OPL-Chefdirigent Gustavo Gimeno über sein erstes Jahr in Luxemburg und über die neue Spielzeit. Ein Interview von Alain Steffen.

Gustavo Gimeno
(c) Marco Borggreve

Herr Gimeno, Ihr erstes  Jahr als Chefdirigent beim ‘Orchestre Philharmonique du Luxembourg’ haben Sie hinter sich. Welche Bilanz ziehen Sie, was sind die Eindrücke?
Das OPL ist ein äußerst rezeptives, offenes und sehr flexibles Orchester. Die Musiker sind begierig darauf zu arbeiten und sich verbessern. Das sind natürlich für einen Chefdirigenten die besten Voraussetzungen. Die Musiker wissen ganz genau, dass sie hart an sich arbeiten müssen, wenn sie gegen all die Ensembles von Weltklasse aus Wien, Berlin, Dresden, London oder New York bestehen wollen. Sehen sie, all diese Orchester haben ein Renommee und man weiß, was man erwarten kann. Das OPL ist ein hervorragendes Orchester, aber noch müssen wir uns bewähren, uns eine wirkliche Identität aufbauen.

Dies ist auch Ihre erste Position als Chefdirigent. War es so, wie sie sich es erwartet hatten?
Eigentlich schon! Ich war ja viele Jahre  Orchestermusiker beim ‘Concertgebouw’ in Amsterdam, ich kenne daher die Dynamik eines Orchesters und auch die Hierarchie, die Strukturen und die Beziehungen zwischen den Musikern oder den Instrumentengruppen. Und ich kenne die empfindlichen Punkte, die gerne zu Konflikten führen. Mit diesem Hintergrund kann ich natürlich ganz anders auf diese Gruppe von Musikern einwirken, als beispielsweise ein Dirigent, der das System eines Symphonieorchesters und seiner Musiker nicht kennt. Darüber hinaus sind auch die administrativen Strukturen sehr gut organisiert und alle Parteien arbeiten konstruktiv Hand in Hand.

Unter welchen Aspekten Sie denn die Programme zusammengestellt?
Wir haben die Programme dieser beiden Spielzeiten zusammen aufgebaut. Da geht es natürlich nicht nur um die Werke, die wir spielen wollen, sondern man muss auch berücksichtigen, welche Werke in der Philharmonie von anderen Orchestern gespielt werden. Das gilt dann auch für die Werke, die wir auf einer Tour spielen. Diese müssen dann wiederum in die Programme der jeweiligen Häuser passen. Aber generell, und wenn die Planung gut ist, gibt es keine Probleme und genug Möglichkeiten, fast alle Bedürfnisse vom Orchester, von mir und natürlich auch vom Publikum zu befriedigen. Generell plant man pro Spielzeit einige wichtige Werke ein, die man unbedingt aufführen will und baut um diese Stücke das Programm auf.

Wenn Sie jetzt an Ihre erste Spielzeit zurückdenken, was sind denn für Sie jetzt die persönlichen Höhepunkte gewesen?
Ich denke, besonders am Schluss der Spielzeit haben wir einige hervorragende Konzerte gespielt. Für mich persönlich waren es das Requiem von Verdi und die 4. Symphonie von Tchaikovsky. Aber eigentlich mache ich mir darüber nur selten Gedanken. Während einiger Zeit bin ich so mit den Werken eines Konzerts beschäftigt, mit dem Studieren der Partitur, den Vorbereitungen und Proben, dem Konzert, dass ich alles andere ausblende. Ist das Konzert vorbei, schließe ich dieses Kapitel und denke auch nicht mehr darüber nach. Dann muss ich den Kopf bereits für das neue Konzert frei haben. Aber natürlich gibt es immer wieder Konzerte, die auch für mich Höhenflüge waren. Und das war in dieser Spielzeit mit Verdi und Tschaikowsky der Fall.

Gustavo Gimeno (c) Alfonso Salgueiro

Gustavo Gimeno
(c) Alfonso Salgueiro

Wie haben Sie denn das Publikum der Philharmonie erlebt?
Für mich hat unser Publikum irgendwie die gleiche Mentalität wie das Orchester. Es ist aufgeschlossen, respektvoll und sehr interessiert. Auch wenn man vom Podium aus keine Zeit hat, auf das Publikum zu achten, so spürt man trotzdem diesen Energiefluss und weiß instinktiv, ob das Publikum mitgeht oder nicht.

