Ende der Siebzigerjahre erschien die erste Schallplattenaufnahme von Klaus Tennstedt (1926-1998). Es war die 1. Symphonie von Gustav Mahler mit dem London Philharmonic Orchestra auf EMI, eine Einspielung, die bei ihrem Erscheinen in höchsten Tönen gelobt wurde, und der anschließend eine Gesamtaufnahme aller Mahler-Symphonien folgte, die auch heute noch zu den Referenzeinspielungen gezählt werden darf und nichts von ihrer Kraft und Faszination verloren hat. Obwohl er noch viele andere Werke aufgenommen hat, ist Tennstedt vor allem als Mahler-Interpret in Erinnerung geblieben, wohl weil er in Deutschland nie so richtig anerkannt wurde und seine Triumphe eher in England und in den USA feierte. Warum dem so war, und dass Klaus Tennstedt bereits eine lange Musikerkarriere hinter sich hatte, als er im Oktober 1977 die 1. Symphonie von Mahler einspielte, das erfährt man in der rezent erschienenen Biographie ‘Klaus Tennstedt – Besessen von Musik’ von Georg Wübbolt anlässlich des 25. Todestag des Dirigenten.

Dies ist eine Biographie, die nicht vom musikwissenschaftlichen Standpunkt aus und somit aus der Distanz berichtet, sondern ein Buch, das sehr nahe an der Person Tennstedt dran ist und das zudem ein interessantes Zeitzeugnis darstellt, in dem wichtige Wegbegleiter des von Carlos Kleiber und Herbert von Karajan hochgeschätzten Dirigenten zu Wort kommen. Die komplizierte Beziehung zum übermächtigen Vater, die abenteuerliche Flucht aus dem Osten, die Lehrjahre in der Provinz, der Tod der Tochter, die ambivalente Beziehung zu Kurt Masur, die großen Erfolge in England, Kanada und den USA:  Georg Wübbolt folgt dem Menschen und Musiker Tennstedt von der Kindheit an bis zu seinem tragischen Krebstod.

Illustriert mit vielen privaten Schwarzweiß-Fotos konzentriert sich das Buch dabei auf wesentliche Lebensabschnitte des Dirigenten und stellt dessen Unsicherheit und Unkontrolliertheit, aber auch dessen Genialität und Besessenheit immer wieder in einen zeit- und situationsbezogenen Zusammenhang, so dass sich die Biographie wie ein großer historischer Roman liest.

Wübbolt schafft es immer wieder, mit Kommentaren und Rückblenden, mit persönlichen Statements und kritischem Blick den Leser auf rund 290 Seiten gefangen zu nehmen. Klaus Tennstedt-Besessen von Musik ist ein sehr persönliches und sehr authentisch wirkendes Buch, das an keiner Stelle einer Vergötterung verfällt, aber trotzdem den Menschen und Künstler Klaus Tennstedt hautnah erleben lässt. Das Buch wurde Corona-bedingt im Eigenverlag gedruckt und existiert sowohl in gebundener Form (ISBN 978-3-910736-00-9) wie auch als Taschenbuch (ISBN 978-3-910736-01-6) oder E-Buch (ISBN 978-3-910736-02-3). Der Autor Georg Wübbolt ist freischaffender Regisseur, Produzent und Autor. Er arbeitet seit mehr als 35 Jahren in den Bereichen Musik, Bühnenkünste und Dokumentarfilm für ARD, ZDF, 3 SAT und ARTE.

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