David Philip Hefti wurde mit dem Composer Award 2023 der International Classical Music Awards (ICMA) ausgezeichnet, im Sommer war  er Composer in Residence des Zermatt Festivals. Jury-Mitglied Andrea Meuli (Musik + Theater) hat sich mit dem Komponisten unterhalten.

David Ph. Hefti
(c) Manu Theobald / Ernst von Siemens Musikstiftung

David Philip Heftis Tonsprache fasziniert mit einem weiten Spektrum an Ausdrucksmitteln. Leuchtende Klangfarben und dramatische Verdichtungen gehören ebenso dazu wie subtile und fragile Klangentwicklungen. Breit ist auch das Spektrum an Gattungen, die der Schweizer Komponist pflegt, von der Oper über grosse besetzte Orchesterwerke bis hin zur Kammermusik. Ende Mai wurde seine Ballettmusik «Ans Ende der Zeit» an der Oper Graz uraufgeführt; und im Sommer steht beim Zermatt Festival die Uraufführung eines Oktetts an, geschrieben für das Scharoun Ensemble Berlin. Zum Gespräch trafen wir David Philip Hefti anlässlich der diesjährigen ICMA-Award-Gala im polnischen Wroclaw, dem früheren Breslau.

David Philip Hefti, wie einsam ist ein Komponist?
Ein Komponist ist die meiste Zeit seines Lebens sehr einsam, weil er sie in seinem «Elfenbeinturm» verbringt. Darum geniesse ich es jeweils so sehr, sobald ein Stück fertig geschrieben ist, auf die Interpretinnen und Interpreten zuzugehen, allenfalls gemeinsam zu proben und natürlich die Aufführung zu erleben. Auch das ganze Gesellschaftliche um ein Konzert herum ist mir wichtig und gehört genauso zu meiner Arbeit dazu: gemeinsam essen und trinken zu gehen. Als Individuum brauche ich diesen Ausgleich, ohne ihn würde man ganz schnell einsam. Bei mir besteht diese Gefahr allerdings auch deswegen nicht, da ich zu Hause arbeite und meine Familie mir einen guten Halt gibt. Das holt mich immer wieder auf den Boden der Realitäten zurück. Aber grundsätzlich ist das Komponieren tatsächlich ein ausgesprochen einsamer Beruf.

David Philip Hefti beim ICMA Award
(c) Karol Sokolowski

Was hat Sie dazu bewogen, ein Komponistenleben zu wagen?
Das ist eine gute Frage. Es hat sich bei mir eigentlich alles recht organisch entwickelt. Schon als Jugendlicher, noch vor meinem Abitur, war ich Jungstudent an der Musikhochschule in Winterthur. Ich habe immer gleichzeitig ein Instrument – in meinem Fall Klarinette – sowie Dirigieren und Komponieren studiert. Meine Eltern haben diesen Weg immer unterstützt, ihnen war bloss wichtig, dass ich meinen Schulabschluss absolvierte. Ohne diesen Rückhalt zu Hause wäre ich nie dahin gekommen, wo ich heute bin. Schon mit meinem Klarinettentrio spielten wir viele Konzerte in der Schweiz – und es machte unglaublich viel Spass. Ich war früh von der Musik angefixt und konnte gar nicht anders als diesen Weg einzuschlagen. Es war eine sehr einfache Entscheidung, bis hin zum Komponieren.

