Witold Lutoslawski: Konzert für Orchester + Symphonie Nr. 4 + Cellokonzert + Livre pour Orchestre + Musique funèbre à la mémoire de Bela Bartok; Karol Szymanowski: Symphonie Nr. 2; Konzert-Ouvertüre op. 12; 3 Fragmente nach Gedichten von Jan Kasprowicz op. 5; Ewa Podles, Alt, Gautier Capuçon, Cello, Polish National Radio Symphony Orchestra, Alexander Liebreich; 3 CDs  Accentus ACC 80498; Aufnahmen 2014-2016, Veröffentlichung 09/2019 (170') - Rezension von Remy Franck

Alexander Liebreich leitete von 2012 bis Juli 2019 das Nationale Radioorchester des Polnischen Rundfunks in Katowice. Auf drei CDs, die zuerst einzeln und jetzt in einer Dreier-Box veröffentlicht werden, dirigiert er ein exklusiv polnisches Programm, das dem Orchester sehr liegt.

Neben einer absolut phänomenalen, ebenso brillanten wie stimmungsvollen Aufführung des Orchesterkonzerts von Lutoslawski, einer höchst attraktiven Komposition in der Nachfolge des Bartok-Konzerts, erklingen auf der ersten CD die wenig bekannten ‘Drei Fragmente auf Gedichte von Kasprowicz’ von Karol Szymanowski. In ihnen erreicht Liebreich eine perfekte Balance zwischen dem Orchester und der Stimme der großartigen Altistin Ewa Podles, und bringt mit vielen Nuancen sowie packender Innenspannung dieses Werk zu nachhaltiger Wirkung. Das Spiel des Orchesters ist detail- und kontrastreich, sehr dynamisch und von stupender Klarheit.

Witold Lutoslawskis ‘Livre pour orchestre’ aus dem Jahre 1968 war in der Zeit, als es entstand, ein avantgardistisches Werk, das aber keineswegs verkopft klingt, sondern hoch expressiv. Es zeugt zudem von einem ungewöhnlichen Klangraffinement. Alexander Liebreich sitzt hier am Voltmeter, um meisterhaft die Spannung zu dosieren und aus dem Werk eine quasi ätherische Musik zu machen: der Hörer fühlt sich fast schwerelos inmitten von Klangwolken.

Die 1958 vollendete ‘Musique funèbre à la mémoire de Béla Bartók’ holt uns zurück auf Erden, und Liebreich findet hundertprozentig den richtigen Ton. Es ist nichts zu viel und nichts zu wenig. Nur einfach tief ergreifend.

Die in den Jahren 1988 bis 1992 entstandene Vierte (und letzte) Symphonie des Polen Witold Lutoslawski ist ein komplexes Orchesterwerk. Um sie zur Wirkung zu bringen, braucht es einen Dirigenten mit einer starken Hand und einem soliden Atem. Alexander Liebreich hat beides und gestaltet das einsätzige Werk so spannungsvoll, dass die facettenreiche Musik einen wirklich fesselt. Nach dem mysteriösen, verhaltenen Beginn nimmt der Dirigent den Hörer gewissermaßen bei der Hand, damit er in einer ungemein sprechenden Darbietung die Komplexität des Werks voll erleben kann. Eine beeindruckende Interpretation! Die hervorragenden Musiker und Solisten des Nationalen Polnischen Radio-Symphonieorchesters sind Liebreich dabei eine gute Stütze.

Von dem Mstislav Rostropovich gewidmeten und von ihm 1970 in London uraufgeführten Cellokonzert haben manche Kommentatoren gesagt, es stelle die Repression im ehemaligen Ostblock in den Mittelpunkt. Provoziert wurden solche Feststellungen durch die konfliktgeladene Auseinandersetzung zwischen dem Solinstrument und dem Orchester. Lutoslawski hat die politische Tragweite zwar bestritten, aber Fakt ist, dass wir es in diesem ungemein dramatischen, mehr noch, regelrecht dramaturgisch aufgebauten Werk mit einer wie auch immer zu interpretierenden Jagd auf ein verletzbares Individuum zu tun haben.

Auch dieses konfliktreiche Werk liegt bei Liebreich in guten Händen, während der Cellist Gautier Capuçon seinem guten Ruf alle Ehre macht: wir hören eine direkt elektrisierende und schillernde Fassung dieser Komposition.

Karol Szymanowski (1882-1937) hat seine 2. Symphonie im Jahre 1910 geschrieben: sie ist zweisätzig und enthält im 2. Satz eine Reihe von Variationen und eine abschließende Fuge. Die noch spätromantische Komposition fasziniert durch eine extrem raffinierte und reiche Tonsprache. Sie wird unter Alexander Liebreichs Leitung kraftvoll, mit viel Leuchtkraft und schillernden Farben aufgeführt. Der deutsche Dirigent rückt Szymanowskis Musik näher an jene von Richard Strauss, wodurch sie üppiger und prachtvoller klingt. Es ist schon außergewöhnlich, was die Musiker des Nationalen Polnischen Rundfunkorchesters aus Katowice an Kraft, Dynamik, Klang und Farben aufzubieten haben und das dann auch noch durchhörbar und transparent werden lassen.

Mehr noch als in den anderen Werken kommt die Akustik des neuen Konzertsaals von Katowice dieser Interpretation zugute: der Klang ist in der Breite und Tiefe räumlich und von phänomenaler Transparenz. Die Balance ist optimal und ergibt ein ungemein natürliches Klangbild. Kein Zweifel daher: dies ist eine der besten Orchesteraufnahmen mit Soloinstrument die ich kenne, klanglich kaum zu überbieten.

Eingeleitet wird das Programm mit einer äußerst vitalen und opulenten Aufnahme der Konzertouvertüre op. 12 von Karol Szymanowski.

Das Nationale Polnische Rundfunkorchester hat natürlich eine lange Erfahrung mit den hier gespielten Werken, die es auch schon mehrmals, u.a unter Antoni Wit aufgenommen hat. Die Liebreich-Interpretationen drücken diesem Orchester aber auch ganz deutlich seinen persönlichen Stempel auf, und die Musiker aus Katowice zeigen, wie souverän sie von einer Werksicht zu einer anderen wechseln können, ohne ein Jota von ihrer technischen Meisterschaft abzugeben.

The ever-excellent Polish National Radio Symphony Orchestra is passionately responding to Alexander Liebreich’s inspired conducting in this appealing All-Polish program. Alexander Liebreich proves an expert of this music and gets an incredible intensity from the orchestra. In Lutoslawski’s Cello Concerto, Gautier Capuçon’s playing is no less powerful and concentrated. Ewa Podles is an excellent soloist in Szymanowski’s Three Fragments.

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