Johannes Brahms: Symphonien Nr. 1-4; Staatskapelle Berlin, Daniel Barenboim; 4 CDs Deutsche Grammophon 0289 483 5251 7; Aufnahmen 10/2017, Veröffentlichung 14/09/2018 (179') – Rezension von Remy Franck

Vier CDs mit je einer Brahms-Symphonie: Barenboim braucht etwas mehr Zeit als andere Dirigenten, um das mitzuteilen, was er in Sachen Brahms zu sagen hat. Und er hat viel zu sagen. Sein Brahms ist an den Antipoden dessen, was andere Dirigenten in den letzten Jahren gemacht haben, indem sie die Texturen aufhellten und die Musik leichter werden ließen. Hier passiert genau das Gegenteil: alles wird kräftiger, muskulöser und nachdrücklicher. Hier zählt jede Note und jede Note ist Teil des Dramas, das vor unseren Ohren inszeniert wird. Also: brauchen wir einen derart massiven, breitspurigen Brahms? Meine Antwort lesen Sie am Ende der Rezension.

Der erste Satz der Ersten Symphonie ist düster und verrät die ganze Last, mit der sich Brahms an die Arbeit gemacht hatte. Barenboim dirigiert sehr gefühlvoll und emphatisch, mit großer, bedeutsamer Geste und tiefem Atem. Packend ist auch der zweite Satz, der sehr kantabel, sehr warm und ausdrucksvoll gestaltet wird. Nach dem etwas unverbindlicheren Allegretto kommt der mächtig und wild herausfahrende, hoch dramatisch und klangvoll gestaltete Finalsatz, der damit eine insgesamt äußerst spannende und extrem nachdrückliche, ja fast opernhaft rhetorische Aufführung beendet.

Auch die Zweite Symphonie, die sonst gerne leichte und helle Pastorale, bleibt eher schwermütig und reflektiv, mit vielen unheilvollen Gedanken. Das Drama wird umso packender als immer wieder auch zarteste Stellen eine starke Aussagekraft und Bedeutung erlangen.

Die Dritte Symphonie wird in den beiden ersten Sätzen grüblerischer als bei anderen Dirigenten, das Poco Allegretto ist urgemütlich und das Allegro trotz seiner Eintrübungen insgesamt positiver und drängender.

Richtig zögernd beginnt die Vierte, der erste Satz bleibt durchgehend sehr verhalten, reflektiv, verträumt und wird erst zum Schluss dezidierter gesteigert. Das Andante wird lyrisch und stellenweise regelrecht zärtlich ausgekostet, während die beiden Schlusssätze mit viel Kraft den Brahms-Zyklus beenden.

Und jetzt die Antwort auf die eingangs gestellte Frage, ob man diesen Brahms braucht? Ich sage klar und eindeutig ‘ja’: Dieser Brahms hat eine Kraft und einen Korpus, wie man ihn sonst in post-furtwänglerischen Zeiten nicht mehr zu hören gewohnt ist. Und man mag diese tief romantische, urdeutsche Art, Brahms zu spielen als nicht mehr zeitgemäß empfinden, sie verabscheuen, aber eines wird niemand sagen können, dass diese Aufnahmen nicht in ihrer prächtigen, unmanierierten, natürlich fließenden Klanglichkeit den Körper via den Gehöreingang unter Spannung setzen. Ich für meinen Teil sage: So ein Brahms-Vollbad tut mal wieder so richtig gut.

Daniel Barenboim’s Brahms symphonies are grandiose and massive in sound, extremely rhetoric and meaningful, very different from what other conductors tried in the last years with a more light and fluid Brahms. Here you have a full Brahms bath. Try it, it’s invigorating.

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