Jan Lisiecki
(c) Christoph Koestlin

Herr Lisiecki, Sie spielen in Luxemburg Mozarts Klavierkonzert Nr. 20. Welchen Stellenwert hat das Konzert im Schaffen des Komponisten?
Mozart hat ja insgesamt 27 Klavierkonzerte geschrieben, mit dem 20. beginnt eigentlich ein neuer Stil. Mozart ist hier sehr avantgardistisch und sein 20. Klavierkonzert ist ein Werk, das sich von seinen Vorgängern deutlich abhebt, ja sich von der Vergangenheit löst und neue Wege einschlägt. Das sowohl auf orchestralem wie auch expressivem Plan. Nie zuvor hat Mozart so viele verschiedene Emotionen in einem Klavierkonzert verarbeitet. Das geht von sehr dunklen, tragischen Momenten über ein intimeres In-sich-hineinschauen bis hin zu großer Leuchtkraft.

Bereits im Klavierkonzert Nr. 19 übernahm das Orchester eine wichtige Rolle und leitete einen symphonischeren Stil in den Konzerten ein, der sich im Konzert Nr. 20 fortsetzt. Man hat aber nie den Eindruck, dass Mozart hier experimentiert, sondern dass es sich um eine natürliche Entwicklung handelt.
Genau das ist das Genie von Mozart! Man hat nie den Eindruck, dass er etwas ‘anders’ machen wollte. Ich denke, er hat nie bewusst darüber nachgedacht, Experimente zu machen. Die Musik ist einfach aus ihm herausgeflossen, oft neu, wie Sie sagen, wie eben im  Klavierkonzert Nr. 19, aber immer sehr natürlich und sehr meisterhaft. Alle neuen Ideen Mozarts entstanden mit einer absoluten Perfektion und führen bruchlos in die Zukunft.

Worin liegen hier für Sie als Interpret die Herausforderungen?
Ich denke, um Mozart gut zu spielen, muss man seine Musik lieben, sich ihr hingeben. Was jetzt das Klavierkonzert Nr. 20 betrifft, so ist dies ein Werk, bei dem sich der Interpret unmöglich verstecken kann. Es setzt eine Intensive Beschäftigung mit der Musik voraus. De Pianist ist hier sehr im Fokus und muss fast punktgenau die verschiedenen Stimmungen und Wünsche des Komponisten umsetzen, sowohl was Klarheit, Klang, Tempo oder Emotionen betrifft. Gerade hier konfrontiert uns Mozart mit einem ungeheuren Wechselbad an Gefühlen, da muss man schon als Pianist sehr konzentriert und wachsam bleiben.

Mit den Solistes Européens Luxembourg steht ihnen ein  Ensemble zur Verfügung, das kammermusikalisch zu musizieren weiß, jedoch eine sehr klassische Herangehensweise hat. Wie stehen Sie selbst zur historisch informierten Aufführungspraxis, allgemein und speziell jetzt in Bezug auf Mozart.
Ich habe einige Erfahrungen auf historischen Instrumenten und mit der historisch informierten Aufführungspraxis. Aber mir ist es wichtig, in der heutigen Realität zu bleiben. Auf historischem Instrumentarium zu spielen, kann sehr interessant sein und gibt uns vielleicht Einblicke in die Aufführungspraxis von damals, aber müssen wir dieses ‘damals“ heute wieder reproduzieren?  Wir leben in einer anderen Zeit, die Menschen sind anders, die Konzertsäle sind viel größer, die Akustik hat sich verändert, ebenso die Qualität der Instrumente und die Qualität der Orchester. Ich bin ein Pianist der Gegenwart. Und nur als dieser Pianist und Mensch kann ich ehrlich in meinem Spiel sein. Und das ist ja letztendlich das wichtigste. Ehrlichkeit, das ausdrücken zu dürfen und auch zu können, was mir am Herzen liegt. Und bei Mozart ist das nun mal Schönheit und Freude. Und das gelingt dann auch nur, wenn ich mit den richtigen Partnern spiele, die ebenfalls dieses Gefühl vermitteln wollen.

Wie erarbeiten Sie sich selbst so ein Werk. Eher von den Noten aus, oder eher von Stimmung, der Atmosphäre oder dem historischen Kontext?
Für mich steht die Partitur an allererster Stelle. Sie ist die Basis, da hat der Komponist alles notiert. Natürlich ist es auch hilfreich, das historische, persönliche und soziale Umfeld zu kennen, aber eigentlich steht alles Wichtige in den Noten. Wie ich allerdings diese Noten und ihre Zusammenhänge interpretiere, das macht das Ganze eben interessant. Selbst wenn Mozart beispielsweise genaue Tempobezeichnungen gibt, empfinde ich ein Allegro ganz sicherlich anders als ein anderer Pianist. As Interpret muss ich das Werk so kennen, dass ich es auch innerlich erleben kann. Wenn mir das gelingt, dann finde ich einen natürlichen inneren Duktus, eine Erzählweise und eine Expressivität, die ehrlich ist, und die meine ist. Und das ist ja das Großartige an der Musik. Jeder empfindet die Musik anders und trotzdem ist es immer richtig. Wunderbar ist es natürlich, wenn ich den Menschen mein Gefühl in meiner Interpretation so übermitteln kann, dass sie meinen Weg ebenfalls verinnerlichen und mir folgen.

