Marco Pütz

Marco Pütz, vor einigen Wochen ist Ihre neue CD Moods mit fünf Orchesterwerken bei Naxos erschienen. Wie ist es zu diesem Projekt überhaupt gekommen?
M.P.: Durch Zufall. Die Intendantin vom Staatstheater Cottbus kontaktierte mich, weil der Tubist des Orchesters, Karl Berkel, durch Zufall auf den 2. Satz die Bläserfassung meines Konzerts für Tuba im Internet gestoßen war. Ob ich ihm denn auch den 1. und 3. Satz schicken könnte. Nach zwei Wochen meldete sich Berkel zurück, er habe mit dem Chefdirigenten des Orchesters gesprochen und sie würden sich freuen, das Konzert mit dem Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Cottbus aufzuführen. In der Fassung für Symphonieorchester natürlich. Die Aufführung war dann im Februar 2020, also kurz vor dem Lockdown. Nach dem Konzert fragte mich der Dirigent Alexander Merzyn dann, ob ich noch mehr Material hätte, er wäre interessiert daran, noch mehr Musik von mir zu spielen. Tatsächlich hatte ich noch einige symphonische Werke  parat – ich hatte bis dahin ja hauptsächlich für Bläserensembles komponiert- und schicke sie ihm dann. Doch die Freude verschwand sehr schnell, es kam zum Lockdown und ich erklärte das Projekt bereits für gestorben. Doch Alexander Merzyn meldete sich und fand Möglichkeiten in Brandenburg, die Werke zu spielen. Daraus entstand dann relativ schnell die Idee, eine komplette CD zu machen. Ob ich denn einen guten Toningenieur kennen würde. Ich habe natürlich unseren Luxemburger Marco Battistella vorgeschlagen, dessen hochkarätige Aufnahmen europaweit eine Referenz sind und der in Wien lebt. Nach der zweiten Corona-Welle haben wir dann im Juni 2021 mit den Aufnahmen begonnen.

Herr Merzyn, Sie dirigieren auf der NAXOS-CD die 5 Werke von Marco Pütz. Zuerst war das das Konzert für Tuba. Wie ging es dann für Sie auf diesem Weg weiter? Und was macht die Musik von Marco Pütz so interessant für Sie?
A.M.: Das Tubakonzert war tatsächlich das erste Stück von Marco, mit dem ich in Kontakt gekommen bin. Ich suchte damals Stücke von belgischen, niederländischen und eben luxemburgischen Komponisten, da wir im Rahmen unserer Konzertreihe ein Konzert zu den BeNeLux-Ländern machen wollten. Im Falle Luxemburg war das gar nicht so leicht, schließlich zeigte mir unsere Orchesterinspektorin, die leidenschaftlich Tuba spielt, das Tubakonzert von Marco und ich war ganz glücklich, dass ich ein so schönes und durch die Wahl des Soloinstrumentes auch exotisches Stück gefunden hatte! Dann kam ein gutes Jahr später unsere Konzertphase und ich lernte Marco persönlich bei uns in Cottbus kennen, da er zu den Endproben und den Konzerten kam. Es war gleich eine wunderbare Zusammenarbeit und er erzählte mir von seinen anderen Orchesterstücken. Gemeinsam mit unserem luxemburgischen Tonmeister Marco Battistella kam dann die Idee, die ganzen Werke von Marco für Naxos einzuspielen. Die Aufnahme selber war eine tolle Sache, Marcos Musik ist so stimmungsvoll, voll mit schönen Rhythmen und macht einfach Spaß zu musizieren.

Mit Philippe Schwarz ist ein weiterer Luxemburger an der Produktion beteiligt.
M.P.: Ja, Philippe Schwartz, der auf der CD als Solist auf dem Euphonium spielt, war auch für die Uraufführung von  Euphonia’s Voice in Luxemburg vorgesehen, die allerdings nie zustande kam. Das Werk von 2019 ist übrigens ein Auftragswerk der Philharmonie und des Orchestre Philharmonique du Luxembourg gewesen, ist aber leider bis jetzt aus coronabedingten Gründen und den damit verbundenen Verschiebungen vieler Termine in Luxemburg noch nicht zur Aufführung gelangt. Ich erhielt aber glücklicherweise die Erlaubnis, das Stück aufzunehmen, obwohl die Uraufführung noch nicht stattgefunden hat.

