Zum ersten Mal in seinem Leben hat der Cellist Julius Berger zusammen mit Margarita Höhenrieder Beethovens Cellosonaten sowie die drei Variationenzyklen eingespielt. Die Kombination zwischen den beiden, die sich in Baltimore kennenlernten 'passte' künstlerisch und die Zeit war reif. Die Coverfotos hat Julius  Berger mit seiner eigenen Leica aufgenommen, denn er ist auch ein passionierter Fotograf, der die Natur und die Berge liebt. Sich dem Werk Beethovens anzunähern, kommt für ihn einem Gipfelsturm gleich, bei dem der Berg letztlich uneinnehmbar bleibt. Für diese Einsicht hatte der Cellist im Austausch mit Stefan Pieper philosophische Argumente parat. Ebenso charakterisierte Margarita Höhenrieder ihren künstlerischen Partner in diesem musikalischen Dialog auf Augenhöhe. 

Margarita Höhenrieder & Julius Berger
(c) Klaus Satzinger-Viel

Warum war die Zeit jetzt gerade reif für eine Aufnahme?
Julius Berger: Es wäre töricht, diese gewichtigen Werke als Debut aufzunehmen.  Aber es ist auch nicht gut, damit zu lange zu warten. Mit Margarita Höhenrieder kristallisierte sich heraus, es endlich zu wagen. Beides kam zusammen: Jugendliche Frische und der Reichtum unserer Lebensjahre.
Margarita Höhenrieder: Julius und mich verbindet seit unseren Studienjahren eine tiefe Freundschaft. Richtig kennengelernt haben wir beide uns in Baltimore, da wir beide zu der gleichen Zeit ein USA-Stipendium hatten. Von da an spielten Julius und ich regelmäßig Konzerte und realisierten viele Kammermusikaufnahmen. Beethoven war für uns beide schon sehr früh, etwa seit unserem zwölften Lebensjahr unser musikalisches Zentrum. Wir haben uns viele Jahre lang intensiv mit seinem großartigen Gesamtwerk für Cello und Klavier beschäftigt und waren ständig auf der Suche nach einem Weg, nach einer Spur, dem unendlichen Beethovenschen Kosmos so authentisch wie möglich gerecht zu werden.

Herr Berger, im Begleittext zu dieser Doppel-CD haben Sie ein wunderbares Bild kreiert: Die Annäherung an Beethovens große Kunst ist wie die Bezwingung eines uneinnehmbaren Berges.
Julius Berger: Ich bin selbst passionierter Bergsteiger und will Gipfel erreichen. In der lebenslangen Beschäftigung mit Beethoven stellt man aber fest, dass uns dieser Künstler mit Unerreichbarem konfrontiert. Dieser höchste Wert von Kunst lehrt Demut und Bescheidenheit.

Was kann eine Neuaufnahme dieses Repertoires bewirken?
Julius Berger: Jede Aufnahme ist ein Schritt auf einem unendlichen Weg. Jeder Schritt auf diesem Weg ist letztlich kostbar. Deswegen brauchen wir unterschiedliche Interpretationen und ebenso eine lebendige Interpretationsgeschichte.

Wofür stehen diese fünf Sonaten und drei Variationenzyklen?
Julius Berger: Sie sind eine Quintessenz von Beethovens Lebensspanne. Die ersten beiden Sonaten bilden das Frühwerk ab. Der experimentierfreudige, junge Beethoven schafft eine neue Kammermusikgattung, eben Duowerke für Klavier und Violoncello und erreicht bei aller Genialität noch nicht die Ausgewogenheit der Instrumente. Dies zu erkennen, ist eine wichtige Aufgabe für die Interpreten. Die A-Dur-Sonate-Opus 69 in der Mitte steht singulär für sich und offenbart die vollkommene Beherrschung aller handwerklichen und geistigen Fähigkeiten, es ist ein Wunderwerk! Opus 102 ist eine Botschaft des bereits Ertaubten von tief innen, eine Reflexion des durch Krisen geschüttelten Menschen, der uns die Zuversicht auf Vollendung schenkt. Die Variationen sind alle dem Frühwerk zuzuordnen. Aus ihnen spricht eine große Wertschätzung gegenüber den Komponisten Mozart und Händel – außerdem sind sie ein Zeugnis seiner großen Klavierkunst.

In alle Schaffensepochen lebt eine große Lust, bestehende Formen weiterzudenken, und mehr Ausdruck reinzubringen.
Julius Berger: Dies ist ein herausragendes Kennzeichen Beethovens. Er ist alles andere als konventionell. Er hält sich nicht an überlieferte Formen, bricht neue Türen auf, er schafft Inspiration für kommende Generationen bis heute und darüber hinaus. Beethoven ist sich selbst verpflichtet, seinem Gewissen. Er ist ein herausragendes Beispiel für menschliche Entwicklung: Werde, der Du bist!

