Beethovens Welt 1799-1851 - Der Revolutionär & seine Rivalen; Streichquartette 1799 (Beethoven: Quartett F-Dur op. 18 Nr. 1; Gyrowetz: Quartett Es-Dur op. 29 Nr. 1; Haydn: Quartett H3 G-Dur op. 77 Nr. 1); Streichquartette 1806 (Boccherini: Quartett F-Dur G. 248 op. 64 Nr. 1; Hänsel: Quartett C-Dur op. 20 Nr. 3; Beethoven: Quartett C-Dur op. 59 Nr. 3); Streichquartette 1826 (Donizetti: Quartett Nr. 17 D-Dur; Beethoven: Quartett F-Dur op. 135; Schubert: Quartett d-Moll Der Tod und das Mädchen); Streichquartette 1827 / 1842 (Mendelssohn: Quartett a-Moll op. 13; Schumann: Quartett A-Dur op. 41 Nr. 3); Streichquartett 1851 (Czerny: Streichquartett 28 As-Dur); casalQuartett (Felix Froschhammer, Rachel Späth, Violine, Markus Fleck, Viola, Andreas Fleck, Violoncello); 5 CDs Solo Musica SM 283; Aufnahmen 11/2017 & 6/2018 & 01+06+08/2019; Veröffentlichung 25/09/2020 (311'52) – Rezension von Uwe Krusch

Für sein aktuelles Aufnahmeprojekt hat das casalQuartett einen etwas anderen Blick auf den Jubilar Beethoven gerichtet. Es stellt drei seiner Quartette aus seinen Schaffensphasen in den Kontext mit neun jeweils nahezu zeitgleich entstandenen Werken. Diese Bezugnahme ist dabei nicht sklavisch zu verstehen. Und die anderen Werke zeigen neben anderen Großen wie Haydn, Mendelssohn und Schubert auch unbekanntere Komponisten. In drei Fällen legen sie sogar Ersteinspielungen vor. Im Heft weisen sie tabellarisch auf rund 60 zeitgenössische Komponisten und ihre Quartette hin. Ein umfangreicher Text stellt die Gestaltungsidee auch in Worten vor. Dabei werden sehr informativ die Bezüge der Künstler zueinander ebenso beleuchtet wie die Umstände der Zeit.

Die erste CD fasst Quartette von Haydn, Gyrowetz und den Erstling von Beethoven unter dem Kompositionsjahr 1799 zusammen. Gyrowetz war zu dieser Zeit ebenso geschätzt wie Haydn und die beiden auch befreundet. So war Gyrowetz‘ Agieren in London hilfreich, um Haydn von Anfang an einen gelungenen Start zu bescheren. Mit ca. 60 Quartetten schaffte er ein ähnliches Pensum wie Haydn. Auch seine Werke zeichnen sich durch gleichberechtigte Teilhabe der vier Instrumentalisten und ausgefeilte Machart aus. Doch fehlte es ihm an Ideen, eine neue Richtung vorzugeben und damit im Gedächtnis zu bleiben.

Neben dem Quartett von Gyrowetz ist das von Peter Hänsel die zweite Ersteinspielung. Neben Boccherini und dem dritten Rasumowsky Quartett von Beethoven ergibt es die zweite CD. Während Boccherini eher durch neue Besetzungen für Quintette in Erinnerung blieb, hat Peter Hänsel eine eigene Stimme in der Nähe zu Haydn und Schubert entwickelt, in der auch Beethovens Voranschreiten nachvollzogen wurde. Diese Ausrichtung ganz auf die Musik wurde auch Beethoven erst möglich, als er sich wirtschaftlich eine so gesicherte Position verschafft hatte, dass er keine Rücksichten mehr nehmen musste. Obwohl auch andere Musiker der Zeit gut bezahlte Anstellungen oder andere Einkunftsarten, wie über Verleger hatten, mussten viele sich doch anpassen. So durfte etwa Boccherini bei Hof komponierte Werke nicht publizieren. Eine derartige Situation mindert auch den Mut zu geistiger Unabhängigkeit.

Den dritten Teil eröffnet ein Werk von Donizetti, gefolgt von Beethovens op. 135 und dem d-Moll Quartett von Schubert, also Der Tod und das Mädchen. Bei Donizetti zeigt sich ein gänzlich abweichender Stil, da er seine Kompositionen vom Akkordischen her denkt, während im mitteleuropäischen Raum, wie eben bei Beethoven durchgearbeitete Thematik und Kontrapunktisches das primäre Kompositionsziel setzen.

Die beiden letzten CDs kommen ohne ein Werk von Beethoven aus, die akustischen Bezüge bleiben davon unberührt. Zwei Kompositionen gehören zum Standardrepertoire, nämlich das in a-Moll von Mendelssohn und das Dritte von Schumann. Zu guter Letzt folgt noch eine Ersteinspielung von Carl Czerny. Die beiden, aus damaliger Lebenserwartung betrachtet, beinahe zwei Generationen später Geborenen, also Mendelssohn und Schumann, gehen eigene Wege und eröffnen daraus wieder Entwicklungen für die Zukunft. Wobei gerade auch Mendelssohn in seinem Quartett mit Blick auf Beethoven Leben, Liebe und Musik in einem Werk bindet. Wieder eine andere Vorgehensweise öffnet sich bei Schumann, der, anders als etwa der Geige spielende Mendelssohn, vom Klavier kam. Sein kurzer Ausflug in die Kammermusik mit drei Quartetten zeigt, dass ihm auch diese Umsetzung gelang. Carl Czerny bildet eine Brücke zwischen dem von ihm verehrten Beethoven und dem romantisch komponierenden Mendelssohn, wobei Czerny dem anspruchsvollen Stil für ein nur von professionellen Musikern zu spielendes Werk treu bleibt, nicht ohne Zugeständnisse an die Form des Bravour-Quartetts für den ersten Geiger zu machen. So schließt der Reigen mit einem genauso ansprechenden wie auch kunstvollen Werk.

