Scrollt man im Internet mal durch die Einspielungen von Johann Sebastian Bachs Schemelli-Gesangbuch überrascht die geringe Anzahl der Aufnahmen: Erscheinen diese Lieder großen Sängerinnen und Sängern vielleicht zu klein, um damit zu reüssieren? Dabei sind sie doch alles andere als gewöhnliche Choräle, sondern bei aller Schlichtheit – und gerade auch durch diese – anspruchsvolle geistliche Sololieder. Klaus Mertens hat sich ihrer bereits zweimal angenommen: 1995 veröffentlicht von jpc, wobei er sich die von Bob van Asperen (Orgel) und Wouter Möller (Viloloncello) begleiteten Lieder mit der Sopranistin Barbara Schlick teilte, sowie drei Jahre später (allerdings erst 2015 bei Teldec erschienen) zusammen mit Christoph Prégardien, Jaap ter Linden und Ton Koopman.
Mit dem niederländischen Organisten verbindet Mertens eine mittlerweile 40 Jahre währende musikalische Zusammenarbeit und Freundschaft. Zusammen haben sie unter anderem alle geistlichen Kantaten Bachs und das Vokalwerk von Dieterich Buxtehude aufgenommen. Zudem feiern Koopman und Mertens 2024 runde Geburtstage: Der Organist wird 80, der Bassbariton 75. Dass man zu solchen Anlässen reich beschenkt wird, haben sie zuvor jedoch umgekehrt und ‘verschenken’ ihrerseits eine neue Einspielung von 21 bekannten und unbekannteren Schemelli-Gesängen und Stücken aus dem zweiten Notenbuch von Anna Magdalena Bach sowie von sechs Orgelwerken. Die Reihenfolge der ausgewählten Lieder erfolgte nach musikalischen Gesichtspunkten wie verwandte Tonartenkombinationen, wobei die Interpreten auch eine subjektive Auswahl aus der Vielzahl der gedruckten Strophen trafen.
Aufgenommen wurde in der Michaëlskerk Oosterland, wo Koopman die Orgel von Jacob Engelbert Teschemacher aus der Mitte des 18. Jahrhunderts entdeckt hatte und offenbar gleich daran dachte, wie kongenial hier die Schemelli-Gesänge mit seinem Freund Klaus Mertens klingen würden. Wie Recht er damit hatte, ist jetzt auf der bei Challenge Classics erschienenen CD zu hören, deren einziges Manko ist, dass mit nur rund 61 Minuten die Speichermöglichkeit dieses Mediums nicht bis zur letzten Sekunde ausgenutzt wurde. Hier hört man Bach in einer Nähe von seltener Intimität und es ist gerade die vermeintliche Schlichtheit der Schemelli-Gesänge, die die Künstler das Große im Kleinen entdecken lässt: Die Lieder spiegeln Bachs tiefe Glaubensgewissheit. Und dazu braucht es keine Pauken und Trompeten, sondern nur eine kleine Orgel und eine ergreifende Stimme.
Klaus Mertens hat bereits unwiderlegbar bewiesen, wie er Bach als Prediger in Tönen versteht und interpretiert. Auch hier lässt er den Hörer mit unprätentiöser Stimmkultur daran teilhaben, singt von Glauben und Gottvertrauen, von Leben und Sterben. Dabei erfasst er den Charakter jedes einzelnen Liedes punktgenau: Freude und Trauer, tiefes Gottvertrauen angesichts des eigenen Schicksals. Mertens singt und erzählt. Dabei braucht die stimmliche Güte des Seniors den qualitativen Vergleich mit den früheren Aufnahmen keinesfalls zu scheuen. Im Gegenteil: Gerade hier spürt man die juvenile Frische von Mertens‘ Bassbariton und vor allem in der Höhe hat sie eine kristalline Klarheit, die vor den samtweichen Klängen der Orgel in voller Brillanz erstrahlt. Diese Stimme braucht kein Vibrato, sondern besitzt ein natürliches Schwingen, das mehr fühl- als hörbar ist.
Mertens Interpretation der Schemelli-Gesänge ist auch deshalb Referenz, weil sie die Wichtigkeit der Sprache im barocken Liedgesang dokumentiert. Mit dezenten Verzierungen, gläserner Intonation und Diktion stellt der Sänger die Botschaft in den Mittelpunkt, was durch eine perfekte Mikrofonierung noch betont wird: Orgel und Gesang sind perfekt ausbalanciert, der Hall ist auf ein Minimum reduziert. Selbstverständlich ist auch bei Klaus Mertens der Tonumfang natürlich begrenzt, doch wenn er die Melodien in die Höhe führt, scheint es keine Grenze zu geben.