Und wie ist die Zusammenarbeit mit Naxos verlaufen. Das ist ja inzwischen ein riesiger Betrieb mit einem weltweiten Vertrieb geworden.
M.P.: Ich habe sehr gute Erfahrungen mit Naxos gemacht. Weil es eben ein so riesiger Betrieb mit unheimlich vielen Produktionen ist, dauert es von der Aufnahme bis zur Release normalerweise sieben bis neun Monate. Aber die Aufgaben sind sehr gut verteilt. Ich habe Mails aus Tokyo und New York bekommen, die Kontakte verlaufen reibungslos, weil jeder bei dieser Firma seinen spezifischen Bereich hat und genau weiß, was er zu tun hat. Da läuft alles Hand in Hand. Von meinem Werk Moods ist es bereits die zweite Aufnahme bei Naxos. In der Serie Luxembourg Contemporary Music 1 wird es von den Solistes Européens Luxembourg unter Christoph König neben Stücken von Ivan Boumans, Jeannot Sanavia, Tatsiana Zelianko und Roland Wiltgen gespielt.

Marco Pütz
Marlies Kross

Wenn man sich die CD anhört, was tatsächlich eine große Freude ist, so fallen einem die vielen verschiedenen Stimmungen auf. Jedes Werk klingt anders und hat seine bestimmte Klangfarbe. Im Moment arbeiten Sie an einer Symphonie über Farben. Klangfarben und Stimmungen scheinen demnach eine wichtige Rolle für Sie als Komponisten zu spielen.
M.P.: Stimmungen und Farben sind sehr eng miteinander verbunden, weil man Musik ja nicht sehen kann. In meiner Four Colours Symphony stellt die Farbe Schwarz Nacht, Tod und Trauer dar, Rot steht für Feuer, Leidenschaft, Energie, Blau für Harmonie und Frieden und Gelb stellt die Helligkeit und die Freude dar. Farben sind Archetypen und eigentlich ein sehr dankbares Programm, weil man als Komponist mit viel Phantasie arbeiten kann und das Publikum an sich keine Schwierigkeiten hat, Musik und Farbe in einen Kontext zu bringen. Ich muss aber auch hier die exzellente Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Alexander Merzyn und dem Philharmonische Orchester des Staatstheaters Cottbus hervorheben. Es war schön für mich zu erleben, mit welcher Freude, welchem Engagement und mit welchem Interesse die Musiker meine Musik vorbereitet und gespielt haben.

Wie gesagt, jedes von Marco Pütz‘ Werken besitzt eine andere Stimmung und überrascht immer wieder durch eine eigene Tonsprache. Was interessiert Sie jetzt als Dirigent besonders an einem zeitgenössischen Werk?
M.P.: Ich muss immer das Gefühl haben, dass das Werk Kraft hat. Das kann ganz unterschiedlich sein, auch mal sehr zart oder zerbrechlich, aber dieses Gefühl von einer starken Energie oder Aussage ist mir immer sehr wichtig. Außerdem war es im Falle unserer CD natürlich eine sehr schöne Sache, immer direkt die Meinung von Marco bekommen zu können, zu hören, was er sich selbst vorgestellt hat und dann zu etwas Gemeinsamen zu kommen. Zeitgenössische Musik soll ja eigentlich nicht für die Schublade geschrieben werden.

Auf der CD sind drei Orchesterwerke, nämlich Moods, Elegia und Strömungen und sowie zwei Bläserkonzerte, eins für Tuba mit dem Titel Chapters of Life, und eins für Euphonium Euphonia’s Voice zu hören. Als Komponist kommen Sie ja eigentlich von der Blasmusik her.
M.P.: Ja. Allerdings wird bei uns die Blasmusik immer als etwas Zweitklassiges angesehen. Sie unterliegt dem Klischee, nur etwas für Amateure zu sein. Das hat eine sehr lange Geschichte, insbesondere, weil bei uns ja quasi jedes Dorf seine eigene Fanfare oder Dorfkapelle hat, die meistens Märsche, Polkas oder Tanzmusik spielen. Natürlich erreichen Amateurmusiker nie das Niveau von professionellen Musikern. Aber ich muss sagen, dass sich im Laufe der Zeit viele Harmonieensembles durchaus an qualitativ hochwertige Werke des Bläserrepertoires wagen. Denn auch in diesem Bereich gibt es erstklassige Komponisten. Nur, der normale Konzertgänger kennt sie eben nicht. Als Komponist für Blasmusik schreibe ich natürlich auch sogenannte pädagogische Stücke, die relativ einfach sind, denn auch hier muss man immer wieder Neues bringen. Nur die gleichen abgedroschenen Märsche zu spielen, das interessiert doch niemanden. Darüber hinaus schreibe ich durchaus komplexe Werke für Bläser, die auch international von sehr guten Ensembles aufgeführt werden.

