Franz Liszt/Franz Schubert: Schwanengesang; Franz Liszt: Quatre Valses oubliées; Can Cakmur, Klavier; 1 SACD BIS 2530; Aufnahme 01/2020, Veröffentlichung 02/10/2020 (80') - Rezension von Remy Franck

Die letzten Lieder Schuberts wurden nicht von ihm selbst, sondern von seinem Verleger Haslinger als Schwanengesang zu einem Zyklus zusammengefügt. Zwischen der Poesie Rellstabs und den unbeschreiblichen Gedichten von Heinrich Heine liegen Welten, einerseits die Einfachheit der Rellstab-Lieder, andererseits die Tiefgründigkeit der Heine-Vertonungen, die als « weitere Schritte ans Ende der Nacht » bezeichnet wurden.

Can Cakmur ist einer der wenigen Künstler, die den vollständigen Zyklus in der Bearbeitung von Franz Liszt aufgenommen haben. Er spielt ihn nicht in der von Liszt neu geordneten Reihenfolge und auch nicht in der originalen Abfolge des Liederzyklus, sondern in einer selber konzipierten Reihenfolge, die durchaus Sinn macht. Er benutzt dafür einen exzellenten, klanglich sehr breit angelegten Shigeru Kawai Flügel, der seinem Spiel mit perfekter Balance und großer Dynamik entgegenkommt.

Was Ausdrucksreichtum, Differenzierung und Subtilität der Klangfarben angeht, ist die von Ernsthaftigkeit geprägte Interpretation, das sei vorab gesagt, herausragend. Der Pianist kann jedes Lied mit unerhörter Spontaneität bis ins Innerste ausloten, jedem Stück seine ganz charakteristische Atmosphäre geben und alle, auch die feinsten Nuancen, gedanklich und musikalisch genauestens abwägen. Dramatische Ausbrüche (Der Doppelgänger) gelingen ihm ebenso gut wie die Darstellung intimer Intensität (Ständchen).

So erlebt man natürlich vor allem in den Heine-Liedern das musikalische Seelendrama, das Schubert am Ende seines kurzen Lebens so einzigartig gestaltete, umso eindringlicher, zumal Liszt eine phänomenale Transkription gelungen ist. Can Cakmur benutzt sie nicht, wie das einige andere getan haben, um das Scheinwerferlicht auf sich zu lenken. Er bleibt sehr nahe am ursprünglichen Text, der Schubert inspirierte und den Liszt stark berücksichtigte. Dabei liegt Sentimentalismus dem jungen Pianisten fern, seine Gefühlswelt ist tief und echt.

Dort, wo von Sehnsucht die Rede ist, spürt man sogar Bitterkeit, im Ständchen auch, in einem hoch sensiblen, poetischen Spiel, das Illusionslose der Musik! Kein Wunder, denn die Tränen fließen ja ewig (Aufenthalt), aber auch an Tränen gewöhnt man sich und leidet dann stark ‘die ganze Welt der Schmerzen’ (Atlas).

Can Cakmur dringt den ganzen Zyklus über ungemein tief in die Musik ein, und es ist für den Zuhörer unmöglich, nicht von diesem Spiel ergriffen zu werden, weil dem jungen Pianisten mit seinen 23 Jahren eine vollkommene Durchdringung und Poetisierung der musikalischen Materie gelingt, nicht zuletzt auch, weil er keinen Kontrast scheut. Ein solcher gelingt ihm mit der Gegenüberstellung von einem burschikosen ‘Abschied’ (im Vergleich bringen andere Interpreten mich in diesem Stück zu schallendem Spottgelächter) und dem reflektiven ‘In der Ferne’, mit dem Wandel von vollkommener Desillusionierung zu hymnisch flehender Hoffnung.