Gerade bei Beethoven kann das vergleichende Hören unterschiedlicher Interpretation spannend wie ein Krimi sein. Zugleich überlassen extrem genaue Vortragsbezeichnungen so wenig wie möglich dem Zufall.  Wie erklären Sie sich dieses Spannungsverhältnis?
Julius Berger: Beethoven war der erste, der unglaublich genau bezeichnet hat. Da, wo ein Crescendo steht, ist ein Crescendo gemeint. Wo keins steht, ist keines gemeint. Vieles läuft einer gewissen Natürlichkeit im Ausdruck zuwider. Es soll nicht natürlich, sondern kantig sein – vor allem im Spätwerk häufen sich Risse und Brüche. So etwas setzt sich in der Moderne fort: In der neuen Wiener Schule gibt es noch zugespitztere Vortragsbezeichnungen.

Auf was für Erfahrungen greifen Sie zurück?
Julius Berger: Ich habe viel mit Komponisten zusammengearbeitet, etwa mit Krzystof Penderecki, Sofia Gubaidulina und Wolfgang Rihm. Gerade diese Zusammenarbeit hat mir gezeigt, was Überzeugungskraft in einer Interpretation heißt. Es gibt immer sehr unterschiedliche Wege. Aber keiner dieser Wege darf sich vom Geist des Werkes entfernen. Die Vielfalt der Interpretationen macht das Bild letztlich reicher. In hoher Kunst gibt es keine Eindeutigkeit und ein Interpret kann nie alle Schichten darstellen. Je mehr Interpretationen es gibt, desto mehr Aspekte offenbaren sich.

‘Beantworten’ Sie mit Ihrem Spiel auch andere Interpretationen?
Julius Berger: Andere Interpretationen können eine interessante Inspirationsquelle sein. Aber meine primäre Quelle ist der Text an sich und meine eigenen Schlussfolgerungen daraus. Ich komme aus der Schule von Antonio Janigro, der wiederum bei Casals studierte. Da wurde uns gelehrt, so streng wie möglich mit dem Text umzugehen. Die Sprache eines Komponisten zu ergründen, ist die Aufgabe eines  jeden Interpreten. Erstrebenswert ist, dass man nicht einen Interpreten, sondern den Komponisten hört.

Frau Höhenrieder, was schätzen Sie an Julius Berger?
Margarita Höhenrieder: Julius und mich verbindet seit unseren Studienjahren eine tiefe Freundschaft. Richtig kennengelernt haben wir beide uns in Baltimore, da wir beide zu der gleichen Zeit ein USA Stipendium hatten. Von da an spielten Julius und ich regelmäßig Konzerte und realisierten viele Kammermusikaufnahmen. Beethoven war für uns beide schon sehr früh, etwa seit unserem 12. Lebensjahr unser musikalisches Zentrum. Wir haben uns viele Jahre lang intensiv mit seinem großartigen Gesamtwerk für Cello und Klavier beschäftigt und waren ständig auf der Suche nach einem Weg, nach einer Spur, dem unendlichen Beethovenschen Kosmos so authentisch wie möglich gerecht zu werden.

Herr Berger, was schätzen Sie an Ihrer Klavierpartnerin Margarita Höhenrieder?
Julius Berger: Vor allem ihre Frische und Unvoreingenommenheit. Dieses Lebendige und natürlich auch das Virtuose. Man hat einfach Freude beim Spielen. Es geht kaum um technische Aspekte, umso mehr um Substanz und Offenheit für jeden neuen Gedanken.

Margarita Höhenrieder & Julius Berger
(c) Klaus Satzinger-Viel

Wie ging Ihre gemeinsame Erarbeitung vonstatten?
Margarita Höhenrieder: Beim gemeinsamen Musizieren ist das Aufeinanderhören von grundlegender Bedeutung. Wenn Julius und ich zusammen spielen, spüre ich sehr ähnliche Schwingungen und Empfindungen, ein gemeinsames Atmen. Uns beiden ist eine möglichst authentische Interpretation immer von allergrößter Bedeutung. Wir setzten uns beispielsweise auseinander mit den Anmerkungen des Beethovenschülers Carl Czerny, wir verglichen verschiedene Ausgaben, hörten uns auch einige Aufnahmen dieser Werke zusammen an. Wir haben auf unterschiedlichen Ebenen versucht, Beethoven und seine Musik zu ergründen.