Komponieren bedeutet ja immer, eigene Vorstellungen umzusetzen, Ideen zu notieren. Die tatsächliche klangliche Umsetzung ist ein nächster Schritt. Wie weit entfernt von Ihrer ursprünglichen Intention erleben Sie jeweils die Uraufführungen Ihrer Werke?
Das ist einfach zu beantworten. Heute ist eine Uraufführung extrem nahe an den Klängen dran, die ich mir vorgestellt habe. Gehen wir jedoch dreissig Jahre zurück, so korrespondierte das teilweise überhaupt nicht. Das war nicht die Schuld der Interpretinnen und Interpreten, sondern mein persönliches Unvermögen, hatte ich doch das Glück, immer auf unglaublich gute Musikerinnen und Musiker zählen zu können. Natürlich hatte ich im Kompositionsstudium alles gelernt, wie man Klänge aufbaut und notiert. Aber dass sie dann von den Interpreten so gespielt werden, wie ich sie in meinem Kopf hatte, baut einzig auf Erfahrung. Das hat nichts mit Wissen aus der Hochschulzeit zu tun. Im Lauf der dreissig Jahre, in denen ich nun in diesem Metier drin bin, hat sich das mehr und mehr angenähert. Klar gibt es manchmal noch die eine oder andere Überraschung, aber ich notiere alles im Bewusstsein und Wissen darum, dass die Interpreten die Notenschrift zurück übersetzen müssen. Da steckt schon eine gewisse Akribie dahinter.

Haben Sie es auch schon erlebt, dass Aufführungen durch verschiedene Interpretinnen oder Interpreten Ihre Wahrnehmung eines eigenen Werkes geweitet oder verändert haben?
Ja, das gibt es tatsächlich. Wenn ich selber dirigiere, habe ich immer das Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Daher bin ich bei einer eigenen Uraufführung vor einem Orchester relativ entspannt; viel nervöser bin ich, wenn ich im Publikum sitze und jemand anderer dirigiert. Nicht dass ich einem Interpreten oder einer Interpretin misstrauen würde – das musikalische Niveau ist ja heute derart hoch, doch Anspannung resultiert jeweils aus der Konstellation heraus, dass ich jede Kontrolle über mein Stück verliere.

Wie ist es in der Kammermusik?
In meinen Streichquartetten habe ich den Interpreten durch eine sehr genau notierte Partitur ein recht enges Korsett angezogen. Diese Stücke werden oft gespielt und verändern sich tatsächlich im Lauf der Zeit. Das findet sowohl in meinem Kopf statt, aber auch durch die Interpreten selber, welche das Stück immer wieder ein bisschen anders spielen, auch wenn sie sich genau an den Notentext halten. Das ist für mich das Interessante: Neue Musik ist genau so lebendig wie Werke aus älteren Epochen. Vor allem durch Interpretinnen und Interpreten, welche das gleiche Stück immer und immer wieder spielen. So wird ein Werk reifer, es atmet mehr und wird freier. Und das interessiert mich!

Löst wiederholtes Hören unter verschiedenen Voraussetzungen bei Ihnen als Komponist auch neue kreative Prozesse aus?
Ja, auf jeden Fall, immer wieder. Es ist für mich die grösste Inspiration, mit diesen Menschen und Künstlern zusammenzuarbeiten. Jedes Stück und jede Probe löst wieder einen Klang oder eine Idee aus.

Spielt das Publikum beim Komponieren eine Rolle, wird es mitgedacht?
Natürlich denkt man beim Komponieren immer an ein Publikum; auf irgendeinen Geschmack des Publikums zu schielen liegt mir jedoch fern. Das wäre unehrlich mir selber gegenüber. Ich kann ohnehin nur das komponieren, was ich in meinem Kopf habe oder in meinem Körper fühle. Die Klänge, die man zu Papier bringt und die dann in einem Saal erklingen, können nur jene sein, die man in sich trägt.

Gibt es einen handwerklichen Unterschied im Kompositionsprozess zwischen kammermusikalischen Strukturen und grossen orchestralen Werken?
Der Hauptunterschied liegt im Aufwand. Für Orchester zu komponieren ist aufwendiger, da es schlicht mehr instrumentale Stimmen zu notieren gibt. Wenn es um das Künstlerische geht, bleibt der Aufwand ähnlich, denn man entwickelt Ideen und Strukturen, die für ein Streichquartett oder grosses Orchester vergleichbar sein können. Für das grosse Orchester zu komponieren fällt mir interessanterweise sehr viel leichter, weil gleichsam alles möglich ist: Jede Idee lässt sich auf ganz unterschiedliche Arten umsetzen, für alles bietet sich ein sehr breites Instrumentarium an. Habe ich jedoch für die Umsetzung einer bestimmten Vorstellung nur eine Flöte und ein Fagott zur Verfügung, wird es sehr anspruchsvoll. Genau das brauche ich jedoch als Herausforderung! Deshalb liebe ich es auch sehr, kammermusikalische Werke zu schreiben. Es braucht da vielleicht mehr Handwerk, mehr Tricks, um kompositorische Ideen so umzusetzen wie man sie sich als Komponist vorstellt.

