Karl Böhm: The SWR Recordings;  Mozart: Symphonie Nr. 40 g-Moll KV 550; Beethoven: Symphonien Nr. 2, 7, 9 + Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur op. 58; Brahms: Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 68; Schumann: Klavierkonzert a-Moll op. 54; Dvorak: Symphonie Nr. 9 op. 95, Aus der neuen Welt; Hindemith: Symphonische Metamorphosen; Bruckner: Symphonie Nr. 7 E-Dur;  Branka Musulin, Klavier,  Ruth-Margret Pütz, Sopran, Sibylla Plate, Alt, Walter Geisler, Tenor, Karl Christian Kohn, Bass, Südfunk-Chor, Südfunk-Sinfonieorchester, Sinfonie-Orchester des Süddeutschen Rundfunks, Radio-Sinfonieorchester Stuttgart, Karl Böhm; 6 CDs SWR19123CD; Aufnahmen 1951-1979, Veröffentlichung 14.04.2023 (391') - Rezension von Alain Steffen

Ich bin nie ein großer Freund von Karl Böhms Studioaufnahmen symphonischer Musik gewesen – die Gesamtaufnahme der Mozart-Symphonien aus den frühen Sechzigerjahren ausgenommen –  denn sie waren mir oft,  im Gegensatz zu seinen feurigen Opernaufnahmen, zu betulich und zu langweilig. Im Konzert schien das aber ganz anders gewesen zu sein, wie diese SWR Classic-Box belegt.

Während die zwei Klavierkonzerte (Beethoven 4, Schumann) mit dem korrekten, aber nie überzeugenden Spiel der Pianistin Branka Musulin kaum erwähnenswert sind – sie und Böhm finden eigentlich nie zu einem gemeinsamen Atem – sind alle anderen Aufnahmen sehr gut bis referenzverdächtig. Herausragend sind die beiden Beethoven-Symphonien Nr. 2 (1979) und Nr. 9 (1959). Die Zweite wird von Böhm mit sehr viel plastischer Präsenz und einer quasi revolutionären Klangdramaturgie (1. Satz) dirigiert. Die Neunte, mit ihrem tollen Solistenquartett und zwei exzellenten Chören punktet durch ungewöhnliche Risikobereitschaft. Hier erleben wir eine pulsierende Neunte, gegen den Strich gekämmt, dramatisch, markant.

Böhm entreißt der Neunten von Dvorak (1954) jeden Wunschkonzertcharakter und unterstreicht den wahren, oft tragischen Gehalt der Musik. Die Interpretation ist ein Musterbeispiel klug disponierter Expressivität.

Spannend sind auch die 1. Symphonie von Johannes Brahms (1951), die Böhm wie kein zweiter zu modellieren weiß, die 7. Symphonie von Beethoven (1979), die weitaus fließender und ausgewogener daherkommt als beispielsweise seine letzte Aufnahme der 9. Symphonie (1980) mit den Wiener Philharmonikern für Deutsche Grammophon. Eine Entdeckung sind die Symphonischen Metamorphosen von Hindemith (1951), zu denen Böhm sofort den Zugang findet, und eine im alten Stil romantisch-ausgewogene 7. Symphonie von Bruckner (1974). Vor allem sind es der der musikalische Atem und der gemeinsame Puls, den Böhm und die meistens hervorragenden Radio-Sinfonie-Orchester finden, die dafür sorgen, dass der Hörer hier, ähnlich wie bei vielen Furtwängler-Livemitschnitten, Konzerte allererster Güte erlebt

I have never been a great friend of Karl Böhm’s studio recordings of symphonic music – the complete Mozart symphonies from the early sixties excepted – because they were often, in contrast to his fiery opera recordings, too sedate and boring. In concert, however, things seemed quite different, as evidenced by this SWR Classic box set.

While the two piano concertos (Beethoven 4, Schumann) with the correct but never convincing playing of pianist Branka Musulin are hardly worth mentioning – she and Böhm actually never find a common breath – all other recordings are very good to reference-worthy. The two Beethoven symphonies, No. 2 (1979) and No. 9 (1959), stand out. The Second is conducted by Böhm with a lot of plastic presence and a quasi-revolutionary sound dramaturgy (1st movement). Especially No. 9 with its great quartet of soloists and two excellent choirs scores with unusual risk-taking. Here we experience a pulsating Ninth, combed against the grain, dramatic, striking. Böhm wrests from Dvorak’s Ninth (1954) any wish-concert character and underscores the music’s true, often tragic content. The interpretation is a prime example of cleverly disposed expressivity.

Also exciting are Johannes Brahms’ 1st Symphony (1951), which Böhm knows how to model like no other, Beethoven’s 7th Symphony (1979), which comes across as far more flowing and balanced than, for example, his last recording of the 9th Symphony (1980) with the Vienna Philharmonic for Deutsche Grammophon. A discovery are Hindemith’s Symphonic Metamorphoses (1951), to which Böhm finds immediate access, and an old-style romantic-balanced 7th Symphony by Bruckner (1974). Above all, it is the musical breath and common pulse that Böhm and the usually excellent Radio Symphony Orchestras find that accounts for the listener’s experience here, similar to many Furtwängler live recordings.

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