- Ein Interview von Remy Franck (Pizzicato 10/12) -

Krzysztof Penderecki
Photo: Martin Hoffmeister / ICMA

Der polnische Komponist, Dirigent und Musikpädagoge Krzysztof Penderecki gilt als einer der bedeutendsten Musiker der Gegenwart. Seine Werke sind längst Teil des gängigen Repertoires geworden. Diesem großartigen Musiker hat die Jury der ICMA (International Classical Music Awards) den ‘Lifetime Achievement Award’ verliehen. Bei Gelegenheit der Preisverleihung in Nantes, im Mai dieses Jahres, entstand das folgende Interview.

Maestro, was bedeutet für Sie der ‘Lifetime Achievement Award’ der ICMA?

Er ehrt mich, ich freue mich darüber, aber ich bin überzeugt, dass ich noch viel mehr zu sagen habe als das, was ich bisher gesagt habe. Für mich beginnt mein Schaffen immer wieder aus Neue, es endet nie. Ich arbeite jeden Tag, stehe um sechs Uhr morgens auf, und so ist jeder Tag die Fortsetzung dessen, was ich tags zuvor nicht beendete. Ich arbeite immer zeitgleich an drei oder vier Werken. An nur einem Stück zu arbeiten ist langweilig. Die Kammermusik wird dabei immer wichtiger. Es gibt natürlich Werke, an denen ich sehr lange arbeite: das ‘Polnische Requiem’ wurde erst nach 25 Jahren ganz fertig. Die ‘Serenade’ habe ich 1990 und 1991 komponiert und sie hat in ihrer jetzigen Fassung zwei Sätze. Sie ist aber glaube ich, noch nicht ganz fertig. Ich habe Skizzen für einen Walzer, ich denke aber auch an ein Scherzo und an einen Tango. Die ‘Serenade’ wird am Ende also fünf Sätze haben.

Bei Gelegenheit eines ‘Lifetime Achievement Award’ kann man ja bei allen Zukunftsplänen auch zurückblicken. Was erscheint Ihnen da als das wichtigste Ihrer Werke?

Diese Frage höre ich oft im Zusammenhang mit meinem Park. Ich habe ja eine große Kollektion von Bäumen in meinem Park, 1.700 verschiedene Arten auf 30 Hektar Land. Und wenn man mich fragt, welcher Baum am wichtigsten ist, kann ich es nicht sagen. In der Musik geht es mir genau so. Es gibt natürlich Werke, die mir halfen, Karriere zu machen, die Lukas-Passion etwa oder ‘Threnos für die Opfer von Hiroshima’, aber später habe ich immer nur Werke hinzugefügt.

Was hat Sie bewogen, die radikale Art des Komponierens Ihrer avantgardistischen Periode aufzugeben?

Die Avantgarde gibt es seit 50 Jahren nicht mehr. Avantgarde bedeutet, etwas wirklich Neues zu machen. Und das habe ich Ende der Fünfzigerjahre und Anfang der Sechzigerjahre gemacht. Doch heute schreibt niemand mehr stilistisch etwas wirklich Neues. Die Zeit der wilden Avantgarde war eben sehr kurzlebig. Und alle sind andere Wege gegangen, sogar Stockhausen. Nur Boulez hörte auf zu komponieren, weil er seinen Stil nicht wirklich verändern konnte. Es gab damals keine Zukunft für diese Musik. Heute ist sie populärer als in der Zeit, wo sie entstand. Ich glaube aber nicht, dass ich heute eine Musik schreibe, die sich sehr von dem unterscheidet, was ich früher machte. Die Form hat geändert, die Notation hat sich verändert, die Werke sind länger geworden. Meine frühen Werke waren alle sehr kurz. Diese zum Teil sehr lauten Werke konnten einfach nicht länger sein. Es gab dafür eine natürliche Begrenzung.

Wenn Sie unterstreichen, dass Sie für einzelne Werke zunächst nur einige Teile schreiben, sie dann liegen lassen und Jahre später unter Umständen weitere Sätze hinzufügen, ist das doch eigentlich recht ungewöhnlich.

Ich kann mir keine Telephonnummern merken, oft kann ich mir Namen nicht merken, aber ich erinnere mich an jede Note, die ich geschrieben habe. Daher ist es nie ein Problem, die Arbeit an einem Stück wieder aufzunehmen, auch wenn ich es vor zwanzig Jahren komponiert habe. Und ich kann dann auch stilistisch genau da anknüpfen, wo ich vor Jahren aufhörte. Manchmal habe ich auch Skizzen zu einer Musik, die ich erst Jahre danach benutze. Das ist der Fall für meine Sechste Symphonie. Ich habe jetzt acht Symphonien vollendetet. Die Sechste existiert bislang nur im Stadium der Skizzen. Irgendwann werde ich sie beenden. Wahrscheinlich noch vor der Neunten. Und nach der Neunten werde ich keine Symphonie mehr schreiben. Es ist nicht erforderlich, mehr als neun zu komponieren. Das ist eine gute Tradition.

Wie komponieren Sie?

Ich starte gleich um sechs Uhr und frühstücke später. Ich arbeite gerne früh. Ich habe nie eine Note nachts komponiert. Aber bevor ich aufstehe, habe ich schon etwas nachgedacht über das, was ich schreiben will. Und dann bringe ich das auch gerne ohne Zeitverlust gleich zu Papier.

Gibt es auch mal Momente, wo Sie glauben, die Inspiration zu verlieren?

