Florian Krumpöck, neuer Chefdirigent des 'Orchestre de Chambre du Luxembourg', beginnt am Mittwoch (8.11.2017) in der Luxemburger Philharmonie einen Schubert-Symphonien-Zyklus mit der Aufführung der 7. Symphonie. Alain Steffen hat sich dazu mit dem Dirigenten unterhalten.

Florian Krumpöck
(c) Philipp Horack

Herr Krumpöck, warum gerade Schubert?
Erstens gibt es da einen natürlichen Bezug zu meiner Heimat und zweitens bin ich der Meinung, dass es noch immer nicht genug Wertschätzung für die Symphonien von Franz Schubert gibt. Darüber hinaus liebe ich es zyklisch zu arbeiten, weil ein Werk die interpretatorische Intensität des zweiten schärft. Durch eine solche intensive Beschäftigung kann man als Musiker weitaus leichter zum Kern der Musik vordringen und somit auch dem Publikum eine weitaus stärkere Aufführung anbieten.

Sie sprechen die geringe Wertschätzung an, die man generell gegenüber Schuberts Symphonien hegt. Im Vergleich zu Beethoven, Brahms und Schumann kommt der symphonische Schubert bis auf die ‘Unvollendete’ und die Große C-Dur Symphonie tatsächlich immer etwas schlechter weg. Woran liegt das denn?
Erstens werden die frühen Symphonien sehr selten gespielt und was nicht gespielt wird kann man auch nicht schätzen lernen. Zweitens ist es nicht zu leugnen, dass Schubert formal und auch von der Instrumentierung her eher rückschrittlich als progressiv war. Beethoven hat mit seiner 9. Symphonie etwas geschaffen, über das sich bis Gustav Mahler niemand darüber getraut hat. Die Instrumente haben ihm nicht mehr ausgereicht, um das auszudrücken, was er wollte. Er musste die menschliche Stimme hinzunehmen. ‘Oh Freunde, nicht diese Töne’ ist richtungsweisend für die Musikgeschichte geworden. Nur dass sich bis Mahler niemand mehr getraut hat, diesen richtungsweisenden Schritt weiterzugehen. Schubert hat in seinen beiden großen Zyklen, den Symphonien und den Klaviersonaten, keine formalen Experimente gemacht. Im Gegensatz zu Beethoven! Auch auf die Einführung von verschiedenen Instrumenten wie Piccolo-Flöte, Kontrafagott oder Schlagzeug hat Schubert verzichtet. Er ist hier zeitlebens rückschrittlich geblieben. Und er hatte ja auch nie die Möglichkeit, seine symphonischen Werke zu hören und sie dann nachträglich zu verbessern. Ich glaube, Schubert hat nur seine drei ersten Symphonien gehört und dann nur in sehr klein besetzten Aufführungen bei sogenannten Hauskonzerten.

Er war aber nicht rückschrittlich in seinen Liedern.
Oh nein, in seiner ‘Winterreise’ ist er sogar sehr impressionistisch und seiner Zeit weit voraus. Aber auch in seinen Symphonien findet man durchaus Wunderbares. Mich interessiert als Musiker nicht so sehr das Formale, aber vielmehr das, was zwischen den Zeilen steht. Und hier findet man immer eine ganz tiefe Seelenbotschaft. Die er mit seinen Mitteln durchaus überzeugend rüberbringt.

Wie z.B. in seiner 4. Symphonie.
Unglaublich! Dieses Werk deutet schon in eine ganz andere Richtung. Oder die Dritte. Carlos Kleiber hat beispielsweise nur die Dritte und die ‘Unvollendete’ von Schubert geschätzt und bei seinen Konzerten dirigiert. Und für die Schallplatte aufgenommen.

Florian Krumpöck

Wie kann man denn diese frühen Symphonien einschätzen? Ich finde, hier gibt es ähnliche Gruppen wie bei Mahler. Eins bis drei, vier bis sechs und dann die bekannten letzten Symphonien.
Stimmt! Obwohl man immer wieder bedenken muss, dass Schubert sein sogenanntes Spätwerk mit 28 Jahren geschrieben hat. Bei der Schubert-Rezeption muss man unbedingt berücksichtigen, dass er so jung gestorben ist. Was hätte Schubert noch für Musik schreiben können… Wäre er so alt wie Haydn geworden, hätte er die Geburt von Schönberg noch miterlebt. Wie hätte sich so jemand weiterentwickelt? Doch um auf Ihre Frage zurückzukommen: Die ersten drei Symphonien sind sehr kompakt, sehr kurz und in den Finalsätzen hört man den Einfluss von Rossini. Und man muss sich bewusst machen, dass Schubert seine ersten drei Symphonien im Alter zwischen 16 und 18 Jahren komponiert hat. Als er die tragische Vierte geschrieben hat, war er gerade einmal 19 Jahre alt. Das muss man sich erst einmal vorstellen!

