmus et Hermione von Lully, Egisto von Cavalli – den wir bald veröffentlichen werden – oder La Finta Pazza von Francesco Sacrati. All diese Musik hat eine historische Verbindung zu Frankreich und ist Teil des internationalen und europäischen Barocks, den wir so sehr schätzen. Nach vier Jahren hatten wir also eine erhebliche Beschleunigung der Produktion, auch wenn das Verkaufsumfeld eher nicht beschleunigt wurde. Und gleichzeitig gab es eine Steigerung der Qualität, denn an guten Künstlern mangelt es nicht.

Die Finanzierung hat bis zur Pandemie gut funktioniert…
Natürlich sind mit dem Ausbleiben der internationalen Touristen auch unsere Einnahmen gesunken. Die Königliche Oper erhält für ihre normalen Aktivitäten keine öffentlichen Zuschüsse. Für die Produktion von Tonträgern gibt es in Frankreich jedoch ein Fördersystem in Form von Steuergutschriften, das wir nutzen konnten. Aber eigentlich besteht unsere Besonderheit darin, dass wir sowohl Konzerte als auch Aufnahmen machen. Das ermöglicht sowohl eine zeitliche und auch budgetäre Konzentration der Kräfte. Die Pandemie hat das verändert, aber glücklicherweise konnten wir das Mäzenatentum steigern. Und unsere Mäzene sowie die Freunde der Königlichen Oper haben uns in dieser schwierigen Zeit sehr geholfen.

Laurent Brunner (c) François Berthier

Mussten Sie einige Projekte aufgeben?
Wir mussten das größte Projekt aufgeben, das wir je hatten. Es war für das Napoleon-Jahr 2021 geplant, sowohl auf der Bühne als auch auf Tonträgern: Spontinis Fernand Cortez, die erste große französische Oper und der erste große persönliche Auftrag des Kaisers während des Spanischen Krieges. Es war ein spezieller Wunsch Napoleons für ein Libretto, und Spontini erfüllte diesen Wunsch mit einer Oper, für die man viele Sänger und viele Musiker braucht. Während der Pandemie waren wir uns nicht sicher, ob wir alles in Übereinstimmung mit den Gesundheitsvorschriften durchführen könnten. Stattdessen führten wir Giulietta e Romeo von Zingarelli auf, die Lieblingsoper Napoleons. Zingarellis Name war in Frankreich völlig in Vergessenheit geraten, obwohl man ihm bereits 1789 mit Antigone ein Werk in Auftrag gegeben hatte, das an der Académie Royale de Musique aufgeführt wurde. Nach der Uraufführung von Giulietta e Romeo in Mailand hörte Napoleon das Werk und verliebte sich in die Sängerin Giuseppina Grassini, die er zu seiner Geliebten machte. Er hat diese Verbindung zu ihr und zur Musik fast zwei Jahrzehnte lang aufrechterhalten, was das Bild eines Kaisers prägt, den man gerne nur als Kriegsmann und Politiker ansieht, obwohl er fast jeden Abend in einer Aufführung war.

Aufnahme von Giulietta e Romeo mit dem Orchestre de l’Opéra Royal (c) Pascal Le Mée

Ihre Platten sind manchmal live und manchmal als Studioproduktion aufgenommen. Wie entscheiden Sie das?
Unsere Aufnahmen finden fast immer im Schloss von Versailles statt, mit Ausnahme einiger Kammermusikaufnahmen während der Pandemie. Wenn es ein Konzert gibt, dient die Live-Aufnahme normalerweise als Basisaufnahme, und es werden danach Korrekturen gemacht. Oder es gibt mehrere Tage mit Aufnahmen, die für die endgültige Version verwendet werden. Das Wichtigste für uns ist, dass die Übereinstimmung von Musik und Ort gewährleistet ist. Bei einem sehr großen Teil unseres Repertoires ist der historische Aspekt gegeben. Es gibt aber auch Werke, wie die von Händel, die nicht in Versailles aufgeführt wurden.

