Prokofievs Symphonie Classique und Scriabins Klavierkonzert sowie seine 2. Symphonie stehen aktuell auf dem Programm von drei Konzerten mit Dmitrij Kitajenko und dem Gürzenich-Orchester Köln. Remy Franck hat sich das erste der drei angehört.
Dmitrij Kitajenko hat Prokofievs Erste Symphonie Anfang der Siebzigerjahre zum ersten Mal mit den Moskauer Philharmonikern aufgeführt. Sie sei damals sehr schnell und kraftvoll gewesen, meint er rückblickend. Heute, fast fünfzig Jahre danach, ist seine Interpretation eine ganz andere. Er lässt sich Zeit, um die Klangfiguren herauszuarbeiten, um Zusammenhänge aufzudecken, und damit auch dem Zuhörer, um diese Feinheiten zu hören und zu genießen. Ja, diese Symphonie Classique war genussvoll, ein liebevoll zubereitetes Klangmahl, kulinarisch präsentiert wie von einem Sternekoch, in schönsten Farben und Formen.
Wohl selten konnte man als Zuhörer so gut nachvollziehen, wie die einzelnen Motive durchs ganze Orchester wandern, hier und dort auftauchen, sich verändern, sich umschlingen und weiter tänzeln. Dem Orchester machte es unüberhörbar Spaß, diese Klangästhetik in schönster Transparenz mit zu gestalten.
Es ist schon interessant, anhand von Aufnahmen die Entwicklung dieser Symphonie bei Kitajenko nachzuvollziehen, weil er sich ja nie darauf verlässt, ein Werk gut zu kennen. Jedes Mal, wenn er es wieder auf den Leisten holt, studiert er die Partitur aufs Neue mit höchster Akribie, um Geheimnisse aufzuspüren, die ihm vielleicht bis dahin verborgen blieben. Das gilt auch für Scriabins Klavierkonzert, in dem Gerhard Oppitz als Solist auftrat.
Auch in diesem Werk war Transparenz Kitajenkos oberstes Gebot. Nur so können Scriabins reiche Harmonien im Zusammenspiel von Solist und Orchester umgesetzt werden. Oppitz zeigte im ersten Satz eine beeindruckende technische Virtuosität, gab dem Satz aber zusammen mit dem Dirigenten auch eine große emotionale Intensität.
Der zweite Satz, Andante, begann gewissermaßen als Andante religioso und so entstand eine Welt des Friedens und der Ruhe, die einen den Atem anhalten ließ. Offensichtlich hatte Kitajenko mit dem Orchester hier wie schon in Teilen der Prokofiev-Symphonie eine Piano- und Pianissimokultur erarbeitet, zu der viele Orchester heute nicht mehr fähig sind. In seiner weiteren Entwicklung wurde das Andante so zu einer spannenden Reise durchs Scriabins innerste Welt.
Das Finale dieses Konzerts ist ein ständiger Kampf zwischen Wolken und Sonne, und Oppitz und Kitajenko gelang es, diese Unterschiede exquisit, mit einem starken Gespür für Farben und Formen hörbar zu machen.
Kaum ein anderer Dirigent hat die Vielfältigkeit der russischen Musik so gründlich gezeigt wie Dmitrij Kitajenko. Er kennt die Unterschiede und kann sie voll zum Ausdruck bringen. Während etwa Stravinsky zum Boden hin tendiert und die Erdanziehung braucht, muss Scriabin abheben können in einen flüchtigen Rausch. Das zeigte sich insbesondere in der Zweiten Symphonie, in der bei allem Pathos, das noch unterschwellig zu vernehmen war, bei allen Erinnerungen an Wagner, die hier ungemein deutlich wurden, immer auch der späte Scriabin angekündigt wurde.
Kitajenko ist auch in dieser Symphonie gegenüber seiner eigenen Einspielung etwas langsamer geworden, aber nicht nur das, er ist auch erregter und in einem durchaus gebändigten Spiel dramatisch, wo andere Dirigenten nervös und auftrumpfend pathetisch wirken.
Als perfekter Träger des Kitajenko-Klangs präsentierte das Gürzenich-Orchester einen wiederum sehr transparenten, fein gewobenen, aber auch sinnlichen Orchesterklang. So traten wunderbare Farben zutage, in allen Schattierungen, in einer voll ausgereizten Dynamik, mit der der Dirigent im Tempestoso einen das Klangmeer voll entfesselnden Orchestersturm inszenierte, der aber nie überlaut und brutal wurde, sondern so transparent war, dass der Zuhörer Mühe hatte, das Geschehen im Orchester in seiner ganzen Fülle zu erfassen. Eine grandiose Interpretation, die demnächst auch auf Schallplatte verfügbar sein wird!
Dasselbe Programm wird am heutigen Montag und am morgigen Dienstag in der Kölner Philharmonie aufgeführt.