Das passiert täglich. Jeder Tag ist ein Kampf. Ich kämpfe sogar mit dem, was ich in den Tagen zuvor geschrieben habe. Ich schaue es mir an, versuche es anderes zu formulieren. Es ist ein permanentes Ringen um die Musik. Eine Woche später kann es vorkommen, dass ich eine weitere Version probiere.

Was ist der wichtigste Moment, die letzte Note und der Schlussstrich unter einer Komposition oder der Tag, wo Sie das Stück in der ersten Probe oder im Konzert hören?

Ich brauche ein Werk nicht im Konzert zu hören. Ich kann es im inneren Ohr genau voraussehen. Ich ändere auch nie etwas, nachdem ich ein Werk im Konzert gehört habe, es kommt höchstens vor, dass sich etwas hinzufüge.

Sie dirigieren oft selber Ihre Werke. Doch werden Ihre Werke ja auch von sehr vielen anderen Dirigenten aufgeführt. Was geht dann in Ihnen vor?

Das hängt von der Periode ab. Wenn sich um Musik aus den Fünfzigern oder Sechzigern handelt,  kommt es gerne zu Diskussionen mit den Dirigenten. Ich erinnere mich an eine Aufführung von de ‘Natura Sonoris II’ an der ‘Juilliard School’. Als ich in New York ankam, war das Orchester schon bei der zweiten oder dritten Probe, unter einem älteren Dirigenten, und er machte wirklich alles falsch. Das Tempo war falsch, der Charakter war falsch. Ich machte ihm einige Vorschläge, aber er wollte oder konnte das nicht umsetzen. So nahm ich ihm die Partitur weg und fuhr nach Hause. Auch in Lateinamerika hörte ich einmal mein ‘Threnos’ so, dass ich es wirklich nicht wieder erkannte. Es war total entstellt. Sowas kommt vor. Aber es gab ja auch Orchester, die sich weigerten, meine Musik zu spielen. Es war wohl, weil sie so etwas derartig Neues nicht lernen wollten, aber sie sagten bloss, sie fürchteten, damit ihre Instrumente kaputt zu machen. Das passierte mir an der Bayerischen Staatsoper, in Stockholm und bei der RAI in Rom. Und auch heute bleiben diese Werke meiner Frühzeit äußerst diffizil, und wenn so ein Stück auf das Programm gesetzt wird, verlange ich mehr Probenzeit. Ich stelle aber auch fest, dass diese Werke jetzt immer mehr gespielt werden und die Leute, auch die jungen Leute, sie weitaus besser verstehen, als das damals der Fall war.

Ihre 7. Symphonie, ‘Die sieben Tore Jerusalems’, gehört zu Ihren populärsten  Werken. Wie erklären Sie diesen Erfolg?

Es ist eine sehr direkte Musik, sehr klar in der Melodik und sie spricht das Publikum eben unmittelbar an.

Kammermusik ist für Sie sehr wichtig geworden. Können wir dennoch erwarten, auch wieder einmal ein großes Vokalwerk zu hören?

Ja! Ich habe immer mehr Pläne, als ich wirklich machen kann, es sei denn, ich könnte 200 Jahre alt werden. Aber ich habe wirklich vor, eine zweite Passion zu schreiben, eine Johannes-Passion! Ich habe bereits den Text, ich habe auch schon einiges komponiert…

Welche Rolle spielt Ihr Park in Ihrer Musik?

Ich habe mich seit Kindesjahren für die Natur interessiert. Mein Großvater war Förster. Er hat mich die Namen aller Bäume in Latein gelehrt. Während meiner Studienzeit verlor ich etwas den Kontakt zur Natur. Dann kamen meine ersten Erfolge, ich reiste sehr viel. Schließlich gelang es mir, ein größeres Stück Land zu kaufen, und immer mehr dazu zu erwerben. Ich vertiefte mich in die Literatur über Bäume, lernte alles, was man braucht, um ein solches Arboretum anzupflanzen. Mein Park hat eine genauestens ausgedachte Form, er wurde nach einem präzisen Plan aufgebaut, der auch die Entwicklung der Bäume berücksichtigt. Es ist wie eine Partitur. Wenn Sie eine Note oder eine Phrase schreiben, müssen Sie wissen, wie sie sich im ganzen ausnehmen wird. Und heute ist der Park etwas wie eine unvollendete Symphonie. Ich bin immer noch darauf aus, noch weiteres Land zu kaufen. Es geht mir wie dem Briefmarkensammler, der versucht, seine Kollektion so weit wie möglich zu vervollständigen.

Ist Ihr Park der Öffentlichkeit zugänglich?

Noch nicht! Aber es ist geplant. Gegenüber dem Park bauen wir ein Internationales Musikzentrum* mit einem Konzertsaal von 800 Plätzen sowie einem Hotel, und wenn das alles einmal ganz fertig ist, wird auch der Park zugänglich gemacht.

 

*Anm. der Red.: Das Europäische Krzysztof Penderecki Musikzentrum in Luslawice (70 km nördlich von Krakau) soll die begabtesten Musiker aus aller Welt und die Entwicklung ihrer Fähigkeiten bis zur künstlerischen Reife fördern. Es soll Treffpunkt talentierter Musiker und Lehrer, vor allem führender Experten in der Kunst des Vortrags, sowie bedeutender Komponisten werden. In engen Lehrer-Schüler-Beziehungen sollen die Gäste wesentliche geistige Werte der mitteleuropäischen Tradition lebendig halten.

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