Ein Interview von Alain Steffen mit der amerikanischen Komponistin.

Jennifer Higdon
(c) Henry J. Fair

Nach vielen Orchesterwerken und Kammermusik haben Sie mit ‘Cold Mountain’ Ihre erste Oper geschrieben. Wie ist es zu diesem Projekt gekommen?
Ich habe einfach gedacht, dass es jetzt an der Zeit wäre, etwas anderes zu tun, eine neue Herausforderung zu suchen. Ich hatte mich viele Jahre lang auf Instrumentalmusik konzentriert und nun einfach Lust, eine Geschichte mit visuellen Elementen zu erzählen. Diese Idee, eine Oper zu schreiben –  das muss ich aber sagen – ist lange in mir gereift. Und  war auch immer mit einem Wechselbad der Gefühle verbunden. Auf der einen Seite diese inspirierende Spannung, auf der anderen dann dieses Gefühl der Angst und Unsicherheit, sich auf ein komplett neues Terrain zu wagen. Einer meiner Mentoren, der Dirigent Robert Spano, unterstützte mich und machte mir immer wieder Mut, wenn ich zu zweifeln begann. Wir wussten beide, dass dies eine einmalige Gelegenheit wäre, etwas Neues zu erlernen und sich als Komponistin weiterzuentwickeln. Und so war es auch tatsächlich. Eine Oper zu komponieren ist etwas total anderes als jetzt Instrumentalmusik, Kammermusikwerke oder gar Lieder zu schreiben.

 Warum haben Sie sich gerade für Charles Fraziers Roman ‘Cold Mountain’ entschieden?
Seit ich die Idee zu einer Oper hatte, habe ich nach einer geeigneten Geschichte gesucht. Als dann Fraziers Buch ‘Cold Mountain’ erschien, habe ich all diese wunderbaren Charaktere, die Sprache des Südens und auf die Landschaften in mir wiedererkannt. Es ist eine großartige Liebesgeschichte, die sich im amerikanischen Bürgerkrieg behaupten muss. Der amerikanische Bürgerkrieg ist einer der wichtigsten und entscheidendsten historischen Momente in der amerikanischen Geschichte und somit quasi für eine Oper prädestiniert. In ‘Cold Mountain’ gibt es viele dramatische Momente mit Liebe und Tod, also alles Elemente, die man in der klassischen Oper wiederfindet. Später wurde mir dann bewusst, dass ich eigentlich sehr eng mit dieser Geschichte verbunden bin, insbesondere, weil ich meine Jugend in dieser Gegend der USA sehr nahe am ‘Cold Mountain’ in North Carolina verbracht hatte und alles, was Frazier in dieser Hinsicht schrieb, mir sehr vertraut vorkam. Ich fühlte mich mit dieser Geschichte auch sehr wohl, was mir dann wiederum half, mein Bestes in einer mir unvertrauten Musiklandschaft zu geben.

Jennifer Higdon (c) Candace DiCarlo

Jennifer Higdon
(c) Candace DiCarlo

Viele zeitgenössische Komponisten wählen oft historische Themen für ihre Opern. Ich denke da an Aribert Reimanns Lear oder John Coriglianos ‘Ghosts of Versailles’. Warum werden eigentlich nicht öfters zeitgenössische Themen, Figuren oder Geschichten genommen?
Ich denke, jeder Komponist muss für sich entscheiden, welche Geschichte er wie erzählen will. In vielen historischen Themen finden wir trotzdem immer wieder Bezüge zur Gegenwart. Jeder Komponist kann nur ehrliche Musik machen, wenn er sich mit seiner Geschichte und den Personen identifizieren kann. So bleibt es letztendlich eine Sache des Geschmacks, für welche Geschichte der Komponist sich entscheidet. Übrigens gibt es aber auch zeitgenössische Komponisten, die aktuelle Themen aufgreifen. Nico Muhly beispielsweise hat zwei Opern geschrieben, die sich auf Geschehnisse des letzten Jahrzehnts berufen. Und Mark-Anthony Turnage hat eine Oper über Marilyn Monroe geschrieben.  Für mich war es beispielsweise eine Herausforderung, eine musikalische Reflexion über die Musik des amerikanischen Südens zu machen. Ich kenne momentan keinen anderen Komponisten, der das bereits getan hat.

