Hellen Weiß und Gabriel Schwabe haben kürzlich bei Naxos eine neue CD mit ungarischer Musik veröffentlicht. René Brinckmann sprach mit beiden Musikern über die neue Aufnahme.

Hellen Weiß & Gabriel Schwabe
(c) Studio Monbijou

Frau Weiß, Herr Schwabe, wie kamen Sie auf die Idee, ein ganzes Album (Pizzicato-Rezension) mit ungarischer Musik aufzunehmen?
H.W: Wir spielen das Duo von Zoltán Kodály schon seit längerer Zeit im Konzert und haben uns mit einigen Abständen immer wieder mit dem Stück befasst. Dabei hat uns jedes Mal erneut die Arbeit an Kodálys sehr genau bezeichneter Musik sehr viel Freude und wiederkehrende Neugierde bereitet. Ende letzten Jahres hatten wir dann beide das Gefühl, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Aufnahme gekommen war.
GS: Obwohl mich die Solosonate von Kodály seit einigen Jahren begleitet, habe ich das Stück längere Zeit reifen lassen, bevor ich es zum ersten Mal im Konzert gespielt habe. Es ist cellistisch, aber vor allem auch musikalisch eine große Herausforderung, die langen Spannungsbögen dieses Werkes zusammenzufassen. Die enge musikalische Verwandtschaft mit dem Duo und Ligetis Anlehnung an Kodály in seiner Solosonate machen das Programm für mich besonders stimmig und reizvoll.

Für die Kombination Violine und Cello ist das zur Verfügung stehende Repertoire nicht sehr groß, dabei klingt die Kombination der Instrumente besonders schön. Warum ist wohl diese Kombination in der Musikgeschichte so wenig berücksichtigt worden?
H.W.: Für Solovioline und für Streichquartett gibt es ein sehr großes Repertoire. Ein Streichduo liegt klanglich zwischen diesen beiden Besetzungen. Um einen großen, vollen Klang in einem Streichduo zu erzeugen, so wie es in einem Streichquartett klingt, müssen beide Musiker das Instrument sehr virtuos beherrschen. Das Kodály-Duo ist bekanntlich ein hoch virtuoses Stück und lässt die Streicher in Doppelgriffen lange Passagen spielen.
G.S.: Auch lebt insbesondere die Musik der Romantik von ihrer reichen und vielstimmigen Harmonik, die meist durchgängig ist und nur ausnahmsweise unterbrochen wird. Diese lässt sich mit zwei Instrumenten nur in eingeschränkter Form abbilden.

Ist bekannt, wie Zóltan Kodály auf diese Duo-Kombination aufmerksam geworden ist, um seine Duo-Sonate Op. 7 zu schreiben, die Sie auf dem aktuellen Album eingespielt haben?
GS: Ich denke, dass sich die zum Kompositionszeitpunkt noch eher exotische Besetzung Geige–Cello für den sehr folkloristischen Ansatz besonders gut eignete. Außerdem war Kodály Autodidakt am Cello und dadurch sicherlich aufgeschlossener für das Experimentieren mit der Streicherinstrumentation. Bekannt ist in jedem Fall, dass Ravel Kodálys Duo kannte und davon inspiriert wurde, seine eigene Sonate für Violine und Cello zu schreiben.