Greifen Sie auf externe Teams zurück oder haben Sie Ihre eigenen Aufnahmeteams?
Je nach Repertoire und Art der Musik greifen wir auf verschiedene Toningenieure zurück, die den Besonderheiten des Repertoires entsprechen oder auch auf Affinitäten mit den Künstlern haben. Wir haben sechs Teams, mit denen wir regelmäßig zusammenarbeiten, so dass wir manchmal zwei Produktionen mit Aufnahmen und Postproduktion gleichzeitig machen können. Ich betone noch einmal, dass der Ort in diesem Zusammenhang eine große Rolle spielt. Wenn man eine Aufnahme in der Opéra Royal de Versailles macht, wo alles aus Holz ist, oder in der Chapelle Royale, wo der Großteil der Musik von Ludwig XIV. und Ludwig XV. gespielt wurde, Mondonville, Lully oder Rameau, dann ist das der richtige Ort dafür.

La Chapelle Royale
(c) Didier Saulnier

Auf Ihrem Label finden sich einige große Namen, die oft bei anderen Labels unter Vertrag stehen. Hatten Sie jemals Probleme, sie unter Vertrag zu nehmen?
Ich denke, dass Exklusivverträge nicht mehr so wichtig sind. Mit dem Verkauf von Platten macht man keinen Gewinn, bestenfalls gleicht man Defizite aus. In jedem Fall haben Exklusivrechte im Allgemeinen keinen Einfluss auf unsere Arbeit. Und wenn es Probleme gibt, können wir einen anderen Sänger wählen. Dies ermöglicht es übrigens auch, die Jüngeren zu beschäftigen, die dank der Schallplatte oft sehr schnell bekannt werden. Ich betone den Begriff der Arbeit. Die Pandemie hat gezeigt, dass man verliert, wenn man nicht mehr arbeiten kann, wenn man nicht übt. Und je mehr man übt, desto mehr gewinnt man. Und je jünger man ist, desto mehr muss man arbeiten.

Unter den engagierten Dirigenten sieht man die Namen Gardiner, Koopman oder auch Goebel. Ist es für Künstler mit einem solchen Renommee leicht, sich in Ihre Projekte zu integrieren?
Die Künstler, die Sie gerade genannt haben, haben mehrere Dinge gemeinsam: Sie haben ein gewisses Alter, das ihnen nach einer langen Bühnen- und Plattenkarriere viel Anerkennung einbringt. Außerdem gehören sie nicht mehr einer Plattenfirma an. Sie sind wahrscheinlich nicht mehr rentabel genug, als dass eine Plattenfirma ihre Anfragen annehmen würde, die häufig darin bestehen, Werke mit großer Besetzung oder seltenere Werke zu dirigieren. Und da sie bereits viele Platten produziert haben, wird eine Plattenfirma lieber eine vor 25 Jahren entstandene Aufnahme zu einem niedrigen Preis wieder herausbringen, als eine neue zu produzieren. Und drittens freuen sie sich immer sehr über neue Angebote, entweder mit Werken, die sie gerne dirigieren möchten, oder mit Werken, die wir ihnen vorschlagen. Versailles ist nicht unbekannt oder unbedeutend. Und wenn man Gardiner sagt: « Komm nach Versailles und dirigiere Deine Version von Benvenuto Cellini in dem Umfeld, in dem Berlioz das Werk 1838 spielen ließ », dann hat man etwas geweckt. Das geschah auch, als wir ihm vor einigen Jahren sagten, er solle Monteverdis Vesper in der Chapelle Royale dirigieren, die sehr räumlich ist und daher extrem gut zu dem Werk passt. Anderen Künstlern wurden ähnliche Vorschläge gemacht. Wir haben Orte, die Bedeutungsträger sind, und es ist für einen Künstler interessant, bestimmte Werke an den Orten aufzuführen, an die sie erinnern.