Die in der Schweiz beheimateten Musiker des casalQuartetts, sich selbst als cQ bezeichnend, geben jeder ihrer Interpretationen ein natürliches lebendiges, sozusagen elegantes, Gepräge, das ohne Effekte auskommt und trotzdem keinen Moment Langeweile zulässt. Mit handwerklicher Meisterschaft gelingt es ihnen, ein ausgereiftes und ausgeglichenes Klangbild zu gestalten, das die Musik erblühen lässt. Das cQ hat einen ausgeprägt feinsinnigen Spielstil entwickelt. Gerade das emblematische Quartett von Schubert lebt hier von der klangschön ausformulierten Linie, nicht von scharf gerissenen Akkorden oder anderen dramatisch aufgebauschten Passagen, wie man es sonst als Ausdruck des dramatischen gedanklichen Hintergrunds oft hört. Das soll nicht bedeuten, dass Akzentuierungen und Kanten in den Werken verschwinden, aber das casalQuartett spielt auch in diesen Momenten sehr sorgfältig gestaltet und ohne Druck.

Die Zusammenstellung zeigt den Weg und das Umfeld von Beethoven und verdeutlicht, dass außer ihm nicht nur Haydn in die Zukunft dachte und komponierte. Aber allen anderen fehlte das gewisse Etwas, um die gleiche Bedeutung zu erlangen wie Beethoven. Aber es zeigt auch, dass die Verengung auf einige Große auch dazu führt, dass man auch wunderbare Musik, die weder banal noch langweilig ist, versäumen würde. Welche Bedeutung die auf den Hüllen abgebildeten Waffen haben sollen, wird nicht erläutert und ist mir auch nicht verständlich. Sollen Sie als Sinnbild für die Rivalitäten stehen, die es gar nicht gab oder sind sie einfach sinnloses kriegerisches Gepräge, das meines Erachtens hier nichts zu suchen hat? Dem Rezensenten sind auch editorische Nachlässigkeiten aufgefallen. Im Beiheft wird bei der zweiten CD fälschlich das C-Dur Quartett als erstes der Rasumowsky gewidmeten Werke ausgegeben, obwohl es üblicherweise als drittes geführt wird. Und der erste Satz findet sich bei Track 8, nicht bei Track 9. Ansonsten liegt hier eine sehr gut editierte Kassette vor, wie man es sich immer wünschen würde.

For its newest recording project, the casalQuartett has taken a slightly different look at the jubilarian Beethoven. It is setting three quartets from his most creative periods in the context of nine works written at more or less the same time. In three cases the Quartet even present premiere recordings. In the booklet the performers refer in tabular form to around 60 contemporary composers and their quartets. A comprehensive text also presents the dramaturgical idea in words. In doing so, the composers’ relations as well as the circumstances are explained in a very informative way.
The first CD brings together quartets by Gyrowetz, Haydn and the first work by Beethoven from 1799. At that time Gyrowetz was as much appreciated as Haydn and the two were friends. With about 60 quartets he managed a similar workload as Haydn. His works are also characterised by the equal participation of the four instrumentalists and a sophisticated style.
Besides the quartet of Gyrowetz, Peter Hänsel’s is the second first recording. Next to Boccherini and Beethoven’s first Rasumowsky Quartet it fills the second disc. While Boccherini was remembered more for new instrumentations for quintets, Peter Hänsel has developed his own voice close to Haydn and Schubert, very much as did Beethoven too. Beethoven became largely independent only when he had secured himself an economic position that he could act more freely.
The third part opens with a work by Donizetti, followed by Beethoven’s op. 135 and Schubert’s D minor Quartet, i.e. ‘Death and the Maiden’. Donizetti’s style is completely different, as he develops his compositions from the chordal point of view, while in the Central European region, as with Beethoven, the primary compositional objective is to work through themes and counterpoint.
The last two CDs do without a work by Beethoven, but the acoustic references remain unaffected. Two compositions belong to the standard repertoire, namely the one in A minor by Mendelssohn and the third by Schumann. Finally there is another first recording, a work by Carl Czerny. Both Mendelssohn and Schumann, who were born almost two generations later, go their own ways with new developments for the future. Czerny forms a bridge between Beethoven, whom he admires, and the Romantic composer Mendelssohn, whereby Czerny remains true to the demanding style for a work that can only be played by professional musicians, not without making concessions to the form of the brilliant Quartet for the first violinist.
The Swiss musicians of the casalQuartett, who refer to themselves as cQ, give each of their interpretations a natural, lively, so to speak, elegant character. The play without without effects and yet never allow a moment of boredom. With masterful craftsmanship they succeed in creating a mature and balanced sound that makes the music blossom. The cQ has indeed developed a distinctly subtle playing style. Schubert’s emblematic quartet in particular lives from the beautifully articulated line, not from sharply torn chords or other dramatically exaggerated passages, as is often heard. This does not mean that accents and edges disappear in the works, but the cQ plays very carefully and without pressure even in these moments.
The compilation shows the path and environment of Beethoven and makes it clear that apart from him, it was not only Haydn who thought and composed for the future. But all the others lacked that certain something to achieve the same significance as Beethoven. But it also shows that narrowing down to a few great names also means that one would forget some wonderful music that is neither banal nor boring.
The meaning of the weapons depicted on the box is not explained and I do not understand it. Are they meant to be a symbol of rivalries that did not exist or are they simply senseless warlike features that in my opinion have no place here? There is also an error in the track list, but, otherwise, we have here a very well edited box.

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