Claudio Abbado - Lucerne Festival Orchestra
Photo: Fred Toulet

Claudio Abbado, einer der weltweit angesehensten Dirigenten, feiert am heutigen 26. Juni seinen 80. Geburtstag. Nicht nur sein eigener Fanclub, die Abbadiani, ehren ihn bei dieser Gelegenheit. Seit seinem Debüt 1960 am Teatro alla Scala, wo er von 1968 bis 1986 als Musikdirektor arbeitete, wird er auf der ganzen Welt geschätzt. Von 1986 bis 1991 bekleidete er das Amt des Musikdirektors der Wiener Staatsoper und wurde im Jahr 1987 zum Generalmusikdirektor der Stadt Wien ernannt. 1988 gründete er das Festival ‘Wien Modern’, ein Bekenntnis zur zeitgenössischen Musik.

1966 dirigierte er zum ersten Mal die Berliner Philharmoniker, die ihn schließlich 1989 als Nachfolger von Herbert von Karajan zum Chefdirigenten und künstlerischen Leiter des Orchesters wählten. 1994 wurde Claudio Abbado zum künstlerischen Leiter der Salzburger Osterfestspiele berufen. Hier erweiterte er die Reihe der Opernproduktionen und Symphoniekonzerte um einen zeitgenössischen Kammermusikzyklus, einen Kompositionspreis sowie um einen Literaturpreis.

Abbado erkrankte 2000 an Krebs, den er jedoch besiegte. 2002 nahm er seinen 1998 angekündigten Abschied von den Berliner Philharmonikern. Danach arbeitete er vorwiegend mit Orchestern, die er selber gegründet oder mit initiiert hatte, u.a. mit dem Lucerne Festival Orchestra. Den Kern dieses Orchesters bildet das Mahler Chamber Orchestra, das Abbado 1997 mit früheren Mitgliedern des Gustav Mahler Jugendorchesters gegründet hatte. Auch das Mahler Jugendorchester war seine Schöpfung: er hatte dieses Orchester 1986 gegründet, nachdem er 1978 bereits das ‘European Community Youth Orchestra’ ins Leben gerufen hatte. 2004 schließlich gründete er das Orchestra Mozart in Bologna.

Abbado hat in seiner langen Karriere zahllose Aufnahmen gemacht. Zu seinen größten Einspielungen zählen die frühen Aufnahmen mit Musik des XX. Jahrhunderts mit dem London Symphony Orchestra bei DG, die DG-Zauberflöte mit Dorothea Röschmann und Christoph Strehl, viele seiner Einspielungen mit dem Orchestra Mozart und darunter vor allem die Werke Mozarts. Die für mich unvergesslichsten Tonträger mit Abbado-Interpretationen gibt es aber auf Videodisc. Rossinis ‘Barbiere di Siviglia’ etwa mit Hermann Prey sowie den Zyklus der Beethoven-Symphonien mit den Berliner Philharmonikern bei EuroArts, der in jedem Fall besser, weil spannender, schlüssiger, kohärenter und aussagekräftiger klingt als die CD-Produktionen. Der Jubel, der Claudio Abbado nach jeder dieser Beethoven-Symphonien entgegenbrandet, ist tief empfunden. Er äußert das Glück von Musikfreunden, bei ganz außergewöhnlichen Sternstunden musikalischer Aufführung dabei gewesen zu sein.

Es sind im besten Sinn klassische Interpretationen, die ohne historisches Brimborium immergültig sind. Abbado braucht kein historisches Ensemble, sondern halt eben nur ein gutes, modernes Orchester, um falsches Pathos und Grandeur zu vermeiden, um Beethoven wahres Leben einzuhauchen.

Diese Interpretationen sind nach Abbados Krebserkrankung entstanden, und das, was er in all den schlimmen Monaten durchmachen musste, äußert sich in einer abgeklärten, aber von neuem Lebensmut getränkten Sicht auf diese Werke. Meine Lieblings-DVD mit Abbado ist die Aufnahme der Neunten Symphonie von Gustav Mahler mit dem Gustav Mahler Jugendorchester. Wer sich diese DVD ansieht und -hört,  taucht in ein Klangmeer ein! 100 junge Musiker geben ihr Bestes, stellen ihr ganzes Können, ihr totales Engagement in den Dienst der Musik, um unter des großen Abbados Leitung Mahlers Musik in glühendster Weise umzusetzen. So kam eine phänomenale Neunte Mahler zustande, brillant gespielt, sehr gut aufgenommen und sogar gut gefilmt.

Claudio Abbado ist überall im Orchester, mit seinen Gesten, mit seinen  Blicken, mit seinen Gesichtsbewegungen. Er setzt so im Orchester eine ungeheure Energetik frei, rhythmisch, klanglich, mit einer faszinierenden Spontaneität und mit packenden Kontrasten. Ich habe in dieser Symphonie selten soviel Musik gehört wie in diesem Live-Mitschnitt. Abbados analytische Akribie und die Disposition der jungen Musiker machen vieles hörbar, was sonst so deutlich nicht wird. Und gerade diese Intensität bringt in der Burleske auch das Dämonische heraus, so als sei da ein ganzer Hexenkessel voller Teufel versammelt, die der Welt eine lange Nase machen. Und genau so sicher treffen der Dirigent und sein Orchester im Adagio ins Tiefste der Empfindung, um Mahlers Abschied mit viel innerer Ruhe bewegend auszubreiten. Wenn im Sal die Lichter ausgehen und die Musik völlig abgeklärt erstirbt, dann ist auch das Stadium der Transzendenz erreicht, die man hier nicht unbedingt erwartet hatte. Erst eine Minute, 60 lange Sekunden nach dem letzten Ton setzt der Beifall im Saal ein. Das sagt wohl genug aus über die Ergriffenheit des Publikums.

Wer nicht nur mit Musik in Abbados Welt eindringen will, kann das mit dem Film ‘Claudio Abbado – Hearing the Silence’ von Paul Smaczny tun, den es bei Arthaus Musik gibt.

Er sei heute leidenschaftlicher, emotionaler als früher, sagt Claudio im Film. Seine Art, Musik zu vermitteln sei intensiver geworden nach seiner Krebsoperation, die ihn offensichtlich verjüngt habe, sagen Musiker. Die Operation habe ihm eine neue Kraft gegeben, meint Bruno Ganz, dessen ungewöhnlich gute  Analyse des Wesens und des Wirkens Claudio Abbados ein Kernstück der biographischen Skizzen von Paul Smczny sind, der sich übrigens seine Gesprächspartner sehr gute ausgesucht hat: Daniel Harding, Albrecht Mayer, Wolfram Christ und Kolja Blacher, neben Claudio Abbado selber. In diesem Film, der keine gewöhnliche Biographie ist – vieles bleibt ausgeklammert, so wie Abbado auch beim Dirigieren vieles ausklammert, um seinem Ideal von Schönheit und Ergriffenheit zu huldigen. Smaczny konzentriert sich auf das Wesentliche, er zeigt das Mysterium Abbado in seiner ganzen spirituellen Größe. Er zeigt Musik im höchsten Stadium der Reinheit. Und genau das ist das Wesen Abbados.

P.S. Mein Kollege Martin Hoffmeister hat für den MDR eine Sendung mit vielen O-Tönen über Abbado produziert. Unter diesem Link steht sie im Internet zum Hören bereit: http://www.mdr.de/mdr-figaro/musik/abbado100.html

 

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