Die Orgel in Versailles
(c) Thomas Garnier

Werden Sie bestimmte Künstler wie Reinhard Goebel, um nur einen zu nennen, an sich binden?
Ich denke nicht, dass es darum geht, Goebel, Gardiner, Koopman oder andere zu binden, sondern darum, zu sehen, ob sie interessante Projekte für uns haben oder ob wir Projekte haben, die mit ihrer Arbeit oder ihrem Temperament in Resonanz stehen. Im Moment möchte ich Les Troyens mit Gardiner machen, nicht als Bühnenversion, weil ich das Budget nicht habe, aber ich kann mir eine konzertant inszenierte Version vorstellen. Es ist ein Werk, das die Ausländer so viel besser kennen als die Franzosen, weil Berlioz in Frankreich vielleicht nicht die Anerkennung bekommen hat, die er verdient hätte – vielleicht wollte er sich auch selbst aus dem Spiel ausschließen. Mit Ton Koopman möchte ich, dass er französische Musik auf der Orgel der Chapelle Royale spielt, weil er ein unglaublich guter Organist ist und ihm das französische Repertoire sehr gut liegt. Er möchte Clérambault spielen, einen Komponisten, den er auf keiner Orgel in Europa so spielen könnte, wie er es in Versailles kann. Ich habe noch andere Projekte, die für manche Künstler in ihrem Land keinen Sinn ergeben würden und die bei uns einen Sinn ergeben. Es gibt so viele Werke, die sich perfekt an unsere Orte anpassen. Wir könnten sogar daran denken, den Bourgeois Gentilhomme von Richard Strauss aufzuführen, der sicherlich eine Verbindung zu Versailles hat. Unser Hauptrepertoire wird jedoch das 17. und 18. Jahrhundert bleiben. Wenn Sie nach Versailles kommen oder sich eine CD von Château de Versailles Spectacles anhören, haben Sie Ludwig XIV. oder Marie-Antoinette im Kopf. Es ist also nur logisch, dass man dort auch Musik aus dieser Zeit findet. Aber wenn man noch viel weiter geht, wenn man Australier, Chinese oder Amerikaner ist, dann muss Vivaldi ungefähr das Gleiche sein wie Marie Antoinette oder Ludwig XIV. Das ist eine Epoche. Und diese Epoche interessiert mich an sich. Außerdem ist es eine Epoche, in der die Musiker selbst viel gereist sind. In Deutschland wurde viel französische Musik gespielt und in England viel italienische Musik. Abzuschotten, Grenzen für diese Epoche zu schaffen, macht also keinen Sinn. Gleichzeitig ist es das, was unsere Besonderheit ausmacht. Ich gehe also auf einen Zeitraum ein, der vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zur Französischen Revolution reicht, und füge Berlioz hinzu, an den ich wirklich glaube, denn die Jahre des Kaiserreichs waren in Versailles sehr stark, da Napoleon sehr präsent war und dieses Schloss auf andere Weise wiederbeleben wollte. Berlioz kam dorthin, um das einzige große Konzert des 19. Jahrhunderts zu geben. Wir haben also das Umfeld, in dem er spielte. Das ist außergewöhnlich!

