Svadebka, Symphony of Palms,Torso, Car Men, La Cathedrale Engloutie, Silent Cries, Bella Figura, Sleepless, Birth-Day, Falling Angels, Six Dances, No More Play, Sweet Dreams, Sarabande, Petite Mort, Kaguyahime, L'histoire du soldat (Strawinsky), L'enfant et les sortileges (Ravel), Peter und der Wolf (Prokofiev), Sinfonietta (Janacek), Symphony in D (Haydn), Stamping Ground; Jiri Kylian - The Choreographer (Dokumentation von Hans Hulscher); Jiri Kylian - Forgotten Memories (Dokumentation von Don Kent & Christian Dumais-Lvowski, inkl. Wings of Wax); Nederlands Dans Theater, Circle Percussion Ensemble, Amsterdam Bach Soloists, Staatskapelle Dresden, Czech Philharmonic Orchestra, Netherlands Ballet Orchestra, Orchestre National de Paris, Berliner Philharmoniker, English Chamber Orchestra, Lorin Maazel, Karel Ancerl, David Porcelijn, Jeffrey Tate u.a.; 10 Blu-ray Arthaus Musik 107546; Stereo; Bild 16:9; 1980-2012 (ca. 800') – Rezension von Remy Franck

22 Werke der Choreographen-Legende Jiri Kylian mit einer Gesamtlänge von etwa 800 Minuten bietet Arthaus Musik in einer Box an! Ergänzt wird die Edition um zwei Portraits, die Jiri Kylians außergewöhnliche künstlerische Karriere von den Siebzigerjahren bis heute zeigen.

Zu den herausragendsten Arbeiten gehören der 2006 gemeinsam mit dem holländischen Filmemacher Boris Paval Conen gedrehte Schwarz-Weiß-Streifen ‘Car Men’. Wie kein anderer Choreograph hat Jiri Kylian hier tänzerische Ausdruckskraft mit einem markanten Mienen- bzw. Körperspiel verbunden, wobei seine Lieblings-Interpretin Sabine Kupferberg einmal mehr alles gibt, um des Meisters Ideen zwingend umzusetzen. Sie ist die Hauptfigur in dem in Slapstick-Art gedrehten surrealistischen Film, Täterin und Opfer zugleich, zunächst scheinbar nur Spielball von Escamillo, Don José und Micaëla, doch am Ende fährt sie den drei Kollegen einfach davon, um irgendwo erneut zu provozieren, zu verführen. Eine Tanzburleske der besonderen Art!

Nicht weniger genial sind das Solo ‘Silent Cries’, mit ausdrucksstarkem Tanzen zu Debussys ‘Prélude à l’après-midi d’un faune’, die Ballettstudie ‘La Cathédrale engloutie’, die urkomische Umsetzung der Haydn-Symphonien Nr. 73 (Die Jagd) und 101 (Die Uhr), das fantasievolle Tanzstück ‘Sleepless’ und das genial verdrehte und parodistische ‘Birth-day’, in dem Jyri Kylian zu dem durch Dirk Haubrich adaptierten Adagio und Rondo in c-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart eine Choreographie schafft, bei der das Dekor eine bedeutende Rolle spielt und szenische Feinheiten erlaubt. In mancher Hinsicht faszinierend sind die experimentellen ‘Black and White’-Choreographien, die Jiri Kylian Mitte der 1980er-Jahre schuf. Ihr surrealistischer Charakter und ihre Experimentierfreude sind letztlich für den Zuschauer sehr inspirierend, denn immerhin geht es hier um existentielle Fragen der Menschheit.

Sehr außergewöhnlich, sehr schön ist auch das von Jiri Kylian auf eine Originalpartitur von Maki Ishii choreographierte japanische Märchen um das Mondmädchen ‘Kaguyahime’, das sowohl Freunde des Balletts als auch die der zeitgenössischen Musik und des Schlagzeugs interessieren dürfte. Das ‘Nederlands Dans Theater’ tanzt, es spielen japanische Musiker und die niederländische Gruppe ‘Circle Percussion’. Klangliche und visuelle Reize solidarisieren sich hier in einer fast magischen Weise.

Stravinskys Tanzmelodram ‘L’Histoire du Soldat’ wird in einer brillanten Aufführung des ‘Nederlands Dans Theater’ eindringlich interpretiert von Tänzern, die auch schauspielerisch exzellent sind, in einer Choreographie, die phantasievoll mit dem Inhalt des Stückes umgeht, und die karge Dekoration effizient in die Tanz-Pantomime einbezieht, ja sie sogar mit tanzen lässt. So ergibt sich eine phänomenal wirkungsvolle Einheit aus Musik, Tanz, Schauspiel und Lichteffekten, die den ganzen Facettenreichtum dieses einzigartigen Werks zeigt, das die ‘Condition humaine’ in beispielhaft kondensierter Form vor Augen und, musikalisch, auch vor Ohren führt.

Eine nette Produktion der ‘Royal Ballet School’ von ‘Peter und der Wolf’ (die mit Kilian nichts zu tun hat) geht der äußerst phantasievollen Inszenierung von ‘L’enfant et les sortilèges’ voraus. Jiri Kylian hat das geniale Werk von Maurice Ravel und Colette so zauberhaft umgesetzt, dass es eine Augenweide ist. Eine Ohrenweide ist der Soundtrack ohnehin: es ist die legendäre Einspielung, die Lorin Maazel in den Sechzigerjahren in Paris aufnahm. Da auch die Lichtregie und die sich manchmal magisch bewegenden und mittanzenden Bühnenbilder höchst spielerisch in die Choreographie eingreifen, kommt eine an Stimmungen reiche und letztlich sehr wirkungsvolle künstlerische Darbietung zustande, die ‘L’Enfant et les sortilèges’ m.E. besser gerecht wird als eine konventionelle Aufführung mit agierenden Sängern, dies um so mehr als viele gesungene Texte ja bloß Äußerung von Gedanken sind.

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