Warum war es Ihnen wichtig, zum 200. Geburtstag von Johann Strauss (Sohn) eine Stimme aus Dresden im Gratulationschorus hinzuzufügen?
Die Beschäftigung mit Johann Strauss (Sohn) erstreckt sich bei uns über viele Jahre. Eine erste CD-Aufnahme entstand im Jahr 2000 im Zusammenhang mit einer Initiative zur Erhaltung eines historischen Festsaals in Dresden: « Walzer und Polkas aus dem Palais im Großen Garten zu Dresden ».
Das musikalische Ideenspektrum, die Melodien- und Gestaltungsvielfalt in höchster Kunstform beeindruckten uns in dieser Musik ähnlich wie bei Bach und Mozart. Ebenso ließ uns Strauss´ Verbindung zu Deutschland (er war seit 1887 Bürger von Sachsen- Coburg-Gotha) und natürlich speziell zu Dresden thematisch nicht los.
Johann Strauss weilte einst gern in unserer Stadt, bezeichnete den Aufenthalt in Dresden sogar als « die schönste Zeit meines Lebens ». Wenn das kein Ansporn ist, gerade diese, für Dresden oder in Erinnerung an Dresden komponierten Stücke zu spielen!
Welch glückliche Fügung außerdem, dass ausgerechnet Dresdens früherer Oberbürgermeister Dr. Ingolf Roßberg der 1. Vorsitzende der Deutschen Johann Strauss- Gesellschaft ist. Aus der Verbindung mit diesem glühenden Verehrer Strauss`scher Musik entstand die Idee einer deutschen Johann Strauss-Aufnahme, die wir als Exclusiv-Ensemble beim Festwochenende 200 Jahre Johann Strauss/Sohn- 138 Jahre Coburger Bürger- 50 Jahre Deutsche Johann Strauss-Gesellschaft vorstellen konnten.
Die Strauss 200- Produktion der Cappella Musica Dresden ist für uns kein Produkt eines zu vermarktenden Kalenderjubiläums, sondern eine langfristige Folgerichtigkeit unserer liebenswürdigen Verehrung und Auseinandersetzung mit Strauss’scher Musik.
Wie erklären Sie die Auswahl der Stücke auf Ihrem Album, auf dem Etliches zu hören ist, was eher selten erklingt?
Es ist geradezu ein herausfordernder Auftrag für uns geworden, die im Wiener Musikleben eher weniger gespielten Werke von Johann Strauss (Sohn), in den Fokus zu nehmen.
Herzog Ernst II. von Sachsen-Coburg-Gotha, ein kunstsinniger und selbst komponierender Mensch, ermöglichte Johann Strauss die Hochzeit mit seiner 3. Frau Adele, wodurch dieser danach Zeit seines Lebens deutscher Bürger blieb. Mit dem Marsch nach Motiven der Oper Casilda darf der Herzog deshalb als einzige Ausnahme zu Strauss auf der CD zu Gehör kommen.
Die kurz nach der Hochzeit in Coburg komponierte Polka ‘Neues Leben’ op. 278 ist quasi der Startpunkt seines musikalischen Schaffens als Deutscher (der natürlich weiterhin in Wien lebte). Auch der Grillenbanner-Walzer op.247 entstand im Coburger Zusammenhang.
In Berlin wurde die Polka-Mazurka Annina op.415 innerhalb der Operette ‘Eine Nacht in Venedig’ uraufgeführt und die ‘Neue Pizzicato-Polka’ op.449 hat Johann Strauss gewissermaßen für Hamburg, nämlich seinem Bruder Eduard dorthin geschickt, zur Aufführung übersandt.
Die ‘Dresdner Stücke’ basieren alle auf Strauss` eindrucksvollen Erlebnissen mit Natur und Menschen vor Ort. Als Beispiel sei die Zehner-Polka op.121, die er in Dresden komponierte und einer « aus zehn Personen bestehenden Gesellschaft in Dresden » widmete, genannt.
Zu hohem Anlass komponierte er die ‘Vermählungstoaste’ – Walzer op. 136- nämlich: zur Hochzeit des Kronprinzen (später König) Albert von Sachsen mit Prinzessin Carola von Wasa.
