Gustav Mahler: Symphonie Nr. 4; Anna Lucia Richter, Mezzosopran, Bamberger Symphoniker, Jakub Hrusa; 1 CD Accentus Music ACC30532; Aufnahme 07/2020, Veröffentlichung 22/01/2021 (55') – Rezension von Remy Franck

Zunächst verblüfft in dieser Neueinspielung der Vierten Mahler der Klang der Aufnahme. Er ist optimal ausgeleuchtet, transparent bis in die hinterste Ecke des Orchesters, optimal räumlich in Breite und Tiefe und von einer phänomenalen klanglichen Präsenz. Im Vorwort berichtet Dirigent Jakub Hrusa von einem wegen der geltenden Hygienebestimmungen in Coronazeiten um zwei Meter in den Zuschauerraum hinein erweiterten Bühnenpodest und vergrößerten Abständen im Orchester. Inwieweit das zu diesem wunderbar klaren Orchesterklang beigetragen hat, ist schwer abzuwägen, da Hrusa als Dirigent eben auch ein Spezialist für orchestrale Beleuchtung ist. Aber er ist noch mehr, er ist auch ein Spezialist für orchestrale Rhetorik. Und es gelingt ihm mit einem ganzen Arsenal an dynamischen, agogischen und farblichen Gestaltungsmitteln diese Vierte zu einem herausragenden musikalischen Erlebnis zu machen.

Es gibt in dieser Vierten nicht die schroffen Kontraste, welche die Mengelberg-Interpretation auszeichnen, auch nicht die überspitzte Vitalität von Solti oder die Verspieltheit von Rattle in seiner Birminghamer Aufnahme. Weit entfernt sind wir auch von der naiv-soften Schönmalerei, die manchmal in dieser Symphonie zu hören ist, dafür aber gibt es umso mehr Sensualität und einen außergewöhnlichen Reichtum an Details und punktuellen Akzentuierungen. Bei Hrusa wirkt nichts kalkuliert, nichts recherchiert, sondern ist das Ergebnis eines tiefen Mahler-Verständnisses, das vor dem Hintergrund dessen, was Mahler als  ‘ununterschiedenes Himmelsblau’ bezeichnete, in jener « größten Beweglichkeit der Rhythmen und Harmonien », die dem Komponisten vorschwebte, auch das nötige Maß an Spukhaftem und an Verfinsterungen enthält. Die Spontaneität, die Hrusa damit erreicht, ist ebenso faszinierend wie die Intensität des Orchesterspiels.

Für den letzten Satz hat Hrusa mit Anna-Lucia Richter eine Mezzosopranistin verpflichtet, um Mahlers so spezielle Vision des Himmels umzusetzen. Und sie macht das sehr gut. Mithin ist dies in der langen Liste herausragender Aufnahmen der Vierten Symphonie von Gustav Mahler eine, die sich kein Mahler-Freund entgehen lassen sollte.

First of all, on this new recording of Mahler’s Fourth, the recorded sound is astonishing. It is optimally translucent, transparent to the farthest corner of the orchestra, optimally spatial in width and depth and of a phenomenal presence. In the preface, conductor Jakub Hrusa reports of a stage platform extended two meters into the auditorium and of increased distancing in the orchestra because of the Corona regulations. To what extent this contributed to the wonderfully clear orchestral sound is difficult to assess, since Hrusa is also a specialist in orchestral clarity. But he is also a specialist in orchestral rhetoric. And with a whole arsenal of dynamic, agogic and color nuances he makes this Fourth an outstanding musical experience.
There are none of Mengelberg’s sharp contrasts in this Fourth, nor the exaggerated vitality of Solti, nor the playfulness of Rattle in his Birmingham recording. We are also far from the naïve, soft loveliness that can sometimes be heard in this symphony, but there is all the more sensuality and an extraordinary wealth of accentuation. In Hrusa’s account, nothing seems calculated, nothing researched, but is the result of a deep understanding of Mahler that, against the background of what the composer called ‘undifferentiated sky-blue,’ includes the most spooky moments and the somber ones, the changes being made in the greatest agility of rhythm and harmony that Mahler had in mind. The spontaneity Hrusa achieves is as fascinating as the glowing sound of his orchestra.
For the last movement, Hrusa engaged mezzo Anna-Lucia Richter to realize Mahler’s special vision of heaven. And she does it very well in a sensitively composed contribution. Thus, in the long list of outstanding recordings of Gustav Mahler’s Fourth Symphony, this is one that no Mahler aficionado should miss.

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