Seit der Cellist Jan Vogler als Intendant die Musikfestspiele Dresden übernommen hat, hat das Festival deutlich an innovativem Charakter gewonnen. Erstklassige Musiker und Ensembles, genreübergreifende Projekte und außergewöhnliche Programme machen die Dresdner Musikfestspiele zu einem sehr interessanten Festival. Auch in diesem Jahr hat sich der Besuch wieder gelohnt, meint Alain Steffen, der der Veranstaltung einen Besuch abgestattet hat.
In der Semperoper spielte das ‘Malmö Symfoniorkester’ am 1. Juni ein eher selten aufgeführtes Werk, ‘La Damnation de Faust’ von Hector Berlioz. Diese dramatische Legende in vier Teilen wurde in konzertanter Form aufgeführt. Dirigent Marc Soustrot war ein sicherer Garant dafür, dass das Konzert zu einem klangprächtigen Erlebnis wurde. Wer sich einen feingliedrigen, analytischen Berlioz erwartet hatte, wurde enttäuscht. Soustrot ist ein Dirigent, der gerne aus dem Vollen schöpft und dies auf eine sehr überzeugende Weise.
Die äußerst dramatische Interpretation kam dann auch den Sängern zu Gute, die allesamt kräftige Stimmen besaßen und keine Probleme mit Soustrots gewaltigen Klangausbrüchen hatten. Paul Groves sang einen insgesamt überzeugenden Faust mit einer metallisch schimmernden, sicheren Mittellage. Allerdings verlangt die gefährliche Tessitura dieser Partie jedem Tenor seine Grenzen ab. Und die hatte Groves in der Höhenlage. Seine Spitzentöne kamen oft gepresst und auch im Duett mit der Mezzosopranistin Sophie Koch musste er Federn lassen. Dagegen bewältigte er mühelos das Duett mit Mephisto am Schluss des zweiten Teiles. Und dieser wurde von keinem Geringeren gesungen als von Bryn Terfel. Was heißt hier gesungen? Terfel war Mephisto in jeder Minute dieses Abends, selbst dann, wenn er nicht sang und nur mimisch agierte. Mit unbändiger Kraft und einer atemberaubenden Expressivität verkörperte er das wirklich Böse und drohte quasi mit seiner übermächtigen Stimme die Semperoper zu sprengen. Sophie Koch war eine rundum überzeugende Marguerite, während der Bariton Edwin Crossley-Mercer eine absolute Luxusbesetzung für die kleine Partie des Brander war. Erstklassig war auch der von Denis Comtet einstudierte MDR Rundfunkchor.
Am folgenden Abend traf Mozart in der Frauenkirche auf seine Dresdner Zeitgenossen. Das exzellente ‘Ensemble Frauenkirche Dresden’, das sich aus Mitgliedern der Staatskapelle und der Dresdner Philharmonie zusammensetzt, spielte unter der Leitung seines Gründers und Chefdirigenten Mathias Grünert die Sinfonie C-Dur aus der Oper ‘Armida’ von Johann Gottlieb Naumann (1741-1801), die D-Dur Symphonie von Josef Schuster (1748-1812), die C-Dur Symphonie von Joseph Schubert (1757-1837), die Symphonie Nr. 56 C-Dur von Josef Haydn und die Symphonie Nr. 29 KV 201 von W.A. Mozart. Grünert dirigierte äußerst dynamisch und bezog die Erkenntnisse der historisch informierten Aufführungspraxis mit in seine Interpretationen ein. Die Überraschung des Abends war für mich die bis da unbekannte Sinfonie C-Dur von Joseph Schubert, die über enorme Qualitäten verfügt und die Konkurrenz der prominenteren Komponistenkollegen Mozart und Haydn in keinem Moment zu scheuen braucht.
Am 3. Juni stand die Welturaufführung von George Alexander Albrechts ‘Requiem für Syrien’ (2016/17) im Mittelpunkt eines Konzerts der Dresdner Philharmonie in dem akustisch nunmehr hervorragenden Kulturpalast. Albrecht, der in erster Linie als Dirigent bekannt ist, überraschte mit einem erstaunlich tonalen Werk in der Nachfolge der großen Mahler-Symphonien oder der ‘Gurrelieder’ von Arnold Schönberg. Sehr expressiv, zum Teil auch sehr schön begeisterte das Requiem mit gesungenen und gesprochenen Texten, die z.T. von syrischen Dichtern und aus dem Koran, aber auch von Goethe stammen.
Neben den vier Gesangssolisten Susanne Bernhard, Sopran, Bettina Ranch, Mezzosopran, Daniel Behle, Tenor und Thomas Stimmel, Bass und Sprecher hatte Albrecht auch Oud (Alaa Zouiten) und Orgel (Holger Gehring) sowie die iranische Sprecherin Lara Arabi und einen Chor in sein Requiem eingebaut, das somit versucht, eine versöhnliche Brücke zwischen den verschiedenen Kulturen zu schlagen und eine deutliche Stellungnahme gegen Krieg, Leid und Rassismus ist. Das Requiem für Syrien ist so hervorragend komponiert, dass es sich seinen festen Platz in der Musikgeschichte erobern könnte. Eine Schwachstelle gab es trotzdem zu bemängeln. Dort, wo der Tenor singt, hat Albrecht Chor und Orchester viel zu laut eingesetzt, so dass vom Sänger Daniel Behle rein gar nichts zu hören, geschweige denn zu verstehen war. Hier wäre eine Korrektur nötig.
Michael Sanderling dirigierte seine Dresdner Philharmonie äußerst präzise und mit viel Engagement. Die herrlichen Holzbläser-Soli waren nur ein Beweis dafür, dass die Dresdner Philharmonie die Konkurrenz der Staatskapelle nicht zu fürchten braucht. Zudem kommt die weiche Akustik dem klangschönen, runden Spiel des Orchesters sehr entgegen, was man besonders im ersten Konzertteil bemerkte. Hier dirigierte Michael Sanderling ein wunderschönes Adagio aus Mahlers unvollendeter 10. Symphonie. Großes Lob auch an den Philharmonischen Chor Dresden, der ein hundertprozentiger Gewinn für die Aufführung von Albrechts ‘Requien für Syrien’ war. Zum Schluss gab es riesigen Jubel und Standing Ovations für George Alexander Albrecht, Michael Sanderling, für die Solisten, den Chor und das wunderbare Orchester.