Würden Sie sagen, Sie haben mit diesem Projekt Antworten auf bestehende Fragen gefunden oder haben sich eher neue Rätsel aufgetan?
Julius Berger: Es haben sich neue Rätsel aufgetan und die Gewissheit des Ungewissen ist stärker geworden. Ich bin bei Sokrates angekommen: « Ich weiß, dass ich nichts weiß“. Das Wunder ist noch größer geworden. Die Beschäftigung mit der Musik Beethovens ist keine feste Größe, in der sich auftauchende Fragen mit ja oder nein beantworten lassen. Es handelt sich um eine  Begegnung mit dem Unendlichen.

Könnten Sie Details oder Stellen benennen, die besonders herausragend sind?
Julius Berger: Bestimmte Stellen benennen würde heißen, andere nicht zu benennen. Zugegebenermaßen bin ich in einige Passagen besonders verliebt, etwa das Teneramente im Mittelsatz der vierten Sonate. Aber davon abgesehen verdient jede Note die gleiche vollste innere Aufmerksamkeit. Es tun sind oft echte Gewissensfragen auf: Welche Aussage birgt der Quartsprung zu Beginn der ersten Sonate? So etwas kann mich tagelang beschäftigen. Ich habe in diesen Fragen schon so manch endlose Geschichte durchlitten, aber auch viel Freude empfunden. All dies sind Schritte auf einem nicht endenden Weg. Eine überzeugende Interpretation hat immer solche Wege hinter sich.

Wie widerspiegelt sich Ihre persönliche Biografie in diesen fünf Sonaten?
Julius Berger: Die Sonaten begleiten mich seit meinem zwölften Lebensjahr. Ich kann nur feststellen, dass ich immer wieder die Wirkkraft dieser Werke an mir erlebe und ich an diesen Werken wachse. Ich kann nur hoffen, dass ich dieses Wachsen noch lange erleben werde.

Frau Höhenrieder, wie hat Leon Fleisher Sie geprägt – vor allem in Bezug auf Ihr Beethoven-Verständnis?
Margarita Höhenrieder: Der Tod meines Lehrers Leon Fleisher am 2. August dieses Jahres ist für mich ein sehr schwerer Verlust und bedeutet auch das Ende einer Ära. Gerade für meine Beethoven-Interpretation gab er mir entscheidende Impulse. Sein Klavierton war wunderbar singend, sein Timing einzigartig. Er sprach oft über den richtigen Puls, den Herzschlag in der Musik, ging sehr auf den Charakter der Stücke ein. Für die ersten acht Takte im Vierten Klavierkonzert von Beethoven ließ er sich mehr als eine Stunde Zeit. Er ging den Dingen auf den Grund. Beethoven hat angeblich auch seine Schüler eine Stelle 20 Mal wiederholen lassen und soll und  gesagt haben: « Einen falschen Ton zu spielen ist nicht wichtig, aber ohne Leidenschaft zu spielen ist unverzeihlich!“ Fleisher reagierte meist allergisch auf ein motorisches Spielen ‘like a typewriter’. Er arbeitete mit seinen Studenten detailliert aus der Beethoven-Ausgabe seines Lehrers Artur Schnabel und nahm ebenfalls die Anmerkungen Carl Czernys sehr ernst. Er liebte es zu mir zu sagen: « Weißt Du, dass Du eine Urururenkelschülerin von Beethoven bist? Du bist meine Schülerin, ich war Schüler von Artur Schnabel, dieser Schüler von Theodor Leschetitzky, dieser Schüler von Carl Czerny und dieser war Schüler von Beethoven.“

Was kann man dem Publikum in heutiger Zeit mit dieser Musik vermitteln?
Julius Berger: Ich denke, dass wir in einer gefährlichen Zeit leben, vor allem, seit Populismus in der Kunst Einzug gehalten hat. Beethoven ist das Gegenteil eines Populisten. Er hat sich gegen die Mächtigen der Welt gestellt und ist seinen eigenen Weg gegangen. « Wanderer, es gibt keinen Weg, Du musst gehen“ –  dieses Wort, das Luigi Nono, Gidon Kremer und so viele mehr, auch mich, geprägt hat, passt auf Beethoven und ist eine Mahnung an jeden Interpreten, seinen eigenen Weg zu gehen. Beethoven lehrt uns: Gehe Deiner inneren Überzeugung nach und hechele nicht den opportunen Wellen und Zeiterscheinungen nach. Schaue in Dich!
Ich verstehe Leonard Bernstein gut, wie er anlässlich der Wiedervereinigung Deutschlands das Wort « Freude“ in Beethovens 9. Symphonie in « Freiheit“ umgedichtet hat – das entspricht dem Geist Beethovens!

 Zur Pizzicato-Rezension geht es mit dieem Link.

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