Auch bei den sechs Orgelstücken, die Ton Koopman als Solist spielt (die Choralvorspiele BWV 1092, 1095, 683 und 691 sowie die Gigue aus der Pastorale BWV 590 und die c-Moll-Canzona BWV 588) hört man das Instrument vollkommen direkt, auch hier ohne den Hall des Kirchenraums. Dadurch wird die Musik vollkommen transparent, die farbige Registrierung tut ihr Übriges. Man kommt Bach dadurch unglaublich nah. Mertens hat diese CD ein „kleines Vermächtnis“ seiner langen Freundschaft mit Koopman genannt. Und für beide gilt wohl das, was der Sänger in BWV 469 – dem letzten Gesang bevor die CD nach dem rein instrumentalen Entree auch ebenso schließt – erzählt: ‘Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesulein, mein Leben, ich komme, bring und schenke dir, was du mir hast gegeben.’ Auch wir nehmen es gerne hin und lassen es uns wohl gefallen.
If one scrolls through the recordings of Johann Sebastian Bach’s Schemelli hymnal on the Internet, one is surprised by the small number of recordings: Do these songs perhaps seem too small for great singers to succeed with? Yet they are anything but ordinary chorales, but for all their simplicity – and precisely because of it – demanding sacred solo songs. Klaus Mertens has already taken them on twice: released by jpc in 1995, in which he shared the songs accompanied by Bob van Asperen (organ) and Wouter Möller (vilo cello) with the soprano Barbara Schlick, and three years later (though only released by Teldec in 2015) together with Christoph Prégardien, Jaap ter Linden and Ton Koopman.
Mertens is linked to the Dutch organist by a musical collaboration and friendship that has now lasted 40 years. Together they have recorded all of Bach’s sacred cantatas and the vocal works of Dieterich Buxtehude, among others. In addition, Koopman and Mertens will be celebrating round birthdays in 2024: the organist will be 80, the bass-baritone 75. However, the fact that one receives rich gifts on such occasions has been reversed beforehand and they, for their part, are ‘giving away’ a new recording of 21 well-known and lesser-known Schemelli songs and pieces from Anna Magdalena Bach’s second book of notes as well as six organ works. The order of the selected songs was based on musical considerations such as related key combinations, and the performers also made a subjective selection from the large number of printed verses.
The recording was made in the Michaëlskerk Oosterland, where Koopman had discovered the organ by Jacob Engelbert Teschemacher from the middle of the 18th century and apparently immediately thought of how congenial the Schemelli songs would sound here with his friend Klaus Mertens. How right he was can now be heard on the CD released by Challenge Classics, whose only shortcoming is that with only about 61 minutes the storage possibilities of this medium have not been exploited to the last second. Here one hears Bach in a closeness of rare intimacy, and it is precisely the supposed simplicity of the Schemelli songs that allows the artists to discover the great in the small: The songs reflect Bach’s deep assurance of faith. And this does not require timpani and trumpets, but only a small organ and a moving voice.
Klaus Mertens has already irrefutably proven how he understands and interprets Bach as a preacher in tones. Here, too, he lets the listener participate with unpretentious vocal culture, singing of faith and trust in God, of living and dying. In doing so, he captures the character of each song with pinpoint accuracy: joy and sadness, deep trust in God in the face of one’s own fate. Mertens sings and tells. The vocal quality of the senior does not need to shy away from a qualitative comparison with the earlier recordings. On the contrary: especially here one senses the juvenile freshness of Mertens’ bass-baritone and especially in the high register it has a crystalline clarity that shines in full brilliance before the velvety sounds of the organ. This voice needs no vibrato, but has a natural resonance that is more palpable than audible.
Merten’s interpretation of the Schemelli songs is also a reference because it documents the importance of language in baroque song singing. With subtle ornamentation, glassy intonation and diction, the singer puts the message front and center, accentuated by perfect miking: Organ and vocals are perfectly balanced, reverb is reduced to a minimum. Of course, even with Klaus Mertens, the range is naturally limited, but when he takes the melodies to the heights, there seems to be no limit.
Even in the six organ pieces that Ton Koopman plays as soloist (the chorale preludes BWV 1092, 1095, 683 and 691 as well as the Gigue from the Pastorale BWV 590 and the C minor canzona BWV 588) one hears the instrument completely directly, again without the reverberation of the church hall. This makes the music completely transparent, and the colorful registration does the rest. This brings one incredibly close to Bach. Mertens has called this CD a « small legacy » of his long friendship with Koopman. And what the singer says in BWV 469 – the last song before the CD closes after the purely instrumental entrée – probably applies to both: ‘I stand at your manger here, O Jesulein, my life, I come, bring and give you what you have given me’. We also gladly accept it and let it please us.