Bemerkenswert finde ich den Vergleich zwischen der Solo-Cellosonate Kodálys und seiner Duo-Sonate: In der Duo-Sonate sind reichlich Anklänge an die ungarische Folklore zu finden, während die Solo-Sonate wesentlich „klassischer“ wirkt. Wie sehen Sie das? Beide Werke haben ja sogar aufeinanderfolgende Opusnummern, so als wäre der Komponist mit Op. 7 so recht erst auf den „Cello-Geschmack“ gekommen.
H.W.:  Nachdem Zoltán Kodály gemeinsam mit Béla Bartók die ungarische Volksmusik über mehrere Jahre erforscht hatte, strebte er danach, deren musikalische Eigenschaften in seinen Werken authentisch wiederzugeben. Der folkloristische Charakter kommt im Duo besonders in den Ecksätzen zum Ausdruck. Dabei war es uns in der Umsetzung sehr wichtig, den ursprünglichen Ausdruck aus den „Bauern-Rhythmen“ entstehen zu lassen. Allein schon diese Rhythmen mit den sehr genau bezeichneten Artikulationen und Betonungen Kodálys lassen den folkloristischen Ausdruck besonders aufblühen. Dazu kommen die häufigen Tempowechsel, die das Stück frei und spontan klingen lassen. Die sehr detaillierten Anweisungen Kodálys lassen erahnen, wie genau seine Vorstellungen für das Stück waren.
GS: Die Solosonate hat sicherlich weniger spielerische Elemente als das Duo, ist insgesamt deutlich strenger angelegt. Sie wirkt trotz ihrer Ausdehnung in ihrem musikalischen Material sehr dicht und kompakt. Dennoch sind die motivische und formale Verwandtschaft beider Werke deutlich spürbar. Bemerkenswert, wie Kodály nach den sehr solistischen Partien im Duo mit der Solosonate noch einen Schritt weiter geht und das ganze musikalische Geschehen ins Cello verlegt – mit bahnbrechendem Ergebnis für die Gattung.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat es binnen weniger Jahre relativ viele Komponisten gegeben, die – häufig in Auseinandersetzung mit den Cellosuiten Bachs – für Solocello komponiert haben. Warum gab es im 19. Jahrhundert so wenig Interesse am Solo-Cello, wenn man die „üblichen Verdächtigen“ wie z.B. Romberg oder Popper, die selbst für ihr eigenes Instrument geschrieben haben, mal außen vor lässt?
GS: Die Problematik der Duo-Besetzung für das romantische Repertoire trifft auf das Solocello verstärkt zu. Die reduzierte Knappheit des einzelnen Instruments, das von den spieltechnischen Möglichkeiten im 19. Jahrhundert in der Breite auch noch nicht ausgereift war, bot den Komponisten vermutlich zu wenig Anreiz. Kodály war der erste, der durch einen neuen Ansatz – mit der Skordatur, die dem Cello hier eine große klangliche Tiefe verleiht, und einer enorm gesteigerten Virtuosität – den Weg des Solo-Cellos ins 20. Jahrhundert vorzeichnete.

Ligetis und Kodálys Cello-Sonaten trennen chronologisch etwa 30 Jahre. Ist bekannt, ob Ligeti sich von Kodálys Stück, das damals schon als Meisterwerk etabliert war, zur Komposition seiner Sonate beeinflussen ließ?
GS: Der erste Satz der Sonate ist laut Ligetis eigener Aussage vom Kompositionsstil Kodálys beeinflusst. Er strebt hier nach einer schlichten Melodie mit „ungarischem Profil“, die viele folkloristische Elemente in sich trägt und etwas Archaisches an sich hat. Das Capriccio, das mit einigem zeitlichen Abstand entstand, weist mit seinem chromatischen Wechselspiel und dem mechanischen Charakter schon in eine andere Schaffensphase des Komponisten.

Kommen wir noch einmal zur Kodály-Duo-Sonate zurück: Sie beide sind nicht nur musikalisch ein Duo, sondern auch privat als Ehepaar. Welche Vorteile, aber vielleicht auch Nachteile hat es aus Ihrer Sicht für die Musikausübung, wenn man sich privat so nahe ist?
H.W.: Wir spielen schon seit vielen Jahren in verschiedensten Besetzungen zusammen und können uns dadurch in den Proben noch wesentlicher mit den Details im gemeinsamen Ausdruck und Klang beschäftigen, da ein bestimmtes Zusammenspiel-Gerüst schon vorhanden ist. Was uns besonders viel Freude bereitet, sind die Gespräche ohne Instrumente. Man findet Zeit, sich noch intensiver über den jeweiligen Komponisten, Tempi, über den passenden Klang oder Aspekte im technisch-instrumentalen Bereich auszutauschen.
GS: Für mich ist die Balance aus Vertrautheit und Individualität in der gemeinsamen Arbeit sehr besonders. Jeder von uns hat seine ganz eigenen Ideen, und doch kommen wir auf einer Basis musikalischer Grundüberzeugungen zusammen, die uns eine große Freiheit erlaubt. Unsere Klangvorstellungen sind gemeinsam gewachsen und ergänzen sich sehr gut.

