Inwieweit darf eine Inszenierung Einfluss auf die komponierte Musik nehmen? Diese Frage stellt sich unser Mitarbeiter Alain Steffen bei Mozarts Entführung aus dem Serail in der Vision von Luk Perceval, die diese Woche zweimal im Grand Théâtre gespielt wird.

Perceval hat ein an sich interessantes Konzept, aber der Dramaturgie fallen in der Musik einige Stücke zum Opfer. So fehlt das Duett zwischen Osmin und Blonde, während der Schlusschor durch ein Lied von Mozart und ein Fragment aus dessen Ballettmusik aus Ascanio in Alba ersetzt wird. Das ist zwar für diese Inszenierung stimmig, in meinen Augen allerdings ein ‘no go’, denn eine Inszenierung hat sich immer nach der Musik zu richten. Zudem nimmt sich Perceval die Freiheit, eine komplett andere Geschichte mit einem ganz anderen, neuen und aktuellen Text der türkischen Schriftstellerin und Menschenrechtlerin Asli Erdogan zu erzählen. Der Serail präsentiert sich als inneres und äußeres Gefängnis, stellt die Protagonisten vor existentielle Fragen und zeichnet die Liebe zwischen Schmerz und Illusion. Percevals Ideen und Erdogans Texte tun weh, denn sie besitzen eine enorme Tiefe und eine große philosophische Kraft, machen aber die ursprüngliche Handlung zunichte, weil es zwischen den Hauptprotagonisten kaum Interaktionen gibt. Osmin ist in dieser Inszenierung völlig überflüssig und seine hier peinlichen Einlagen sind wohl nur eingestreut worden, um die Person nicht ganz von der Bühne zu nehmen.

Die drei Hauptfiguren, nämlich Belmonte, Konstanze und Blonde haben alle ein zweites, älteres Alter Ego, das die Texte spricht; nur für Pedrillo, den Vierten im Bunde, gilt das nicht. Er scheint demnach als Person auch nicht wichtig zu sein.

So blieb statt eines Singspiels eine fast oratorienhafte Entführung in einem einheitlichen, schlichten, aber wirkungsvollen Szenenbild, die durch die Beziehungsarmut der Figuren auch musikalisch keinen nachhaltigen Eindruck hinterliess.

Das Philharmonische Orchester Luxemburg spielte gelangweilt, aber korrekt und professionell, und Dirigent Fabio Bondi verstand es an keiner Stelle, Mozarts Musik zu ihrem Recht zu verhelfen. Von den Sängern überzeugten einzig die von Olga Pudova wunderschön und ergreifende gesungene Konstanze und der tolle, stimmgewaltige Osmin von Tobias Kehrer. Amelia Scicolone  als Blonde sang gut, während der Pedrillo von Raphael Wittmer äußerst blass blieb. Julien Behr war als Belmonte eine herbe Enttäuschung; seine eng geführte Stimme ohne Wärme und lyrischen Schmelz disqualifizieren ihn quasi für diese Rolle.

Fazit: Diese Entführung aus dem Serail nicht ‘von’, sondern höchstens ‘nach’ W. A. Mozart wird uns vielleicht durch die inhaltlichen und philosophischen Aspekte in Erinnerung bleiben, nicht aber durch ihre Inszenierung. Und schon gar nicht durch ihre musikalische Qualität.

 

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