 Welche Themen berühren Sie und wie benutzen Sie dann diese in Ihren Werken?
In erster Linie sind es die Musiker, für die ich schreibe, die mich inspirieren. Die Persönlichkeit des Interpreten ist deshalb für mich sehr wichtig. Wie spielt er? Was sucht er? Wie kommuniziert er? Ich versuche dann, Gefühl und Herz in einen guten Bezug zu einem technischen Ablauf zu setzen und ein kohärentes Gleichgewicht herzustellen. Also, ich lege schon sehr viel Wert darauf, dass meine Werke  technisch einwandfrei komponiert sind. Doch in der Technik liegt nicht das Wesentliche. Eine Technik kann man erlernen, sie ist ein Handwerk.  Empfindungen, Gefühle, die kommen tief aus dem inneren und können nicht erlernt werden. Ein Komponist muss wissen, wie er ehrlich empfundene Musik für ein bestimmtes Instrument, eine bestimmte Stimme oder einen bestimmten Menschen schreibt. Wissen Sie, es ist sehr einfach, komplizierte Musik zu schreiben, die keiner richtig spielen kann. Aber es ist doch recht schwierig, wirklich gute Musik zu schreiben, die im Einklang mit Stimme, Instrument und Mensch steht.

War es eigentlich schwer für sie, die richtige Musik für ‘Cold Mountain’ zu finden.
Nein, nicht sehr. Da ich ja aus dieser Gegend stammte, war ich mit der ‘Blue Grass’-Musik vertraut. ‘Blue Grass’ gehört zur ‘American roots music’ und besitzt auch einige Wesenszüge der County Music. Den Ursprung von Blue Grass findet man in der traditionellen Musik der Appalachen, sie vermischt allerdings auch Einflüsse aus irischer, schottischer, walisischer  und englischer Volksmusik. Ich arbeitete 28 Monate an meiner Oper, und zwar schön brav jeden Tag. Zuerst machte ich mir Skizzen, wie ‘Cold Mountain’ aussehen sollte. Ich habe dann auch chronologisch gearbeitet, das heißt, ich am Anfang begonnen und am Ende aufgehört. Eine Ausnahme war die Arie von Ada, die Idee dazu hatte ich sofort am Anfang. Ich hatte diese Musik im Kopf, wusste aber da noch nicht, welcher Person ich sie wo zuschreiben sollte. Und ich hielt daran fest, bis ich am 2. Akt an eine Stelle kam, wo mir klar wurde, dass diese Musik zu Ada gehört. Und sie stimmte erstaunlicherweise auch mit dem Libretto überein. Für mich war es ein sehr berührender und schöner Moment, als sich Musik, Text und Figur plötzlich wie von selbst zusammenfügten. Und es war erstaunlich zu merken, dass die Musik bereits vorhanden war, ehe der Librettist überhaupt begonnen hatte, an diesem 2. Akt zu arbeiten…. .

Jennfer Higdon & Cat (C) Candace Di Carlo

Jennfer Higdon & Cat
(C) Candace Di Carlo

Und wie verlief die Zusammenarbeit zwischen dem Librettisten Gene Scheer und Ihnen? Es scheint mir doch relativ schwierig zu sein, die richtigen Szenen aus Fraziers Roman herauszufiltern und in einen schlüssigen Kontext zu setzen.
Die Arbeit mit Gene verlief sehr harmonisch, weil wir uns immer irgendwie absprechen konnten und er mir nicht ein fertiges Libretto vorgelegt hat. Die Oper ‘Cold Mountain’ war ein ‘work in progress’, das wir uns zusammen Schritt für Schritt erarbeiteten. Wir haben beide das Buch mehrere Male gelesen und haben uns dann einen Tag lang zusammengesetzt um die Schlüsselszenen zu definieren. Und erstaunlicherweise fanden wir recht schnell einen Verlauf, der die drei Hauptpersonen, nämlich Inman, Ada und Ruby schlüssig in die Geschichte einbinden würde. Wir hatten gedacht, dass diese Auswahl lange dauern würde, aber tatsächlich hatten wir die wichtigsten Momente in einer Stunde fertig. Es gab keine Diskussionen und es war, als würden uns die Entscheidungen ganz natürlich zufliegen. Wir waren uns einig, dass die Charakterisierung der drei Figuren im Vordergrund stehen sollte und sich ihre Entwicklung in den verschiedenen Szenen wiederspiegeln sollte. Um die Solostellen, die Duette und Quintette auszubalancieren, entschied ich mich, Chorszenen in den Ablauf miteinzubauen. Es ist sehr wichtig, gerade bei einer Oper, immer wieder neue musikalische Elemente miteinzubringen. Nur so bleibt der Geschichtsverlauf über die Dauer hin interessant. Gerade bei einer Geschichte wie die von ‘Cold Mountain’, wo man weiß, wo sie hinsteuert und wie sie sich am Ende entwickeln wird. Wir haben es uns deshalb mit dem Einverständnis von Charles Frazier erlaubt, einige ‘neue’ Szenen miteinzubauen. Auch der Film von Anthony Minghella mit Nicole Kidman, Jude Law und Renée Zellweger hält sich nicht  hundertprozentig an Fraziers Roman.