Sie spielen auf dem Album ganz besondere Instrumente. Können Sie uns dazu etwas mehr erzählen?
H.W.: Meine Geige ist eine Matteo Goffriller-Violine aus dem Jahre 1698, die ich nun seit zwei Jahren spielen darf. Da Gabriel sein Guarneri-Cello für die Aufnahme gerade frisch in die Hand bekommen hatte, war für mich der Moment nach unserem ersten Durchlauf im Aufnahmestudio besonders spannend. Nachdem wir die Kopfhörer aufgesetzt hatten, konnten wir das erste Mal diese beiden Instrumente im Zusammenklang hören!
GS: Dieses Cello habe ich tatsächlich erst kurz vor der Aufnahme kennengelernt. Seine Klarheit und Dichte im Klang haben mich sofort sehr angesprochen und ich habe daraufhin beschlossen, die Aufnahme mit dem Instrument einzuspielen. Beide Instrumente verstehen sich auch klanglich sehr gut – vielleicht weil sie quasi gleich alt sind!

Hellen Weiß & Gabriel Schwabe
(c) Studio Monbijou

Manche Musiker haben mehrere Instrumente für Repertoire aus unterschiedlichen Epochen, andere haben nur ein Instrument für das gesamte Repertoire – wie halten Sie das?
H.W.:  Meine Goffriller-Violine ist schon über 300 Jahre alt und man kann mit ihr das gesamte Repertoire vom Barock bis hin zu zeitgenössischen Werken spielen. Ich probiere aber sehr gerne verschiedene Bögen aus. Meine Geige reagiert sehr sensibel auf unterschiedliche Bögen, sei es ein 150 Jahre alter französischer Bogen oder auch ein moderner Neubau-Bogen.
GS: Mein Cello und Bogen sind für mich die idealen Exemplare, weshalb ich unabhängig vom Repertoire alles darauf spiele. Nur bei den tiefen Saiten wechsele ich manchmal zwischen Darm- und Stahlsaiten, um entweder einen warmen, vollen oder einen ausgeglicheneren, präziseren Klang zu erzielen.

Sie haben das neue Album im Sendesaal von Radio Bremen aufgenommen, in dem Sie, Herr Schwabe, zuvor schon mehrmals aufgenommen hatten. Was sind in Ihren Augen die Vorzüge dieser Aufnahmelocation?
GS: Der Sendesaal bietet eine für mich einzigartige akustische Kombination von Klangfülle und Transparenz, die einen förmlich trägt. Es ist sehr wichtig, sich vor dem Mikrofon wohl und zum Spielen eingeladen zu fühlen. Die dort vorhandene, inzwischen sehr selten gewordene Aufnahmetechnik aus der Blütezeit der analogen Einspielungen trägt ihren eigenen, besonderen Charakter zum Ergebnis bei.

Planen Sie, noch weitere Duo-Alben aufzunehmen oder geht es jetzt erstmal wieder solistisch weiter?
G.S.: Die nächsten Aufnahmeprojekte sind bei uns beiden zunächst solistisch, dies wird aber sicher nicht unsere letzte Duo-Einspielung bleiben! Obwohl das Kodály-Duo schon einen gewichtigen Teil des Repertoires ausmacht, gibt es noch viele weitere reizvolle Werke für diese Besetzung. Und es entstehen ja immer noch interessante Werke für Geige und Cello…

Die Coronakrise hat alles in der Musikwelt aufgehalten und verzögert, aber zum Glück verhindert sie nicht das Pläneschmieden. Was sind denn Ihre Pläne für die Zukunft, wenn die Krise wieder abgeebbt ist und sich hoffentlich im nächsten Jahr auch im Konzertbereich wieder etwas mehr Normalität einstellt?
H.W.: Im Moment ist es ganz schwierig abzuschätzen, wann die Coronakrise wirklich vorbei sein wird. Einige Konzerte haben mit Hygienekonzepten auch in der Krise stattgefunden, was meiner Meinung nach sehr gut geklappt hat, und wir hoffen, dass die Konzerte der nächsten Monate auch noch stattfinden werden. Dazu konzentrieren wir uns beide auch auf das Unterrichten an den Musikhochschulen in Köln und Dresden.
GS: Für das nächste Jahr sind einige Projekte geplant, unter anderem auch zwei weitere CD-Aufnahmen. Ich hoffe, dass wir angesichts der aktuellen Lage kreative Lösungen finden werden, damit diese auch stattfinden können.

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