Versailles, Opéra Royal
(c) Thomas Garnier

Sie haben alle Ihre Aufnahmen von Streaming-Plattformen entfernt. Was ist der Grund dafür?
Das ist vor allem eine wirtschaftliche Frage. Das heutige Geschäftsmodell in der Musikwelt basiert auf Pop, der nicht auf die gleiche Weise funktioniert wie Klassik. Bei Pop gibt es oft nur wenige Interpreten und viele Verkäufe. Klassik bedeutet oft viele Interpreten und viel weniger Zuhörer, abgesehen von einigen wenigen Ereignissen wie dem Wiener Neujahrskonzert oder den Platten einiger weltberühmter Musiker. Und davon gibt es weniger als zehn. Leider ist das Vergütungssystem das gleiche.
Sie kaufen also ein Abonnement für eine Streaming-Plattform und für durchschnittlich 10 Euro pro Monat hören Sie alles, was Sie wollen. Der Verteilungsschlüssel für dieses Geld sieht jedoch nicht vor, dass Ihre zehn Euro nach Ihren eigenen Hörquoten aufgeteilt werden. Wenn Sie halb Couperin und halb Rolling Stones hören, werden die zehn Euro nicht im Verhältnis von fünfzig zu fünfzig Prozent aufgeteilt. Nein, es wird eine Aufteilung dieser zehn Euro nach dem Schlüssel aller Hörer ergeben. Wenn die Rolling Stones 20 % bekommen, der gesamte Pop 30 %, die Variété der 80er und 90er Jahre etwa 50 %, dann bleibt ein Cent für Couperin übrig. Wenn Sie andererseits die Wahl haben, eine CD zu kaufen, die z. B. 15 Euro kostet, oder für 10 Euro im Monat alles zu hören, was Sie wollen, dann gehen Sie auf diese Plattform, die den Phonoproduzenten der Klassik praktisch überhaupt nichts bezahlt. Und selbst wenn die Menge steigen würde, ist man in Cent statt in Euro, und da habe ich nichts zu verdienen. Ich habe also beschlossen, das gesamte Paket inklusive Qobuz zurückzuziehen, aber am 1. März werden wir Qobuz einzeln wieder aufnehmen, eine Plattform, die anders funktioniert und auf der die Vergütungen substanzieller sind. Qobuz ermöglicht uns eine Sichtbarkeit im digitalen Bereich, weil es Leute gibt, die keine anderen technischen Mittel mehr haben, und gleichzeitig eine bessere Vergütung. Und außerdem haben wir unsere eigene Plattform geschaffen, auf der das Publikum – natürlich über ein Bezahlsystem – sowohl auf Video- als auch auf Audiodateien zugreifen kann. Das ist billiger als die physische CD, aber man hat den gleichen Sound digital. Mit etwa 100 Titeln ist man weit von der Auswahl entfernt, die die großen Plattformen bieten, aber man bietet einen großen Teil dessen an, was im Schloss von Versailles gespielt wird, und so kann das Weltpublikum virtuell nach Versailles reisen und Opern sehen und Musik hören.

Wenn Sie sich auf Ihre eigene Online-Plattform und Qobuz beschränken, frage ich mich, ob dies nicht ein Hindernis für den internationalen Bekanntheitsgrad des Labels ist?
Mit der Frage der Sprachen und den Beschränkungen des Internets sind wir auf jeden Fall eingeschränkt. Wir müssen uns also einer Welt öffnen, die sehr wandelbar ist und sich viel schneller als erwartet verändert.

Was bedeutet die Auszeichnung ICMA Label of the Year für Sie?
Zunächst einmal ist es ein Qualitätsmerkmal. Es ist wie ein Qualitätssiegel, das man an ein Projekt anbringt, und das bedeutet, dass es ausgezeichnet wurde. Das hat eine sehr französische Bedeutung. Wir sind ein Land der Medaillen. Und Medaillen dienen diesem Zweck. Es ist eine Hervorhebung und es bedeutet, dass das, was man tut, gut ist. Die zweite Sache ist natürlich die Ehre, vor allem wenn man, wie wir, rund 100 Aufnahmen gemacht hat und nur vier Jahre lang in einem sehr schwierigen Umfeld und mit einem besonders engen Repertoire gearbeitet hat, das dem Publikum nicht allzu bekannt ist. Eine solche Anerkennung zu erhalten, ist ein sehr starkes Zeichen, das uns sagt, dass unsere Arbeit über uns und unsere Konzertbesucher hinaus Resonanz findet. Und schließlich, und das ist sehr wichtig, ist es auch ein kommerzielles Element. Ein Besucher einer Internetseite oder ein Käufer in einem Geschäft wird auf diesem Weg erfahren, dass es dort etwas Gutes gibt. Also hat er Vertrauen. Es ist die traditionelle Rolle der Presse, ihren Lesern zu sagen: Interessiert euch für dieses Projekt, es hat einen hohen Wert. Vielleicht hilft uns das beim Verkauf, auch wenn unsere Produktionen immer Verluste einfahren werden. Das Geld, das wir investieren, kommt nie zurück. Aber ich glaube, wie Napoleon sagte, als er alle französischen Theater reformierte: « In der Oper muss man das Geld aus dem Fenster werfen, damit es durch die Tür wieder hereinkommt. »

https://en.chateauversailles-spectacles.fr/

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