‘Cold Mountain’ ist ja eine typisch amerikanische Geschichte. Welche Bedeutung hat den nun die klassische amerikanische Musik eines Ives, Copland, Bernstein oder Corigliano in dieser Hinsicht für Sie?
Als Komponistin denke ich gar nicht daran und, ehrlich gesagt, mein musikalisches Erbe ist mir in dem Moment, wo ich komponiere, nicht wichtig. Ich bin dann viel zu sehr mit dem eigenen kreativen Prozess beschäftigt. Dass meine Musik in dieser gleichen amerikanischen Linie liegt, scheint mir natürlich, denn ich bin Amerikanerin. Aber mich hinzusetzen und darüber nachzudenken, wie andere amerikanische Komponisten vorgegangen sind während ich gerade dabei bin, etwas eigenes zu schaffen, kann sehr, sehr gefährlich sein. Denn ganz plötzlich hat man hier und da etwas übernommen, was einem anderen gehört. Meine Musik muss hundertprozentig Ich sein. Ich kann nicht zulassen, dass plötzlich andere Komponisten durch meine Musik sprechen. Natürlich habe ich die Musik vieler amerikanischer Komponisten studiert, das gehört zur Ausbildung, aber wenn ich arbeite, kann ich dies problemlos ausklammern und meiner eigenen Stimme folgen.

Cold Mountain’ wurde im August 2015  von der ‘Santa Fé Opera’ uraufgeführt, welches ja ein ganz besonderes Opernhaus ist.
Ja, die ‘Santa Fé Opera’ is ein sogenanntes Outdoor-Haus mit einem tollen Blick auf die Berge von New Mexico und auf atemberaubende Sonnenuntergänge. Die Akustik ist für ein solch offenes Haus erstaunlich gut. New Mexico ist bekannt als ‘Land of Enchantment’ und es gibt hier tatsächlich eine absolut magische Atmosphäre. Viele Leute kommen jedes Jahr von weit her, um hier an Opernaufführungen teilzuhaben. Und ich bin glücklich sagen zu können, dass ‘Cold Mountain’ ein riesiger Erfolg war und jedes Mal ausverkauft war, genauso wie die vier anderen Opern des Standartrepertoires. Wir hatten einen so großen Erfolg, dass die ‘Santa Fé Opera’ sich dazu entschloss, noch eine Vorstellung dranzuhängen, die dann ebenfalls ausverkauft war. Und das war das erste Mal in der Geschichte dieses Hauses, dass eine Zusatzvorstellung ebenfalls ausverkauft war. Sie müssen wissen, dass die ‘Santa Fé Opera’ pro Spielzeit fünf Opern nach dem Rotationsprinzip aufführt, so dass an jedem Abend gespielt wird. Bei einer neuen Oper werden dann die Sänger verpflichtet, die auch in den anderen Produktionen auftreten. Besonders die technischen Proben fanden nach den Vorstellungen, also nachts statt. Das ging dann oft von Mitternacht bis zum Sonnenaufgang.

Wo sehen Sie als Komponistin die Unterschiede zwischen der amerikanischen und der europäischen zeitgenössischen Musik?
Ich muss zugeben, dass ich mich nicht mit diesen Unterschieden auseinandersetze, nicht weil es mich nicht interessiert, sondern weil ich einfach keine Zeit habe, mir darüber Gedanken zu machen. Aber ich denke, jeder gute Komponist folgt seinem eigenen Pfad, egal von wo er herkommt. Wir haben alle viel mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Wir lieben alle die Musik und wir schätzen die Interpreten, die sich unserer Werke annehmen und sie bestmöglichst aufführen und in die Welt hinaustragen. Und wir sind glücklich, wenn wir mit unserer Musik die Menschen bewegen. Dann ist es egal, woher wir kommen. Das Fachsimplen überlasse ich dann gerne den Musikwissenschaftlern.

 Wie sehen Sie denn die Entwicklung der klassischen und auch der zeitgenössischen Musik in der Zukunft?
Auch das ist eine Frage, die mich als schaffende Künstlerin nicht interessiert. Ich habe das Glück zu jenen Komponisten zu gehören, die eine lange Warteliste an Auftragswerken haben. Und ich arbeite gerne, kümmere mich aber nichtwirklich darum, welche Musik es in fünfzig Jahren geben wird. Das ist eine Frage, nach der sich Theoretiker und Musikwissenschaftler sicher die Finger lecken würden. Ich bin glücklich, heute Musik schreiben zu können für die Menschen, die heute leben und für Musiker, die sie heute spielen. Und ich bin sehr, sehr glücklich darüber, gerade heute zu leben und zu arbeiten, in einer Zeit,  wo uns Komponisten alle Möglichkeiten zur Verfügung stehen und die Musikwelt so vielseitig ist wie niemals zuvor.

Rezension der CD Cold Mountain

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