Fliessen in Ihren Kompositionsprozess auch Ideen von Interpreten oder Interpretinnen ein?
Nein, aber das hängt mit meiner Arbeitsweise zusammen. Bevor ich die erste Note komponiere, sind meine Ideen alle schon im Skizzenbuch festgehalten. Dann ziehe ich mich zurück in mein Kämmerlein und schreibe die Partitur ganz alleine, ohne Diskurs mit dem Interpreten – auch wenn ich ihn immer präsent habe, ihn gleichsam vor meinem inneren Auge sehe. Das bedeutet für mich auch eine Form der Inspiration. Zumal, da ich mich stets darum bemühe, meine Interpreten im Vorfeld sehr gut kennenzulernen.

Es gibt in der zeitgenössischen Musik ja so etwas wie eine Hardcore-Szene mit dem berühmten Elfenbeinturm fast schon als Auszeichnung. Schottet sich die sogenannte Avantgarde zu sehr ab?
Alles, was sich dogmatisch gibt, ist hermetisch abgeriegelt. Ich bin sehr glücklich, dass ich im Heute und Jetzt lebe, in einer Zeit, in der es kaum mehr eine Herrschaft von Dogmen gibt. Zumindest empfinde ich es als Komponist einer mittleren Generation so. Diese Dogmen interessieren mich schlichtweg nicht mehr. Das höre ich auch von meinen Kollegen, die das ähnlich erleben. Vielleicht gibt es noch ein paar Stätten oder Schulen, die an dogmatischen Leitlinien festzuhalten suchen. Aber mir scheint eher das Gegenteil zur Gefahr zu werden. Ich habe den Eindruck, wir bewegen uns auf ein anything goes zu. Da als junger Komponist eine eigene Klangsprache zu suchen und zu finden, stelle ich mir als sehr schwierig vor.

Schwingt da Bedenken gegenüber Beliebigkeit mit?
Beliebigkeit ist ein gutes Stichwort. Die ist mir ein Graus – und sollte auch jedem ein Graus sein. Insofern ist es gar nicht schlecht, wenn einem in jungen Jahren etwas vorgegeben wird. Man kann dann zunächst diesen Weg einschlagen und sich später entscheiden, ob es für einen gut oder schlecht, passend oder eher nicht ist. Andererseits habe ich mit einer strengen Dogmatik, die einen ein ganzes Leben verfolgt, natürlich meine Probleme. Es ist auch interessant, wie radikal sich manche Komponisten von radikalen Dogmatikern zu «weichgespülten» Tonsetzern verändert haben.

David Philip Hefti
(c) Felix Broede

Sie treten öfters auch als Dirigent auf. Aus Lust an der Sache oder als eine Absicherung gegen das Erlöschen kreativen Feuers, gegen das Ausgehen kompositorischer Ideen?
Ich liebe es zu dirigieren, und ich brauche es auch als Ausgleich zum Komponieren in der einsamen Stube. Dirigieren bietet mir die Möglichkeit, als Musiker unter Menschen zu sein. Gleichzeitig ist mir auch die Praxis wichtig, Musik aktiv zu machen. Natürlich kann man streiten, ob ein Dirigent aktiv musiziert – ich finde schon. Auf jeden Fall wäre es schlimm für mich, den Bezug zur Praxis zu verlieren, bloss noch am Schreibtisch zu sitzen und als Theoretiker zu verkümmern. Diese Gefahr würde bestehen. Daher suche ich die perfekte Balance zwischen beiden Bereichen und dirigiere auch nicht allzu oft, höchstens acht Wochen im Jahr.

