Jean Sibelius: Kullervo, Finlandia (Version mit Chor); Olli Kortekangas: Migrations; Lilli Paasikivi, Mezzosopran, Tommi Hakala, Bariton, YL Male Voice Choir, Minnesota Orchestra, Osmo Vänskä; 2 SACDs BIS 9048; Aufnahme 02/2016, Veröffentlichung 01/2017 (114'05) – Rezension von Uwe Krusch

Ein junges Werk, ein Jugendwerk und ein Hit in einer ungewohnten Version, alle aus Finnland, das sind die Zutaten zu dieser Doppel-CD, die als Konzertmitschnitt in Minnesota aufgezeichnet wurden. 

Das Jugendwerk ist die symphonische Dichtung ‘Kullervo’ Als Treibmittel für seine geplante Ehe mit Aino benötigte der bis dahin unbekannte Sibelius einen durchschlagenden Erfolg. In der in Abgrenzung zu Russland gewachsenen Nationalgefühlen in Finnland löste das auf einer tragischen Episode aus dem Nationalepos Kalevala basierende Werk nach gründlicher Vorbereitung durch die Presse Begeisterung aus. Für Außenstehende ist solch eine Verklammerung natürlich nur beschränkt nachvollziehbar. Aber dessen ungeachtet überzeugt das fünfsätzige Werk, von denen der dritte und der fünfte mit gesungenen Versen aus Kalevala bereichert sind, mit jugendlicher Forschheit und gleichzeitig reifer Gestaltung und Instrumentation. Hier zeigt sich bereits die ganze Größe des späteren Sibelius.

Ein Klassiker seines Œuvre ist ‘Finlandia’, des ebenfalls als Festmusik zu den Pressefeiern in einem national gespannten Kontext entstand und sich augenblicklich zu einem bleibenden Fixpunkt der Konzertpodien entwickelte. Ungewöhnlich ist der später komponierte a capella Chor auf den Hymnenteil, der hier in den bekannten Orchestersatz eingefügt wird.

Das junge Werk ist das 2014 entstandene ‘Migrations’ für Mezzosopran, Männerchor und Orchester von Olli Kortekangas. Schüler u. a. von Rautavaara und Schnebel, bekam Kortekangas vom ‘Minnesota Orchestra’ den Kompositionsauftrag dazu. Das Werk sollte den 150. Jahrestag der neuzeitlichen Auswanderung von Finnland in die USA begehen und mit Sibelius’ ‘Kullervo’ kombinierbar sein. Da auch ‘Kullervo’ die Themen Identität, Entfremdung und Migration prägt, besteht hier eine Verbindung zu den Texten von Sheila Packa in ‘Migrations’, die diese Themen aus den Erfahrungen der eigenen Familie her in Worte setzt. In der Komposition werden vier Gesangssätze durch je ein orchestrales Zwischenspiel verbunden.

Die Mezzosopranistin Lilli Paasikivi prägt mit ihrer kraftvollen und auch angenehmen Stimme sowohl ‘Kullervo’ als auch ‘Migrations’. Tommi Hakala verleiht der Bariton-Partie in ‘Kullervos’ drittem Satz das eigene finnische Flair. Für die Komposition hatte Sibelius einen karelischen Runensänger besucht. Dies führte zwar nicht zu wörtlichen musikalischen Zitaten, beeinflusste den Klangcharakter aber maßgeblich.

Das Orchester unter seinem finnischen Chef Osmo Vänskä entlockt der Musik alle Farben und Klänge. Satte Blechbläserchöre finden sich genauso wie fein ziselierte und vollmundige Streicherpartien, die von warmen Holzbläserpassagen durchsetzt sind. Satte und auch markige Momente werden kammermusikalischen, geradezu mikroskopisch feinen Häppchen gegenübergestellt. Man kann diese graduelle Ungeschliffenheit der Komposition ‘Kullervo’ als minderwertig ansehen, aber als raue Entwicklungsphase hat sie ihren besonderen Reiz.

Identity, alienation and migration are key elements of Kortekangas’s Migrations as well as of Sibelius’s Kullervo. Finlandia too is a child of Finnish patriotism. Vänska conducts the seldom heard choral version. The performances are detailed and vigorous, with excellent orchestral playing from the Minnesota Orchestra.

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