In der Verlängerung dieser grauenvoll erbarmungslosen Liedtranskriptionen erlangen die Quatre Valses Oubliées eine besondere Bedeutung. Die in den frühen 1880er Jahren komponierten Stücke sind gewissermaßen eine Brücke zwischen dem jungen und dem reifen Liszt, weil er darin Musik aufgreift, an der er Jahre zuvor arbeitete. Daraus ergeben sich der melancholische Unterton, die reflektive Leichtigkeit, und nicht zuletzt die Rätselhaftigkeit der vier Stücke, die Cakmur in seinem hervorragenden Booklet-Text mit Michelangelos « Alles endet, was entstehet. Alles, alles rings vergehet » beschreibt. Schattenhaft und fast irreal bringen sie das Programm zu Ende, mehr Fragen aufwerfend als sie beantworten können. Kein anderer Interpret hat, um nur den letzten Walzer näher zu beschreiben, soviel Differenzierung in die Musik gebracht wie Cakmur. In fahles Licht getaucht beginnt die Komposition, wird dann mit viel innerlicher Erregung in ein viel grelleres Licht gezerrt und trunken-hypnotisch gesteigert, um mit kontinuierlich nachlassender Kraft wie eine abgelaufene Feder aufzuhören. Im Nichts der Nacht.

Schubert’s last songs were not written with the idea to form a cycle. They were reunited by his publisher Haslinger to form the cycle Schwanengesang, Swan Song. There are worlds between the poetry of Rellstab and the indescribable poems of Heinrich Heine, on the one hand the simplicity of the Rellstab songs, on the other hand the profundity of Heine’s settings, which have been described as « further steps towards the end of the night ».
Can Cakmur is one of the few artists to have recorded the complete work in the arrangement by Franz Liszt. He does not play the cycle in Liszt’s nor in the original sequence of the song cycle, but in an order he conceived himself and which makes perfect sense. He uses an excellent Shigeru Kawai grand piano with a very broad sound, which suits his playing with perfect balance and great dynamics.
As far as expressiveness, differentiation and subtlety of tone colours are concerned, the well-thought interpretation is outstanding. The pianist is able to fathom every song to its innermost depths with unheard-of spontaneity, to give each piece its own characteristic atmosphere and to weigh up all, even the finest nuances, with great mental and musical precision. Dramatic outbursts (Der Doppelgänger) are just as exciting as intimate intensity (Ständchen).
Thus, especially in the Heine songs, one experiences the drama that Schubert so uniquely created at the end of his short life, all the more hauntingly since Liszt succeeded in a phenomenal transcription. Can Cakmur does not use it to turn the spotlight on himself, as some others have done. He remains very close to the original text, which inspired Schubert and which Liszt took into account. Sentimentalism is far from the young pianist, his emotional world is deep and genuine.
Wherever there is talk of longing, one can even feel bitterness, and in the Ständchen one can also see (despite highly sensitive poetic playing) the illusionless nature of the music! No wonder, because the tears flow eternally (Aufenthalt), and one gets even used to tears and consequently suffers more strongly ‘the whole world of pain’ (Atlas).
Can Cakmur digs deeply into the music throughout the entire cycle, and it is impossible for the listener not to be moved by his playing. At 23 years of age, the young pianist succeeds in completely penetrating and poetizing the musical material, not least because he does not shy away from any contrast. For example, he succeeds in juxtaposing a tomboyish Abschied (in comparison, the banality of other performers make me laugh) and the reflective In der Ferne, with the change from complete disillusionment to hymnal pleading hope.
In the prolongation of these terribly pitiless song transcriptions, the Quatre Valses Oubliées take on a special significance. Composed in the early 1880s, the pieces are in a sense a bridge between the young and the mature Liszt, because he uses music on which he had worked years before. This is what explains the melancholic undertone, the reflective lightness, and not least the mysteriousness of the four pieces, which Cakmur describes in his excellent booklet text with Michelangelo’s « All things living soon shall perish, All things, all things that men cherish ». Shadowy and almost unreal, they bring the programme to a close, raising more questions than they can answer. No other interpreter has brought so much differentiation into the music as Cakmur. Let’s just describe the last waltz in more detail. The composition begins in pale light, is then dragged into a much brighter light with much inner excitement before drunkenly and hypnotically moving to the climax, and to end like a run-down feather with continuously decreasing strength. The music ends in the emptiness of the night.

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