Sie spielen in Ihrem ersten Konzert die nicht fertiggestellte und kaum bekannte 7. Symphonie.
Ja, für mich ein sehr wichtiges Werk, denn hier hat Schubert zum ersten Mal die Posaunen eingeführt. Das was von Schubert fertiggestellt ist, ist ein komplettes Particell. Jeder Takt ist komponiert und Schubert hat festgehalten, wie er die Instrumentierung wollte. Und weil er keine formalen Experimente gemacht hat, kann man diese 7. Symphonie sehr leicht im Sinne Schuberts aufführen. Es gibt eine Fassung von Felix Weingartner, die aber mit hinzukomponierten Übergängen und einem riesigen Orchesterapparat sowie einer überromantisierten Interpretation nicht den Nerv des Werkes trifft. Wir spielen das Werk in der Fassung von Brian Newbould, der bereits die Unvollendete und auch eine 10. Symphonie von Schubert fertiggestellt und orchestriert hat.

Wenn man Schuberts späte Symphonien – nehmen wir als Paradebeispiel die Große C-Dur Symphonie – mit einem großen Symphonieorchester spielt, klingt das meistens zu überladen und träge. Was ja eigentlich erstaunlich ist, denn die frühen Symphonien zeigen ja sehr deutlich, wie wendig, transparent und klar diese Musik klingen kann.
Da bin ich völlig Ihrer Meinung. Für mich ist bei Schubert total wichtig zu unterscheiden, dass die Musiksprache zwar tiefromantisch ist, die Klangfarbe aber nicht. Die Klangfarbe deutet nicht in Richtung Brahms und deshalb glaube ich, dass man mit einem Kammerorchester näher an das herankommt, was Schubert wollte. Neuerdings haben ja viele Dirigenten dafür entschieden, die Schubert-Symphonien mit einem Kammerorchester zu spielen oder aufzunehmen. Und ich muss sagen, für mich waren es wunderbare Momente, plötzlich zu entdecken, was man alles mit dieser Musik machen kann, wenn man den richtigen Orchesterapparat dafür zur Verfügung hat. Alles wird flexibler. Und dann gibt es noch die Frage der Wiederholungen, ob es beispielsweise bei der 9. Symphonie Sinn macht, alle Reprisen zu spielen? Oft ist es besser, das Werk etwas zu straffen. Die einzige Symphonie von Schubert, bei der ich mir ein ganz großes Symphonieorchester vorstellen kann, ist die Unvollendete. Denn hier verweist Schubert schon unbewusst auf Bruckner. Und vielleicht hat ihm gerade das so eine große Angst gemacht, dass er dieses Werk nicht fertiggestellt hat. Denn Schubert hatte vieles, nur kein Selbstvertrauen.

Wie stehen Sie zu dem oft heftig kontrovers diskutierten Thema der Wiederholungen bei Schuberts 9. Symphonie?
Bei Schubert ist es so, dass die Reprisen quasi wortwörtlich sind wie die Expositionen, aber mit anderen Tonarten. Es kommt kaum vor, dass er, wie Beethoven beispielweise, etwas groß variiert, was uns natürlich zur der Frage bringt ob man die Exposition wirklich wiederholen soll. Ich selbst habe für mich noch keine zufriedenstellende Antwort gefunden. Momentan aber tendiere ich dazu, die Expositionswiederholung wegzulassen. Ich zu diesem Thema lange Diskussionen mit Andras Schiff, der ja immer dafür ist, bei jedem Werk die Wiederholungen zu spielen. Natürlich, wenn man ein Werk zum allerersten Mal hört, helfen uns solche Wiederholungen das Material zu verstehen und einzuordnen um dann das, was mit dem Thema passiert auch besser verstehen zu können. Aber ein Großteil der Leute kennt ja die 9. Symphonie. Eine Reprise zu spielen ergibt für mich nur Sinn, wenn sie eine Stelle enthält, die sonst nicht vorkommt. Wie die ‘prima volta’ in der B-Dur Sonate. Die kommt nur hier vor und wenn ich sie nicht spiele, dann ist der gesamte Satz nur hübsch, aber nicht mehr. Und das ist eine Katastrophe.

