Leonard Bernstein: Mass; Vojtech Dyk, Wiener Singakademie, Company of Music, ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Dennis Russell Davies; 2 CDs Capriccio C5370; Aufnahme 10/2018, Veröffentlichung 03/2020 (111') - Rezension von Remy Franck

Leonard Bernsteins ‘Mass’ ist ein multikulturelles und Genreübergreifendes Stück, eine Art modernes Oratorium mit der katholischen Liturgie als Basis, aber genau so vielen kritischen Tönen gegenüber eben dieser Kirche und sogar gegenüber Gott und dessen Schöpfung. De facto ist die 1971 entstandene Mass ein Produkt der Protestbewegung gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Rassismus und gegen Krieg. Sie hat in diesem Sinne nichts an Aussagekraft und leider auch nichts an Aktualität eingebüßt.

Diese Neuaufnahme ist musikalisch prall und klingt ganz toll! In dieser Hinsicht ist sie sogar der Mehrkanalaufnahme von Kent Nagano bei Harmonia Mundi überlegen, weil der Toningenieur die Klangeffekte und räumliche Disponierung im Stereosound völlig beherrscht.

Aber auch der interpretatorische Ansatz ist bei Dennis Russell Davies ein anderer als bei Nagano, der die geistige Dimension über die musikalische Form und ihren Eklektizismus stellte. Die Interpretation von Russell Davies ist viel straffer, spontaner und unmittelbarer als die abgerundetere von Nagano, und bringt so die Extreme der Partitur viel schärfer zu Gehör. Darin ist der Dirigent dem Schöpfer Bernstein näher, ohne allerdings dessen auch sehr tänzerisch wirkende Aufnahme nachzuahmen. Jazz, Rock, Gospel und Klassik treffen in der Wiener Produktion direkter aufeinander, so dass es richtig im Gebälk knirscht.

Das Wiener ORF-Orchester spielt engagiert und rhythmisch sicher, die Chöre und Solostimmen sind von beeindruckendem Niveau.

Der tschechische Schauspieler und Bariton Vojtech Dyk versucht als Zelebrant nicht wie ein klassisch ausgebildeter Sänger aufzutreten, was er als Bandsänger nicht ist, und gefällt sowohl im Singen wie im Rezitieren mit einer engagierten und im Gegensatz zu anderen Interpreten in dieser Rolle unaffektierten Darbietung.

Mit ihrem klaren, präzisen Klang spiegelt diese Aufnahme die ganze expressionistische Erregtheit der Komposition und sie ist unbedingt zu den Referenzeinspielungen der Mass zu zählen.

Leonard Bernstein’s Mass is a multicultural and genre-transcending piece, a kind of modern oratorio with the Catholic liturgy as its basis, but with just as many critical tones towards this very church and even towards God and his creation. In fact, Mass, created in 1971, is a product of the protest movement against social injustice, against racism and against war. In this sense it has lost nothing of its expressiveness and unfortunately also nothing of its relevance.
This new recording is musically excellent and sounds great! In this respect, it is even superior to the multi-channel recording by Kent Nagano on Harmonia Mundi, because the sound engineer has complete control over the sound effects and spatial disposition in the stereo sound.
But also the interpretive approach of Dennis Russell Davies is different from that of Nagano, who put the spiritual dimension above musical form and its eclecticism. Russell Davies’ interpretation is much tighter, sharper, more spontaneous and immediate than Nagano’s smoother version. The textures of jazz, rock, gospel and classical music are much clearer und well contrasted in the Viennese production.
The Vienna ORF Orchestra plays with commitment and rhythmic confidence, the choirs and solo voices are of an impressive level.
As celebrant the Czech actor and baritone Vojtech Dyk does not try to perform like a classically trained singer, which as a band singer he is not, but he is appealing both in singing and reciting with a committed and (in contrast to other performers in this role) unaffected performance.
With its clear, precise sound, this recording reflects all the expressionistic excitement of the composition, and is definitely one of Mass’s reference recordings.

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