Seit einigen Jahren ist dann die symphonische Musik hinzugekommen.
M.P.: Genau. Ich liebe es, zweigleisig zu fahren. Ich komponiere weiter für Bläser, aber seit 2009 widme ich mich auch der symphonischen Musik. Elegia war mein erstes Stück für Symphonieorchester, ein sehr persönliches Werk, das ich damals als Andenken für meinen verstorbenen Schwager komponiert hatte und was auf dem Bach-Choral O Haupt voller Blut BWV 244/54 basiert. Ich habe es dann 2021 noch einmal überarbeitet. Wichtig für meinen Weg waren dann auch die Auftragswerke für Moods, 2013 und Strömungen, 2014. Beide wurden von den Solistes Européens Luxembourg unter Christoph König in der Philharmonie uraufgeführt.

Ihre Musik ist ja relativ tonal. Zeitgenössische Musik und Tonalität: ein Widerspruch?
M.P.: Jeder Komponist soll die Musik komponieren, die er für sich als richtig und wichtig empfindet. Für mich allerdings sind avantgardistische und mathematische Kompositionen keine Option, das ist für mich zu wenig greifbar und zu steril. Mit mathematischen Berechnungen kann man keine Gefühle ausdrücken. Und Emotionen sind nun mal das A und O der Musik. Egal ob tonal, atonal oder gemischt. Wenn der Hörer sich emotional berührt spürt, das darf auch gerne wütende, aggressive Musik sein, dann hat der Komponist sein Ziel erreicht. Die Zeit hat es uns ja auch gezeigt. Vieles von Darmstadt ist heute vergessen, die Musik wird nicht gespielt, weil sie keinen erreicht. Gute Musik muss Emotionen ausdrücken. Stravinsky hat mit seinem Sacre du printemps keine schöne Musik geschrieben, trotzdem drückt sie enorm viel aus. Er verzichtet zwar gänzlich auf Melodik, arbeitet dafür aber sehr stark mit Dynamik und Rhythmik.

Alexander Merzyn
(c) Staatstheater Cottbus

Durch welche Ingredienzien resp. welche Kunstgriffe hat ein modernes Stück wirklich Chancen, beim Publikum anzukommen und zu überleben? Und was sind diese Kunstgriffe bei Marco Pütz?
A.M: Ich denke, Musik muss immer im weitesten Sinne einladend und Interesse weckend sein. Das bedeutet nicht harmlos oder bloß schön! Auch sehr schroffe oder zunächst abweisend und kühl klingende Musik beispielsweise kann mich ja sehr stark einladen, indem sie mich verlockt oder zwingt, zuzuhören, die Besonderheiten, Qualitäten, starken Emotionen der Musik wahrzunehmen. Im besten Fall spüre ich eben sofort diese Kraft, von der ich vorhin sprach. Schön finde ich auch immer, wenn ein Stück sehr abwechslungsreiche Klangfarben mitbringt. Die Länge muss passen, ein sehr langes monotones Stück wird es immer erstmal schwer haben, es sei denn, die Monotonie gehört eben zur Aussage und das Stück ist so stark komponiert, dass es das dann auch trägt. Marcos Musik bietet diesen Reichtum, ist außerdem anspruchsvoll aber auch schön zu spielen, macht dem Orchester also auch Spaß. Das wird oft unterschätzt: wenn das Orchester Freude beim Spielen hat, ist das auch ein wichtiger Punkt.

Wie hilfreich sind Auftragswerke resp. wieweit schränken sie Sie als Komponisten ein?
M.P.: Ich denke, für uns Komponisten ist es ein gutes Gefühl und demnach sehr wichtig, Auftragswerke zu erhalten, denn solche Aufträge sind einerseits ein Zeichen der Wertschätzung, andererseits ermöglichen sie es, dass unsere Musik aufgeführt und einem Publikum zugänglich gemacht wird. Übrigens, ohne Serge Diaghilev und seine Ballets Russes wäre es wohl auch nie zu Stravinskys Sacre du printemps gekommen. Einschränkungen gibt es eigentlich wenige. Meistens wird eine gewisse Dauer vorausgesetzt, manchmal muss man einen Text vertonen und demnach den Inhalt musikalisch verarbeiten, dann wieder wird die Musik über die Instrumente resp. das Ensemble definiert. Schreibe ich jetzt für ein Kammerensemble, ein Kammerorchester oder ein symphonisches Orchester? Ist es eine Symphonie, ein Orchesterwerk oder ein Konzert für ein bestimmtes Instrument? Wenn dann aber der Rahmen definiert ist, kann ich frei komponieren. Ein Rahmen kann auch sehr hilfreich sein.

Brillante Orchestermusik von Marco Pütz

 

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