Sie sind ja generell ein Musiker, der als Pianist und Dirigent gerne integrale Aufführungen vorzieht.
Es gibt den riesigen Vorteil, dass man das ganze Spektrum einer Musikgattung eines Komponisten von Anfang bis Schluss miterleben kann. Und Schubert hat als Komponist eine Entwicklung durchgemacht, die man durchaus von der Ersten bis zur Letzten mitverfolgen kann. Sicherlich nicht auf einem Niveau wie Beethoven, denn Beethovens Entwicklung von seiner 1. Symphonie bis zur Neunten ist enorm. Auch bei den Klaviersonaten. Die Entwicklung von seiner ersten Klaviersonate hin zum op. 111 ist atemberaubend. Und für mich als Interpret ist es immer sehr lehrreich, einen Komponisten auf diese Weise immer wieder neu zu entdecken. In den großen Zyklen gibt es auch keine schlechten Werke. Aber! Nicht alle Integralen müssen oder sollen als Integrale aufgeführt werden. Bei Tchaikovsky kann man sich durchaus die Frage stellen, ob man die 6 Symphonien als Zyklus spielen soll. Seine 2. Symphonie ist doch eher schwach. Man muss nicht alle Haydn-Symphonien spielen, auch nicht den ganzen Mozart. Aber Beethoven, Schubert, Schumann, Brahms, Mendelssohn, Mahler: unbedingt. Auch Bruckner, aber dafür fühl ich mich noch nicht reif genug.

Sie haben oft – ohne das jetzt abschätzend sagen zu wollen – mit Orchestern aus der zweiten Reihe gearbeitet, die international kaum eine Rolle spielen.
Ich will vorausschicken, dass ich damals einer der jüngsten Generalmusikdirektoren in Deutschland war und mit der Norddeutschen Philharmonie ein Orchester übernommen, das eine große politische Funktion hatte und hat, weil es ein A-Orchester und das wichtigste Orchester in Mecklenburg-Vorpommern ist. Vor der Wende war die Norddeutsche Philharmonie neben dem Gewandhausorchester Leipzig, der Staatskapelle Dresden und der Staatskapelle Berlin das Top-Orchester in der DDR. Nach der Wende hat die Kulturpolitik diesen wichtigen und traditionsreichen Klangkörper aus Spargründen einfach vergessen. Diese Sparpolitik im Bereich der Kultur hat natürlich auch bei anderen Orchestern verheerende Folgen. Zuerst wird an der Qualität gespart. Und wenn an der Qualität gespart wird, dann bleibt das Publikum plötzlich weg. Und wird das Verschwinden des Publikums als Argument dafür genommen, dass man noch mehr spart und die Qualität weiter sinkt. Zu Anfang war die Norddeutsche Philharmonie ein Orchester mit über hundert Musikern, das von allen großen Dirigenten auch dirigiert wurde. Als ich das Orchester übernommen habe, waren es noch 87 Musiker, mittlerweile ist es runtergekürzt auf etwas über 70 Musiker. Und das geht immer weiter nach unten. Freie Stellen werden nicht nachbesetzt, was wiederum zu einer Überalterung des Orchesters führt. In Liechtenstein war das eine ganz andere Sache. Dieses Orchester ist von null entstanden und ich hatte die Ehre, dieses Orchester eines sehr kleinen Landes mit 33.000 Einwohnern aufzubauen. Das Land hat sehr viel Geld in dieses Orchester investiert, so dass ich die besten Musiker verpflichten konnte. Und in den drei Jahren wo ich in Liechtenstein war, haben wir eine tolle Aufbauarbeitet geleistet. Bei diesen, wie sagen Orchestern aus der zweiten Reihe, muss man auch immer Geschichte miteinbeziehen und wie die Politik mit ihnen verfahren ist. Das hat dann nicht immer zu bedeuten, dass diese Orchester qualitativ weniger gut sind als andere, weitaus bekanntere Klangkörper.

Diese Orchester sind aber auf nationalem Plan trotzdem sehr wichtig.
Auf jeden Fall. Jedes Orchester ist wichtig! Ihre Aufgabe ist die der kulturellen Nachversorgung. Es kann nicht sein, dass die Leute nur noch einmal pro Jahr in ihrer Heimatstadt ins Konzert gehen, sich stattdessen aber dann nach Berlin zu den Philharmonikern reisen. Auch viele Orchestermusiker beginnen ihre Karriere in der sogenannten Provinz. Da erlernt man das Repertoire und die Vielfalt der Musik. Das Gleiche gilt für die kleinen Opernhäuser, in denen die jungen Sänger herangebildet werden. Ich habe ja viele der ganz großen Orchester dirigiert und ich kann Ihnen versichern, fast alle Musiker die hier spielen, haben in einem kleinen Orchester begonnen. Darum kann ich nur jedem sagen: Unterschätzt die Orchester aus der zweiten Reihe nicht!

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