Jan Lisiecki
(c) Christophe Grémiot

Sie selbst haben polnische Wurzeln, da liegt natürlich die Musik von Chopin sehr nahe. Leider wird Chopins Musik immer noch gerne als Salonmusik gesehen. Ich habe Sie letztes Jahr in Oslo mit einem Chopin gewidmeten Konzert erlebt und war doch immer wieder überrascht zu hören, wie nuancenreich, feininnig und tiefgehend man seine Werke doch interpretieren kann.
Chopin ist als Komponist einmalig, insbesondere, was das Klavier betrifft. Seine Musik ist sehr individuell und bietet trotzdem sehr viele verschiedenen Herangehensweisen. Man muss als Interpret allerdings aufpassen, dass man sich nicht zu sehr auf spieltechnische Schwierigkeiten konzentriert und dann versucht, diese möglichst virtuos zu lösen. Dann bleibt man an der Oberfläche, bleibt plakativ, was Chopin dann leider auch den Ruf als Salonkomponist eingebracht hat. Das stimmt aber nicht; Chopin ist ein ausgenommen feinsinniger und kluger Komponist, der eine sehr tiefe und berührende Musik geschrieben hat und in Sachen Melodik, Rhythmik, Formen und Harmonik etliche Neuerungen entwickelt hat. Hier ist es natürlich wichtig zu wissen, dass Chopins Leben durchaus dramatische Wendungen hatte. Und genau das ist in seinen Werken enthalten. Auf der anderen Seite war Chopin ein Mensch mit viel Humor; auch dieser findet sich in seiner Musik wieder. Wenn man sich also die Zeit nimmt, hinter die technischen Kunstgriffe zu blicken, dann entdeckt man einen feinfühligen und sehr sensitiven Komponisten.

Sie sind  im Alter von 9 Jahren zum ersten Mal mit einem Orchester aufgetreten, mit 13 spielten Sie bereits mit der Sinfonia Varsovia zusammen und mit 16 schlossen Sie mit der DG einen Exklusivvertrag ab. Wunderkind? Glück? Harte Arbeit? Wie sehen Sie das heute?
Glück ist ein großes Wort, aber ja, es haben viele positive Wendungen dazu geführt, dass ich bereits in jungen Jahre diese Karriere machen konnte. Das Wichtigste aber ist harte Arbeit. Nicht weil die Karriere das verlangt, sondern weil man es selber will. Und Ehrlichkeit. Die Musik, das Werk, der Komponist, sie stehen an allererster Stelle. Die Aufgabe von uns Interpreten ist es, genau das in den Mittelpunkt zu stellen und dabei immer ehrlich mit uns selbst zu sein.

Jan Lisiecki
(c) Christoph Koestlin

Hat man denn in diesem Alter schon das Zeug für eine solche Karriere? Und auch das Repertoire?
Eine Karriere entwickelt sich nicht von Null auf Hundert in kurzer Zeit, auch wenn das manchmal so scheinen mag. Und gerade als junger Mensch ist man von so vielen Gegebenheiten abhängig. Auf der einen Seite ist es die Arbeit und ein Repertoire zu finden, das einem liegt und das man spielen will. Hat man für sich diese Musik entdeckt und gefunden, dann entwickelt sich eigentlich alles sehr natürlich und progressiv, vorausgesetzt, man bleibt am Ball. Und irgendwann kommen dann Einladungen und Verträge. Auch diese sollten das Resultat sich der natürlichen Entwicklung des Künstlers sein. Sehr, sehr wichtig sind die Menschen, die einen betreuen und denen man vertraut. Nur mit guten ehrlichen und wohlgemeinten Ratschlägen kann man als Teenager, und natürlich auch als Erwachsener, die richtigen Entscheidungen treffen. Und dann noch etwas sehr Wesentliches: Es ist unheimlich wichtig zu lernen, wie man lernt.

Mit 28 machen machen Sie eine großartige internationale Karriere. Aber eigentlich ist das die Ausnahme. Die allermeisten Solisten und Musiker haben nicht dieses Glück. Was würden Sie Ihnen sagen, raten, mit auf den Weg geben?
Wir sind alle Künstler und jeder schlägt einen anderen Weg ein. Wissen Sie, eine internationale Karriere kann etwas sehr Flüchtiges sein und man darf nie davon ausgehen, dass sie immer und auf diesem Niveau anhält. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir für unser Publikum spielen. Eine CD-Aufnahme kann technisch wahre Wunder vollbringen und den Künstler in bestem Licht erscheinen lassen. Was aber zählt, ist der Live-Auftritt. Da muss der Musiker Farbe bekennen und eine Verbindung zu dem Publikum aufbauen. Und dann ist es doch eigentlich egal, ob er vor 2.000 oder 100 Zuhörern spielt. Quantität sollte nicht zu unserer Kunst gehören. Dafür aber Qualität und Ehrlichkeit.

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