Was reizt Sie als Komponist mehr: Kammermusik oder doch eher die rauschhaften Klangmöglichkeiten des Orchesters?
Ich habe als Komponist stets versucht, zwischen Kammermusik und Orchestermusik abzuwechseln. Es ist sehr viel anstrengender und bedeutet weit mehr Arbeit, eine Orchesterpartitur zu schreiben. Aber künstlerisch ist die Gedankenentwicklung, die Dramaturgie eines Werkes dann doch sehr vergleichbar und unterscheidet sich bei mir kaum zwischen Orchester- und Kammermusik. Ich liebe und brauche wohl auch diese Besetzungsunterschiede. Zwar liebe ich das Rauschhafte und das ganz grosse Orchester, auch wenn in meinen Werken nur selten Höhepunkte im vierfachen Fortissimo vorkommen (lacht). Viel wichtiger sind mir die vielfältigen Möglichkeiten, die breite Klangpalette, welche mir das Orchester bietet – am liebsten sind mir leise sich entwickelnde Klänge! Da sind wir dann schon wieder nahe der Kammermusik, die beim Komponieren nach einem sehr viel feineren Pinsel verlangt. Daher könnte ich mich nicht für eine Gattung entscheiden – ich brauche beide.

Wenn wir über Gattungen sprechen: Bisher hat Sie zweimal die Oper herausgefordert. Gibt es weitere Pläne?
Es gibt Ideen…

… wieder zu starken Frauenfiguren, wie in Ihren bisherigen Opernprojekten, «Annas Maske» und «Die Schneekönigin»?
Das ist interessant, dass Sie das ansprechen. Ich habe noch nie darüber nachgedacht, aber es fällt mir nun wie Schuppen von den Augen. Das stimmt. Konkrete Pläne gibt es noch keine, sehr wohl jedoch eine starke Idee und den Willen, eine dritte Oper zu stemmen. Darin soll es um Tagebücher einer grässlichen historischen Gestalt gehen. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen, ich bin jedoch mit der Regisseurin meiner zweiten Oper und Dramaturgen in Kontakt. Ob sich das Projekt realisieren lässt, wissen wir allerdings noch nicht.

Woran schreiben Sie gerade? Gibt es aktuelle Pläne für eine nächste Uraufführung?
Im Auftrag des Zermatt Music Festivals, dessen Composer-in-residence ich dieses Jahr sein durfte, komponierte ich ein neues Werk für das Scharoun Ensemble der Berliner Philharmoniker. Seit meiner Studienzeit, in der ich als Klarinettist Schuberts Oktett oft aufgeführt habe, ist der Wunsch da, für diese Besetzung zu komponieren. Dass ich nun ein Werk in dieser Besetzung für eines der besten Ensembles der Welt schreiben durfte, ist schlicht traumhaft! Ich freue mich daher sehr darüber, dass mein neues Oktett nach der Uraufführung in Zermatt auch im Jubiläums-Konzert zum 40-jährigen Bestehen des Scharoun Ensembles Ende September in der Berliner Philharmonie zur deutschen Erstaufführung kommen wird.

Wir sitzen hier in Wroclaw, wo Sie den Composer Award der International Classical Music Awards erhalten – was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?
Der Composer Award der ICMA ist in meinen Augen ein sehr wichtiger Preis, da es weder um verkaufte Tonträger geht, noch kann man sich dafür bewerben. Die Jury ist breit aufgestellt und in der Musikwelt herausragend, da sie aus zwanzig der renommiertesten Fachmagazine und Rundfunkstationen zusammengesetzt ist. Es handelt sich also um einen echten Kritiker-Preis. Dass die Wahl dieses Jahr auf mich gefallen ist, kann ich heute noch kaum glauben und ist mir eine Ehre. Dank der in der Jury vertretenen Medien findet der Preis auch eine enorme internationale Beachtung, was ein mehr als angenehmer Nebeneffekt ist

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