« Musikalische Bildung hat eine höhere Wertschätzung verdient, als sie derzeit in unserer Gesellschaft erkennbar wird. » Das sagte der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck gestern in seiner Rede zum  50. Gründungsjubiläum des Wettbewerbs ‘Jugend musiziert’. Die Aussage kommt wie gerufen in einer Zeit als Bildungspolitiker in der Bundesrepublik versuchen, den Musikunterricht in den Schulen abzuschaffen.

Hier die ganze Rede von Gauck:

Fünfzig Jahre « Jugend musiziert » – ein halbes Jahrhundert Wettbewerbskultur: Lässt sich das umrechnen in Notenblätter, Übungsstunden, Konzertminuten oder Glücksmomente? Es müssen viele Tausende gewesen sein! Vor Ihnen steht zwar kein Musiker, aber ein Mensch, der kostbare Augenblicke der Musik erleben durfte und diesem Kulturgut in all seiner Vielfalt eine Zukunft wünscht – mit immer neuen Generationen auf der Bühne und im Publikum.

Kein Zweifel: « Jugend musiziert » war und ist ein kultureller Glücksfall für unser Land. Am Anfang stand das klare Projektziel, Nachwuchs für deutsche Orchester und Chöre zu sichern. Heute erleben wir den Wettbewerb als bundesweite Begegnung und zugleich als Startpunkt für musikalische Laufbahnen, die häufig sogar bis in die berühmtesten Konzerthallen der Welt führen. « Jugend musiziert » ist damit in doppelter Hinsicht zum Erfolgsmodell geworden – für unsere Breiten- wie für unsere Hochkultur. Ich bin ein großer Anhänger des Gedankens, diese beiden Konzepte nicht gegeneinander auszuspielen, sondern als zwei Seiten einer Medaille zu verstehen. « Jugend musiziert » – von seinen Regionalausscheiden bis hin zu den hochkarätigen Konzerten der Bundespreisträger – liefert anschauliche Beispiele dafür. Wer Kunst in der Breite fördert, der findet auch immer wieder Spitzentalente.

Ich sage es gern noch einmal als Bestärkung für alle hier im Saal, die jenseits von « Jugend musiziert » bisweilen mit schwierigen Rahmenbedingungen hadern: Musikalische Bildung in Deutschland braucht beides – Breite und Spitze.

Und musikalische Bildung hat eine höhere Wertschätzung verdient, als sie derzeit in unserer Gesellschaft erkennbar wird. Was das Erlernen eines Instruments für die emotionale Entwicklung eines Kindes bedeutet, wissen Sie alle hier im Saal – und das weit besser, als ich es je beschreiben könnte. Gerade Sie haben erlebt: In den Jugendjahren, wenn Herz und Verstand zwischen Weltschmerz und Revolution pendeln, kann Musik neue Wege eröffnen – sei es durch die Entdeckung der eigenen Fähigkeiten oder durch das Zugehörigkeitsgefühl in einer Gruppe. Im gemeinsamen Musizieren eröffnen sich Menschen ja nicht nur die Welt der Musik, der Kultur. Sie lernen, indem sie aufeinander hören, miteinander arbeiten, sich selbst alles abverlangen, eine Haltung, ja eine Lebensform der Verbundenheit miteinander, der Bezogenheit aufeinander, ohne die wir weder im privaten Leben noch im Gemeinwesen existieren könnten.

Meine Gratulation zu fünfzig Jahren « Jugend musiziert » bezieht sich also nicht nur auf die Förderung der Musikkultur, sondern sie greift weiter.

Ich gratuliere heute den Musiklehrinnen und Musiklehrern mit ihrem Gespür für Talente und ihrer unerschöpflichen Kreativität, wenn es gilt, die Spiel- oder Sangesfreude ihrer Schüler zu entwickeln und zugleich Ausdauer anzumahnen, weil große Kunst meistens ja beides braucht: Leidenschaft und Perfektion. Und ich möchte auch denen gratulieren, die sich im Umfeld des Wettbewerbs engagieren. Ohne ihre Hilfe wäre vielen jungen Musikern keine Karriere möglich gewesen.

Ich denke an die vielen ehrenamtlichen Organisatoren der Wettbewerbe, an Geldgeber und ideelle Förderer – und nicht zuletzt an die Familien der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die jedes Jahr zum Gelingen von « Jugend musiziert » beitragen. Vorhin habe ich von tausenden Glücksmomenten gesprochen – jetzt sage ich als Schirmherr: Tausend Dank!

Ganz Bellevue wird gleich zur Bühne. Ich freue mich schon seit Tagen auf unser Wandelkonzert. Als Schlösser noch Zeremonienmeister hatten, erschallte in Momenten wie diesen der Ruf: « Musik! » Mein Protokoll hat mir bestätigt, dass wir in Form und Wortwahl heute frei sind. Deshalb zum Schluss ein Zitat aus der Feder von E.T.A. Hoffmann: « Wo die Sprache aufhört, fängt die Musik an. »

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