Geoffrey Alvarez: Hölderlinfenster (Vorspiel, Der Neckar, Wie Meeresküsten..., Ihr sichergebauten Alpen..., Der Spaziergang, Die Asyle, In lieblicher Bläue…, Der Ister, Lebenslauf, An Zimmern, Die Wanderung, An die Parzen, Vom Delphin, Das fröhliche Leben, Die Heimath, Burg Tübingen); April Fredrick, Sopran, Alessandro Viale, Klavier; 2 CDs Sheva SH250; Aufnahme 09/2018, Veröffentlichung 01/06/2020 (118'07) – Rezension von Uwe Krusch

Nach Wanderjahren, die auch mit seiner bis heute ungeklärten geistigen Verfassung zu tun haben können, verbrachte Friedrich Hölderlin seine zweite Lebenshälfte im sogenannten Turmzimmer. Dieses Gemach im Hause der Familie Zimmer direkt am Neckar in Tübingen ermöglichte ihm den Blick auf den Fluss. Hölderlins Bedeutung als Dichter beruht vor allem auf seinem lyrischen Werk, in dem sich vor allem Hymnen, Oden und Elegien finden.

Der nicaraguanisch-englische Komponist Geoffrey Alvarez hat daraus einen Bilderbogen komponiert, der sich aber vor allem aus Werken zusammensetzt, die vor der Zeit in Tübingen entstanden. Ihre Verknüpfung sieht Alvarez darin, dass Hölderlin im Turm am Fenster steht und dem Vorbeifließen des Wassers seine Gedanken überlässt und daraus ein Panorama entsteht. Dieses führt von den Alpen bis ans Meer oder in mehr philosophische Gefilde. Dem Zuhörenden bietet sich darüber hinaus die Freiheit, auch den Lebensfluss oder andere Ideen einzuweben.

Man meint, fast allen Kompositionen die geistige Verwirrung und Unruhe anzuhören, die den Autor der Verse ein Leben lang beeinträchtigte. Lediglich in einzelnen Beiträgen, wie ‘In lieblicher Bläue’ wird ein entspannteres Klangbild hörbar. Die Stücke sind meist etwas schroff und tonal aufgeraut, so dass das Zuhören ebenso fordernd ist wie die Lektüre.

Die aus Wisconsin stammende Sopranistin April Fredrick und der römische Pianist Alessandro Viale gehen die Deutungen mit Geschick und Können an. Zunächst erfreut die Sängerin mit einer überraschend akzentfreien Aussprache, die es einem nicht nur mit den mitgelieferten Texten vor Augen ermöglicht, dem Wortlaut zu folgen. Ihre immer geschmeidige Stimme, Weiß sowohl den Charakter der Musik als auch den Sinn der Lyrik zu zeigen. Der Pianist liefert dazu die zumeist akzentuierten Anschläge, kann aber in den zurück zurückgenommenen Passagen auch diese mit Einfühlungsvermögen darlegen. Da beide Interpreten einen Schwerpunkt in der zeitgenössischen Musik haben, gelingt es ihnen, den zweistündigen Bogen überzeugend zu formen. Mit dem Abdruck der Verse sowie Beiträgen zu Hölderlin, den Ideen des Komponisten und den Protagonisten sowie einer tontechnisch feinen Aufnahme wird dieses Kompendium abgerundet.

German poet Friedrich Hölderlin spent the second half of his life in the so-called tower room. This room directly on the Neckar in Tübingen allowed him to enjoy a view of the river.
The Nicaraguan-English composer Geoffrey Alvarez composed a pictorial series from these poems. The idea is that Hölderlin stands in the tower by the window andshares his thoughts with the flowing water. This leads from the Alps to the sea or into more philosophical territories. Almost all the compositions deal with the mental confusion and restlessness that affected the author of the verses throughout his life. The music is mostly a little rough, so that listening is as demanding as reading.
The performance by the Wisconsin-born soprano April Fredrick and the Roman pianist Alessandro Viale is truly skilful. First of all, we appreciate the singer’s surprisingly accent-free pronunciation, which allows us to follow the text not only with the provided lyrics. With her always supple voice, she knows how to show both the character of the music and the meaning of the lyrics. The pianist provides the mostly accentuated accompaniment, but he is as convincing in the more withdrawn passages. This release comes with the imprint of the verses as well as contributions on Hölderlin, the ideas of the composer and information on the performers, and a technically fine recording.

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