Daniel Harding
(c) Julian Hargreaves

Das ‘Orchestre de Paris’ und Chefdirigent Daniel Harding machen sich fertig zur Präsentation des Solokonzerts, dem Konzert für Bratsche und Orchester von Jörg Widmann, nur der Solist steht nicht dort, wo er sonst immer steht. Warum es trotzdem in der Philharmonie in Luxemburg losgehen konnte, erläutert Uwe Krusch.

Perkussive Klopfgeräusche auf Holz erklingen zunächst zaghaft, dann deutlicher, von irgendwoher. Dann löst sich das Rätsel auf. Von hinter den beiden Harfen tritt der Solist, Antoine Tamestit mit seiner Viola hervor und bearbeitet sie mit beiden Händen, indem er auf sein Instrument schlägt. Den Bogen, der für ein Streichinstrument typisch ist, hat er zunächst nicht bei sich. Nunmehr im Sichtfeld des Publikums bearbeitet der Solist sein Instrument weiter, zunächst wirklich solistisch, dann gesellen sich nach und nach einzelne Orchesterinstrumente hinzu, die dem Solisten Bröckchen hinwerfen, auf die er reagiert, keck, ironisch, ernst, gesprächsbereit. Erst nach und nach entfaltet sich eine Unterhaltung.

Das Orchester ist ein Orchester, wie man es kennt und doch nicht. Der Streichapparat ist einerseits verkleinert, zwei Violinen je für erste und zweite Geige, je drei Tuttibratschen und Celli, alle im Kreis um den Dirigenten. Andererseits sind rechts außen auch optisch beeindruckend acht Kontrabässe als Phalanx aufgebaut. Davor sitzen die vier Klarinetten, auch mit Alt- und Bassklarinette. Die vier Flöten haben links der Violinen Platz gefunden, auch hier mit Piccolo- und Bassflöte, ebenfalls vierfach besetzt die Hörner und die Fagotte links hinten. Oboen sucht man vergeblich. Harfen, Klavier, Celesta, Schlagwerk und Blech bilden einen Rahmen um die Bühne. Damit ist diese belegt, aber nicht vollgestopft. Vielmehr bietet sie dem Solisten Platz, sich zu bewegen, den Raum zu erobern und den Instrumenten, wie der Tuba näher zu kommen, wenn diese mit ihren Tonanstößen dazu Anlass geben.

An der dritten Station, schon nach einiger Zeit, kann der Solist dann auch seinen Bogen aufnehmen. Aber auch diesen benutzt er zunächst nicht klassisch, sondern nutzt ihn, um auf den Saiten zwischen Steg und Griffbett mit deutlichen Kreisbewegungen zu rühren, so wie es jeder Lehrer seinem Schüler eines Streichinstruments mühsam abgewöhnt. Natürlich ist diese Bewegung nicht ungekonnt, sondern bewusst als Geräuscherzeugung eingesetzt. Erst wenn der Solist an seinen üblichen Platz zwischen Konzertmeister und Dirigent gelangt, erklingen schöne Weisen, die dann im Verhältnis fast schon als süßlich zu bezeichnen sind.

Diese ungewöhnliche Aufstellung des Orchesters, die Wanderung und die vor allem beim Solisten, aber etwa auch bei den Harfen, eingesetzten ungewöhnlichen Spieltechniken machen schon einen Reiz aus. Aber sie allein wären natürlich nur eine artistische Darbietung. Dazu muss natürlich auch musikalisch etwas hinzutreten. Und das tut es. Natürlich haben die ‘Pupser’ der Tuba und die Bartokpizzicatoschläge der Kontrabässe auch einfach unterhaltenden Charakter, aber sie setzen auch Wegpunkte und geben Anstöße für Reaktionen und damit die weitere Entwicklung. Die Musiksprache ist bei Widmann modern und vielfältig, aber immer auch genießbar und aus der Musikgeschichte heraus entwickelt, ohne läppisch oder anbiedernd zu sein.

Das Orchester meistert diese moderne Partitur mit großer Konzentration und technischer Leichtigkeit, aber auch mit viel Enthusiasmus und Spaß, wie man an den schmunzelnden Gesichtern und den interessierten Blicken zum wandernden Solisten mancher Musiker sehen kann. Es bringt sowohl die amerikanisch anmutenden Klangballungen als auch die eher süffigen Momente überzeugend an den Hörer. Tamestit, auch er mitunter lächelnd, geht in dieser Musik auf.

Als Widmungsträger dieses Konzertes hat er es sogar schon eingespielt und damit natürlich eine stupende Sicherheit erlangt, die ihm Sicherheit verleiht. Sein Spiel ist nicht nur wegen der Vorgaben der Komposition ein Ausbund an Ausdrucksvielfalt und kann jede Facette und jede Emotion in der Musik angemessen bedienen.

Dieses Konzert für Viola und Orchester ist nicht nur eine protokollarische Bereicherung des Werkkatalogs für dieses Instrument, sondern ein Ereignis. Allerdings sollte man es bevorzugt auch sehen können. Insofern kann man von der sicherlich gelungenen Audioeinspielung in gewisser Weise nur abraten, da sie eben den theatralischen Teil nicht bieten kann.

So, damit wäre alles gesagt. Ach nein, da gab es ja noch mehr zu hören. Widmann, der sich intensiv mit der Musik von Robert Schumann und insbesondere ihren Auffälligkeiten beschäftigt, wurde gerahmt von der ‘Genoveva’- Ouvertüre und der Zweiten Symphonie dieses Komponisten. Auch hier hielt der Chefdirigent des Orchesters, Daniel Harding, die Fäden zusammen, was er bei dem deutschen Romantiker auswendig tat. Sein Stil ist unprätentiös und geradlinig. Trotz dieser Haltung kann er dem Klangkörper die Strukturen geben und den Zusammenhalt sicherstellen, wie sich insbesondere in den exponierten Stellen bei Schumann hören ließ. Lediglich die ersten Geigen hatten wohl nicht den besten Abend erwischt und zeigten gerade bei exponierten Augenblicken minimale Unsicherheiten im Zusammenspiel.

Allerdings ist die Eröffnungsmusik auch keine im Sinne einer einfachen Einspielübung, mit der man sich warm macht. Sie fordert sofort die volle Konzentration. Diese Ouvertüre als Überbleibsel der in Vergessenheit geratenen Oper ist ein Auftakt, mit dem ein Orchester sich präsentieren muss. Denn dieses Werk erobert nicht von alleine, sondern muss dargestellt werden. Das gelang dem Orchestre de Paris mit Harding in einnehmender Weise.

Die Zweite Symphonie ist nach der jugendlicheren frischen ‘Frühlingssymphonie’ das deutlich stärker strukturierte Werk, das mit Tonarten und thematisch durch Beziehungen zwischen den Sätzen als Gesamtheit konzipiert ist. Es handelt sich sicher nicht um ein Paradewerk der orchestralen Selbstdarstellung, sondern die Orchesterkultur muss klassisch solide sein. Diese Anforderung erfüllt das ‘Orchestre de Paris’ ausdrucksstark mit Hingabe. Das Orchester ist einem Streichapparat mit zwölf ersten Geigen und den sich daraus ergebenden Abstufungen bei den anderen Streichergruppen in geringerer Größe angetreten, was der Durchhörbarkeit und der Gestaltung der Musik Schumanns sehr zugute kommt. Alle Stimmgruppen zeugen von der Qualität des Orchesters, das als Aushängeschild für ganz Frankreich hervorgehoben wird.

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