Alexander Liebreich
(c) Bruno Fidrych

Am vergangenen Freitag begann im oberschlesischen Katowice mit dem ‘Kultura Natura Festival‘ (12.05. – 21.05.) eine der bedeutendsten Klassik-Reihen des Kontinents. Die 3. Ausgabe des 10-tägigen Events steht unter dem Motto ‘Erde‘ und umfasst 11 Konzerte, eine dreiteilige Klang-Installation und einen Workshop für taube Kinder. Martin Hoffmeister berichtet.

In der Pressekonferenz zum Auftakt des Festival wies der künstlerische Leiter und Chefdirigent des ‘Nationalen Polnischen Radio Sinfonie Orchesters‘, Alexander Liebreich, auf Bedeutung und Vieldeutigkeit des Themas ‘Erde‘ hin, skizzierte die Korrespondenzen zwischen Natur und Kultur und vertiefte die für Stadt und Region identitätsstiftende Relevanz des Sujets.

Viel Erfolg kannte die Klanginstallation bei ‘Kultura Natura’
(c) Martin Hoffmeister

Bereits der Eröffnungsabend im 2014 errichteten Konzerthaus ließ erkennen, warum das noch junge Festival zu den profiliertesten Reihen Europas gerechnet werden muss. Für sein Konzert mit NOSPR hatte Alexander Liebreich mit zwei selten aufgeführten Schönberg-Werken (Friede auf Erden/Die Jakobsleiter), Szymanowskis ‘Demeter‘-Kantate und Haydns 39. Sinfonie (Hob. I:39) ein komplexes wie anspruchsvolles Tableau programmiert, das Polens ‘erstem‘ Klangkörper und den beiden beteiligten Vokalensembles (The Kaunas State Choir/Camerata Silesia) die Möglichkeit bot, ihre vielgesichtigen stilistischen und handwerklichen Potentiale zu präsentieren.

Besonders eindrücklich, mit welcher Übersicht Liebreich die Ensembles durch die heterogenen, vieldimensionalen und beziehungsreichen Klanglandschaften zu manövrieren wusste, wie Klangsinnlichkeit, dynamische Schattierungen und das breite Spektrum von Lautstärkewerten abgebildet wurden, ohne die gebotene Transparenz  zu desavouieren. Was Liebreich und das Orchester vermögen, zeigte beispielhaft die luzide, nuancen-und detailaffine Lesart der Haydn-Sinfonie. Schlank geradlinig, präzise, beweglich und luzide, inspiriert zumal von den Erkenntnissen der historischen Aufführungspraxis, ließ der Dirigent das diffizile Stimmengeflecht der Partitur ausfalten: Idealtypisches Musizieren, das in seiner Klarheit sinnbildlich stand für einen dramaturgisch und interpretatorisch beispielhaften Konzert-Abend.

Paul Lewis

Im zweiten Festival-Konzert war der britische Pianist Paul Lewis für den erkrankten Piotr Anderszewski eingesprungen. Mit Werken von Bach (Partita Nr. 1 B-Dur), Beethoven (Sonate Es-Dur op. 7 Nr. 4), Chopin (3 Walzer) und Carl Maria von Weber (Grande Sonate As-Dur op. 39) zelebrierte Lewis eine eindrückliche Parforce-Tour durch die Musikgeschichte. Getragen von erstaunlicher mentaler Beweglichkeit und klaren interpretatorischen Konzepten vermochte Lewis den unterschiedlichen resp. gegensätzlichen Anforderungen der Werke in überlegener Manier gerecht zu werden. Entschied sich der Brite bei Bach für eine leicht romantisierende, Klangräume und Strukturen auslotende Exegese, in der die Feier taktiler Differenz ins Zentrum rückte, so standen bei Beethovens selten aufgeführter Sonate die Abbildung formaler Konsistenz, die Suche nach farblicher Schattierung und dynamischer Feinjustierung im Fokus. Überraschend wie suggestiv erwiesen sich im Anschluss Lewis‘ eher unsentimental, fast abstrakt gelesene Chopin-Walzer. Indem der Pianist stets Naheliegendes und Erprobtes vermied, schenkte er dem enthusiastischen Publikum neue Einblicke in den Klangkosmos des National-Heroen. Ganz im Zeichen opernhafter Attitüde, virtuosem Zugriff und funkelnder Brillanz präsentierte sich Lewis‘ finale Exegese der von-Weber-Sonate. Kompositorische Desiderate des ‚freischütz‘-artigen Werkes traten im Rausch pianistischer Entgrenzung in den Hintergrund. Denkwürdig: Paul Lewis wird den Katowicern in Erinnerung bleiben.

Pizzicato wird auch weitere Konzerte des Festivals besprechen, wenn ab Mittwoch Remy Franck den zweiten Teil des Festivals besuchen wird.

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