Auf dem Programm der neuen Spielzeit gibt es sehr viele Klassiker des 20. Jahrhunderts, aber recht wenig wirklich zeitgenössische Kompositionen. Ein Zufall?
Wir spielen in dieser Spielzeit zwei Werke von Coll und Turnage, das stimmt. Mit der zeitgenössischen Musik muss man aufpassen, gerade in der Phase, wo wir uns jetzt befinden. Natürlich wird die zeitgenössische Musik eine Rolle in unseren Programmen spielen, aber nun geht es darum, zuerst einmal die Basis zu erarbeiten. Das Orchester muss sich auch eine Identität bei Beethoven, Brahms, Bruckner und Mahler schaffen. Zeitgenössische Werke, besonders wenn sie, wie das Stück von Coll, über zwanzig Minuten lang sind, fordern eine lange Probenzeit. Das können wir momentan nicht immer garantieren, da wir uns andere Prioritäten gesetzt haben.
Sie dürfen auch das Publikum nicht vergessen. Viele haben noch mit den Werken des 20. Jahrhunderts ihre Probleme. Und wir müssen uns an Brahms herantrauen. Hinzu kommt das französische Repertoire, das für das Orchester sehr wichtig ist, da es zur Geschichte des OPL gehört. Wir machen in dieser Spielzeit beispielsweise Ravels ‘Daphnis et Chloé’ in der kompletten Fassung mit Chor. Wir machen, was ich sehr wichtig finde, auch Oper, nämlich ‘Simon Boccanegra’ von Verdi und Bartoks ‘Blaubart’, der von meinem Kollegen Constantinos Carydis dirigiert wird. Wenn ich mir das Programm ansehe, so denke ich, dass uns eine spannende und ausgeglichene Spielzeit gelungen ist und dass auch für jeden das Richtige dabei ist. Für die Entwicklung des Orchesters ist es aber wichtig, dass wir jeden Komponisten auch mehrmals spielen und dass die Musiker so ein Gefühl für die Werke bekommen. Das ist es nämlich, was Orchester wie Wiener Philharmoniker oder Staatskapelle Dresden ausmacht. Sie haben das Gefühl für all diese unterschiedlichen Werke komplett verinnerlicht.

Viele andere Orchester haben einen 1. Gastdirigenten. Stellt sich diese Frage nicht auch irgendwann beim OPL?
Man darf nicht zu viel Neues auf einmal machen. Das OPL hat erst vor kurzen ein festes Zuhause in der Philharmonie gefunden. Das sind andere Strukturen als vorher. Ich bin als Chefdirigent erst ein Jahr im Amt. Für ein Orchester sind das wichtige Umstellungen. Bereits jetzt über einen festen Gastdirigenten nachzudenken, wäre zu früh. Aber es ist eine Option. Und ich denke, dass sich das auf ganz natürliche Weise entwickeln wird und man plötzlich weiß, wer diesen Posten übernehmen könnte.

Wie werden eigentlich die Gastdirigenten ausgewählt.
Im Prinzip entscheiden drei verschiedene Instanzen im Gespräch: Das Orchester, vertreten durch sein ‘Comité artistique’, das Management, also der Programmdirektor und der Intendant Stephan Gehmacher, und ich als Chefdirigent. Es ist Teamwork, die Arbeit mit ehemaligen Gastdirigenten wird diskutiert. War man zufrieden, hat die Zusammenarbeit mit diesem Dirigenten Früchte getragen? Neue Dirigenten werden auch nach Programmschwerpunkten ausgewählt und wir versuchen, eine gesunde Mischung aus jungen und sehr erfahrenen Künstlern wie eben Emmanuel Krivine, Leopold Hager oder Eliahu Inbal  zu finden. Wichtig ist am Ende nur, dass sie das Orchester weiterbringen.

Unter ihrer Leitung hat das Orchester einen anderen Klang, andere Farben bekommen…
Natürlich ist die Musik jedes Komponisten unterschiedlich und verlangt einen anderen Zugang. Aber es gibt für mich zwei sehr wichtige Grundvoraussetzungen, die eigentlich bei jedem Komponisten anwendbar sind: Balance und Transparenz. Wir müssen dem Publikum eine Geschichte erzählen und das funktioniert nur, wenn man so viele Nuancen wie möglich heraushört, ohne, dass aber dabei der natürliche Fluss der Musik gestört wird. Stellen Sie sich vor, man würde einen Text ohne Betonung, ohne Pausen und ohne Atmosphäre lesen…, das wäre sehr langweilig. Genauso ist es bei der Musik. Damit der Zuhörer jede Nuance mitbekommt, muss ich das Klangbild so transparent wie möglich halten. Die Musiker sollen nicht nebeneinander, sondern miteinander spielen. Dann kriegt man nämlich eine weitere Dimension hinzu und große Symphonik kann plötzlich wie Kammermusik klingen. Und in der Kammermusik sind Dialoge, die Kommunikation bekannterweise enorm wichtig. Und all dies muss wiederum in einer ganz klaren und natürlichen Balance erklingen. Dann entstehen Dynamik, Atmosphäre und Farben wie von selbst. Und der Klang eines Orchesters, seine Klangqualität, ändert sich auf einmal, und ohne, dass man es wirklich erklären kann. Es ist so, als würde man plötzlich einen anderen Level erreichen. Und gerade diesen Eindruck hatte ich bei unserer Interpretation der 4. Symphonie von Tchaikovski. Da habe ich gespürt: jetzt sind wir einen Schritt weiter.

  • Pizzicato

  • Archives