Franz Schubert: Winterreise; Ian Bostridge, Tenor, Thomas Adès, Klavier; 1 CD Pentatone Classics PTC 518676; Aufnahme 2018, Veröffentlichung 23/08/2019 (72') – Rezension von Remy Franck

Ian Bostridges Winterreise-Film mit dem Regisseur David Alden zählt zu den größten Interpretationen von diesem Schubert-Zyklus überhaupt. Der britische Tenor hat die Winterreise allerdings schon mehrmals auch für Audio-Tonträger aufgenommen. Jetzt bringt Pentatone eine Liveaufnahme aus der Wigmore Hall heraus.

Diese Interpretation wird sicherlich auf Zustimmung und auf Widerspruch stoßen, weil Bostridge gerne zur Überbetonungen, Überakzentuierungen und Manierismen neigt, die man durchaus als unpassend empfinden kann.

Die neue CD mit der Videoaufnahme zu vergleichen macht nicht viel Sinn. Doch verglichen mit der Audioaufnahme mit Leif Ove Andsnes, zeigen sich viele Entwicklungen in der Sicht des Sängers auf diesen Zyklus.

Am auffallendsten ist wohl das Stimmmaterial an sich. Bostridges Stimme ist reicher geworden, und im unteren Bereich auch dunkler, fast schon baritonal. Das gibt dem Interpreten mehr darstellerische Möglichkeiten, mehr Farben und ein entsprechend größeres Ausdruckpotenzial, das er voll ausschöpft, um jedes wichtige Wort bedeutsam werden zu lassen. Dass die Textverständlichkeit perfekt ist, ist bei Bostridge normal.

Unterstützt von Thomas Ades, der das emotionale Gestalten voll mitträgt, gelingt Bostridge eine seltene Geschlossenheit der Musik, indem sich die einzelnen Lieder zu einem einzigen Gedankengang zusammenfügen. Der Hörer saugt dieses Bekenntnis eines jungen, verstoßenen Liebenden auf und verfolgt gebannt seinen Weg bis zum tragischen Ende.

Ian Bostridge’s Winterreise film directed by David Alden is one of the greatest performances of this Schubert cycle. Yet, the British tenor has already recorded Winterreise several times. Pentatone adds another release to the catalogue, the live recording from Wigmore Hall.
This performance will certainly meet with approval and contradiction, because Bostridge likes to overemphasize, overaccentuate which can lead to mannerisms, possibly perceived as inappropriate.
It doesn’t make much sense to compare the new CD with the video recording. But compared to the audio recording with Leif Ove Andsnes, there are many developments in the singer’s view of this cycle.
The most striking element is probably the vocal material itself. Bostridge’s voice is richer, and in the lower range also darker which allows more colours and a correspondingly greater expressive potential to make every important word meaningful.
Supported by Thomas Ades, who fully share his emotional view, Bostridge succeeds in creating a rare unity of the music by combining the individual songs into a single line of thought. Fully captivated by the music, the listener absorbs this confession of a young, rejected lover and follows his path to the tragic end.

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