Ludwig van Beethoven: Klavierkonzert Nr. 1; Frédéric Chopin: Klavierkonzert Nr. 1 + 14 Walzer; Bella Davidovich, Klavier, Moscow Philharmonic Orchestra, Moscow Radio Symphony Orchestra, Arvid Jansons; 2 CDs Melodiya MELCD1002584; Aufnahme 1960-1963, Veröffentlichung 08/2019 (122'25) – Rezension von Remy Franck

1949 teilte sich die aus Baku stammende Pianistin Bella Davidovich (angeblich auf Druck der Sowjets) den Ersten Preis beim internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau mit der Polin Halina Czerny-Stefanska. Und Chopin blieb in der langen Karriere der Künstlerin ein wichtiger Komponist. Das russische Label Melodiya hat drei Aufnahmen zusammengestellt, die Davidovich in den 1960er-Jahren noch in der Sowjetunion einspielte, also lange bevor sie ihrem Sohn, dem Geiger Dmitry Sitkovetsky, in die Vereinigten Staaten folgte und die amerikanische Nationalität annahm.

Zunächst ist sie in Beethovens Erstem Klavierkonzert zu hören, ein Werk, das die 1928 geborene Pianistin 1939, im Alter von 10 Jahren, schon im Konzert spielte. Arvid Jansons (der Vater von Mariss Jansons) dirigiert den ersten Satz mit kräftiger Akzentuierung, also rhythmisch sehr zupackend. Die Pianistin bleibt dieser Strenge nichts schuldig und geht auch das Largo sehr klar und sachlich an. Das Rondo wird ebenfalls kräftig und fast sprunghaft akzentuiert.

Danach spielt die heute 91-jährige Pianistin Chopins Erstes Klavierkonzert. Auch in dieser Komposition dominieren extreme pianistische Klarheit und eine starke Leuchtkraft im Klang. Das Largo ist wiederum alles andere als verzärtelt, mit interessanten Akzenten und klaren, hellen Farben.

Noch mehr als die beiden Konzerte zeigen die Walzer von Chopin den starken Charakter und die Triebkraft im Spiel von Bella Davidovich. Ihre Aufnahme ist wohl das genaue Gegenteil jener von Dinu Lipatti. Sie hat sich Chopin stets zu eigen gemacht und dem polnischen Komponisten ihren ureigenen Strempel aufgedrückt.

Sie bringt eine Unmittelbarkeit, eine Kraft, ein reiches Farbenspiel und eine dynamische Vielfalt in diese Stücke, die sehr persönlich und in dieser Art wohl auch einmalig und entsprechend überraschend sind. Ihr Spiel ist gestochen scharf, die Rhythmik oft eigenwillig, genau wie das sehr spezielle Akzelerieren mit manchmal direkt aufbrausenden Akzenten. Aber durch die bereits erwähnte Spontaneität wirkt das nie recherchiert, geschweige denn manieriert. Wer die Chopin-Walzer neu entdecken will, der sollte sich unbedingt diese Aufnahme anhören, die bislang noch nie auf CD und im Westen wohl auch nie auf LP erhältlich war. Aber das verwundert auch nicht, denn als Opfer des Kalten Krieges war die Pianistin bis zu ihrer Emigration im Westen nur wenig bekannt und auch danach konnte sie sich nicht wirklich durchsetzen. Es gibt wohl Aufnahmen mit ihr, aber die wirklich markanten liegen wohl in den Archiven in Russland.

In 1949, the Baku-born pianist Bella Davidovich shared First Prize in the Chopin competition in Warsaw (allegedly under Soviet pressure) with the Polish pianist Halina Czerny-Stefanska. Chopin remained an important composer during the artist’s long career. The Russian label Melodiya has compiled three recordings that Davidovich made in the Soviet Union in the 1960s, long before she followed her son, the violinist Dmitry Sitkovetsky, to the United States and took American nationality. First, she can be heard in Beethoven’s First Piano Concerto, a work which the 1928-born pianist played in concert in 1939, at the age of 10. Arvid Jansons (the father of Mariss Jansons) conducts the first movement with powerful accentuation, i.e. very rhythmically. The pianist does not owe anything to this and also plays the Largo very clearly and objectively. The rondo is also strongly accentuated. Then, the she plays Chopin’s First Piano Concerto. And again we notice an extreme pianistic clarity and a bright luminosity. The Largo is anything but pampered, with interesting accents and clear, bright colours. Even more than the two concertos, Chopin’s waltzes show the strong character and the driving force in Bella Davidovich’s playing. Her recording is probably the exact opposite of Dinu Lipatti’s interpretation. She clearly has always made Chopin her own. She brings immediacy and strength, rich colours and a huge dynamic variety to these pieces. So, this is a very personal, probably unique and correspondingly surprising performance. Whoever wants to rediscover the Chopin waltzes should definitely listen to this recording, which has never before been available on CD and in the West probably never on LP.

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