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Ein solch historisch-musikalisches Ereignis wird in den nächsten Jahren nicht gleich wieder zu erleben sein. Die Sächsische Staatskapelle Dresden, das am längsten ohne Unterbrechung musizierende und zugleich traditionsreichste Orchester der Welt feierte seinen 475. Geburtstag. Michael Oehme hat es für Pizzicato gehört.

Die Jubel-Ouvertüre von Carl Maria von Weber leitete die fast unbeschreibliche Begeisterung des Publikums an diesem Konzertabend ein. Weber hatte die Ouvertüre in nur wenigen Tagen zum 50. Thronjubiläum des sächsischen Königs Friedrich August I. (seinem Dienstherrn quasi) geschrieben und am 20. September 1818 uraufgeführt. Seit 1817 Hofkapellmeister in Dresden, hat er darin der Kapelle ihren bis heute unvergleichlichen Personalstil auf den Leib geschrieben: tiefste dunkle romantische Klangfarben in der langsamen Einleitung und ansteckender Überschwang in der Schlussapotheose, die in die für den König (heute nur noch in England als God, save the King) bekannte Hymne mündet: « Den König segne Gott, den er zum Heil uns gab, ihn segne Gott. Ihn schmücke Ruhm und Ehr, ihn flieh der Schmeichler Heer, Weisheit steh´ um ihn her, ihn segne Gott.“ – all das bis heute hörbar in der einmaligen, von Weber inspirierten sprechenden Artikulationskunst dieses Orchesters. Es folgten eine Rede des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer mit der Würdigung der einzigartigen Geschichte und Leistungsfähigkeit der Staatskapelle, aber auch einem heute mehr denn je wichtigen Bekenntnis zur sächsischen Musikkultur. Und auch Christian Thielemann gab in treffenden Worten dem Stolz auf ‘sein’ Orchester Ausdruck, wenngleich im Raum das nach wie vor vorhandene Unverständnis mitschwang, dass dessen Vertrag bis 2024 nicht verlängert wurde.

Dann Richard Wagner: Rienzi, Holländer und Tannhäuser hat er in seiner Zeit als Hofkapellmeister in Dresden uraufgeführt. Lohengrin kam, nachdem er wegen seiner Teilnahme an der Revolution fliehen musste, nicht mehr zustande. Aber das Werk sei nicht denkbar gewesen ohne das Schimmern der Dresdner Geigen. Im Jubiläumskonzert sollte die Tannhäuser-Ouvertüre die Wagner-Kompetenz der Staatskapelle beweisen. Und sie tat es exemplarisch, angefangen im unvergleichlich schönen gemeinsamen Atmen der Bläser in der Einleitung, dem irrisierenden Glanz im Bacchanale und einer himmelstürmenden Steigerung hin zum dreifachen Forte am Schluss, bei der trotzdem alles durchhörbar war: die Tiefen der Tuba, Posaunen und Fagotte bis hin zu den Arpeggien der Violinen in höchster Höhe.

Nach der Pause an diesem Abend der neben Weber und Wagner eigentliche ‘Hausgott’ der Dresdner, Richard Strauss. Zunächst „Also sprach Zarathustra“. Wovon ließ sich alles schwärmen – von der Wärme und dem seidig-angerauten Glanz der tiefen Streicher, den überirdisch-sinnlichen Violinsoli des Konzertmeisters Matthias Wollong und dem geradezu ekstatischen, und doch feenhaft leichten Orchesterspiel im ‘Tanzlied’, bei dem man sich als Zuhörer wie in einem Schwebezustand versetzt fühlte.

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Dann schließlich eine Rosenkavalier-Suite, die von Strauss autorisierte Fassung von Artur Rodzinski aus dem Jahr 1944. ‘Der Rosenkavalier’, das « letzte ganz sorgenfreie internationale Theaterfest des Europas vor dem Kriege“ (Hans Gregor), 1911 in Dresden uraufgeführt – Sonderzüge aus Berlin, Leipzig und Prag brachten damals wochenlang Musikbegeisterte in die sächsische Residenz – die Staatskapelle spielt diese Musik natürlich mit schlafwandlerischer Sicherheit. Aber die Suiten daraus sind noch einmal etwas Eigenes, die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen bzw. Abschnitten sogar heikel. So konnte es einem regelrecht schwindlig werden bei der Perfektion und sichtbar überschäumenden Spielfreude, mit der Thielemann und die Kapelle diese, ‘ihre’ ureigenste Musik dem Himmel Nahe brachten. Eine Viertelstunde lang Jubel über Jubel, Getrampel und Standing Ovations für das ganze Orchester, einzelne Musiker, alle Instrumentengruppen und Christian Thielemann. Mit Glückstränen in den Augen verließen die Besucher den Semperbau.

475 Jahre Sächsische Staatskapelle Dresden
10 CDs
Generalmusikdirektoren und Chefdirigenten in Tonaufnahmen aus 100 Jahren
1923 -2023
Edition Günter Hänssler Profil
10 CD PH23007

Goldglanz und Schattenwürfe
Die Sächsische Staatskapelle Dresden in den Jahren 1923 bis 2023
Herausgegeben von Christoph Dennerlein und Michael Märker im Auftrag der Sächsischen Staatskapelle Dresden
2023 Verlag Klaus-Jürgen Kamprad Altenburg
ISBN: 978-3-98753-010-4

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