Die Schönheit von Sachsens Natur spiegelt sich in dem für sich selbst sprechenden Walzer: ‘An der Elbe’ op.477 oder auch in der Ouvertüre und dem ‘Klipp-Klapp Galopp’ op.466 aus der Operette Waldmeister wider. Letztere spielt ja ganz in der Nähe von Dresden, im Tharandter Wald.

Dresdner Capell Solisten
Glauben Sie, dass Johann Strauss in der Musikwelt ernst genug genommen wird? Es gibt ja eigentlich nur verhältnismäßig wenige Musiker, die seine Musik spielen?
Der unterhaltende Moment Strauss`scher Musik wird im Allgemeinen sehr geschätzt. Natürlich wird das Schaffen des Walzerkönigs auch als Tanzmusik betrachtet und genutzt.
Allzu viel Beliebigkeit dabei finden wir jedoch schade. Nur wer sich intensiv mit den Feinheiten, dem Charakter der Tempi, der Traurigkeit, Sehnsucht, Melancholie und Fröhlichkeit befasst, die darin steckt, kann auch (abgesehen von den nicht zu unterschätzenden technischen Schwierigkeiten auf dem Instrument) eine Interpretation finden, die sie entgegen manch kitschiger Auslegung durch Seriosität, edlen Klangsinn und Feinheit adlig macht. In diesem Sinne ist es sehr heikel, Johann Strauss (Sohn) zu spielen, denn er fordert dem Musiker ein Höchstmaß an Flexibilität und Musikalität ab. Wir- die Cappella Musica Dresden- begegnen Strauss mit der Streicherkultur der Sächsischen Staatskapelle Dresden, deren Mitglieder wir sind, die an Weichheit und Klangsinn dem Wienerischen sehr nah ist.
An dieser Stelle möchte ich auch dem Aufnahmeteam von ARS-Produktion danken, die mit großer Kompetenz und Feinfühligkeit unsere Klangvorstellungen im Mikro eingefangen haben.
Dass man Johann Strauss in jedem Fall ernst nehmen darf untermauert folgende Äußerung von Johannes Brahms über ihn: « Der Mann trieft von Musik! Dem fällt immer etwas ein. Darin unterscheidet er sich. Von uns anderen. »
Was bedeutet Johann Strauss heute, in unserer problembeladenen Welt?

Johann Strauss
Johann Strauss kann uns, denke ich, heute ein wenig zurückschauen lassen in eine alte, empfindsame Welt. Diese Empfindsamkeit sollten wir uns immer wieder ein Stück bewahren und zurückholen in einer Zeit, die sehr nüchtern und laut geworden ist.
Die lieblichen, durchaus auch energischen Töne mit Fragen und Antworten zwischen den Instrumenten gleichen einer menschlichen Zwiesprache auf hohem Niveau, sind also Überbringer feiner Konversation.
Oft wurde diese Musik in Familienkreisen oder auf Festen gespielt und gehört, warum nicht auch heute? Im Konzertleben hat sie mancherorts einen festen Platz und ist an dieser Stelle auf jeden Fall ein Botschafter von Freude, Naturverbundenheit und Zuversicht.
Nicht umsonst wird sie gern auch zum Jahresbeginn gespielt, um mit positiver Ausstrahlung und damit guten Erwartungen in die Zukunft zu gehen.
Wo liegen die Schwierigkeiten, die Musik von Johann Strauss auf Ihre Formation zu übertragen?
Der frühere zweite Geiger unserer Formation, Jörg Kettmann, fertigt seit Jahren die meisten unserer Arrangements. In der Regel sind die Stücke für großes Orchester geschrieben, manchmal sind aber auch nur Klavierauszüge vorhanden.
Die Schwierigkeit besteht darin, alle Passagen, die mitunter auch Bläser im Original zu spielen haben, so in fünf Streicherstimmen zu legen, dass der Ausdruck und Charakter einer Melodie sowie deren begleitenden Nebenstimmen erhalten bleibt und das Stück nicht verfälscht wird.
Zum Strauss-Festwochenende in Coburg trafen wir Eduard Strauss, einen direkten Nachkommen von Johann Strauss´ gleichnamigen Bruder. Er stellte fest, dass die Qualität Johann Strauss`scher Musik darin besteht, dass man sie ohne Qualitätsverlust auf fünf Stimmen herunter reduzieren könne, bei Richard Strauss ginge das nicht!