Seit Katharina Wagner und Christian Thielemann an der Spitze der ‘Bayreuther Festspiele’ stehen, hat das sängerische, musikalische und szenische Niveau deutlich zugenommen. Die Produktionen wirken ausgereifter, die Rollen überlegter und somit besser besetzt, meint Alain Steffen, der sich für Pizzicato einige Aufführungen angesehen hat.

Katharina Wagners Inszenierung von ‘Tristan und Isolde’ hat in diesem Jahr noch an Konsequenz und Intensität zugelegt. Die Wagner-Urenkelin liest den Text sehr genau und geht ihn mit psychoanalytischem Feingefühl an, so dass die Personen und ihre Beziehungen zueinander aus einer anderen Perspektive belichtet werden und plötzlich in einem ganz neuen Licht erscheinen.  Allerdings bleiben zwei Schwachpunkte auszumachen. Die Folterinstrumente des zweiten Aktes wirken eher peinlich als zwingend und bleiben insgesamt sehr assoziationsarm und demnach unbedrohlich. Am Schlusskampf des dritten  Aktes sind so manche Regisseure gescheitert. Auch Katharina Wagner, die die Szene sehr statisch inszeniert, findet keine wirklich überzeugende Lösung.

Musikalisch wird der Zuhörer regelrecht verwöhnt. Christian Thielemann – und das hatte man schon bei seinem ‘Lohengrin’ gemerkt – ist als Wagner-Interpret durchaus gereift. Klang sein ‘Tristan’ noch vor einigen Jahren zwar spannend, aber emotionell überladen, so dirigiert Thielemann heute quasi tiefenentspannt, folgt der Musik und erreicht gerade so eine ungeheure Innenspannung. Thielemanns Dirigat begeistert durch seine Ausgewogenheit, nirgends setzt er auf plakative Effekte sondern lässt die Musik aus sich heraus fließen. Dass er den Tristan so ‘entspannt’ angehen kann, liegt aber auch an dem Potential seiner Sänger. Stephen Gould ist ein enorm präsenter und präzise singender Heldentenor, der mit Leichtigkeit diese mörderische Partie, und das insbesondere im dritten Akt, bewältigt. Seine schier unerschöpflichen Stimmreserven erlauben es ihm, auch die gefährlichen Passagen im Fieberwahn voll auszusingen.

Ihm zur Seite eine Isolde von Weltrang: Petra Lang hat sich innerhalb kurzer Zeit die Isolde zu eigen gemacht und stellt sie als eine persönlichkeitsstarke, erotische Frau dar, die den langsamen psychischen Zusammenbruch bis hin zur Erstarrung glaubhaft vermittelt. Stimmlich besitzt sie alle Voraussetzungen, eine Jahrhundert-Isolde zu werden.

Auch Ian Paterson als Kurwenal begeistert durch eine stimmprächtige und schauspielerisch überzeugende Leistung. Christa Mayer gelingt es, aus dem Mauerblümchen Brangäne eine interessante Figur zu machen. Ihr herrlicher Mezzosopran steht in Sachen Qualität den Leistungen eines Gould, eines Paterson und einer Lang in nichts nach. Überragend wie immer: Der Bass Georg Zeppenfeld, diesmal als König Marke. Mit diesem Fünfergespann und Christian Thielemann am Kopf des bestens disponierten Festspielorchesters besitzt der Tristan 2018 alle Trümpfe, um in die Reihe der legendären Bayreuther Abende aufgenommen zu werden.

Barrie Koskys im Premierenjahr umjubelte Inszenierung der ‘Meistersinger von Nürnberg’ steht heuer zum zweiten Mal vor Gericht. Und muss bestehen, genauso, wie die Oper ‘Meistersinger’ Und hier nimmt Kosky kein Blatt vor den Mund. Vor dem Hintergrund einer liebenswert leichten Komödie voller wunderbarer Musik stellt er das Werk und damit Wagner auf den Prüfstand und hinterfragt deren  historische Bedeutung. Auch der Judenfrage spürt Kosky auf eher ungewöhnliche Weise nach und bringt den Zuschauer dazu, dass neben vielen Slapstick-Einlagen und wunderbarem Humor ihm auch regelmäßig das Lachen im Halse stecken bleibt. Laut Kosky ist ein Beckmesser „eine Frankenstein-Kreatur, zusammengeflickt aus allem, was Wagner hasste: Franzosen, Italiener, Kritiker, Juden. (…) Er ist ein Dieb, er ist gierig, er ist unfähig zu lieben, unfähig, wahre Kunst zu verstehen, er raubt deutsche Frauen, er stiehlt deutsche Kultur, er stiehlt deutsche Musik.“ (aber hat Richard Wagner vieles davon nicht auch getan?) Und trotzdem. Beckmesser bleibt an sich eine liebenswerte, ja respektvolle Figur und ist eigentlich in jeder Aufführung  ein absoluter Publikumsliebling. Oft ist es gerade Beckmesser, der am Ende der Vorstellung den meisten Applaus erntet. Das war aber bei unserer Vorstellung vom 17. August nicht so, denn der Abend gehörte einzig und alleine Michael Volle und seiner  grandiosen Sachs-Darstellung. Seit John Tomlinson als Wotan/Wanderer in Harry Kupfers legendärem ‘Ring’ hat man auf der Bayreuther Bühne keine derartige Sängerpräsenz mehr erlebt. Mit voluminösem Ton, expressiver Gestik und einer Stimme, deren Kraft nie zu versiegen drohte, selbst nicht im zwei Stunden dauernden dritten Akt ließ er das Publikum an einer einmaligen Darbietung teilhaben.

Die Meistersinger von Nürnberg(c) Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Der Rest der Sängercrew, mit Ausnahme der blassen und (von der Regie gewollt) deutlich zu reifen Eva von Emily Magee, bewegte sich ebenfalls auf Topniveau. Johannes Martin Kränzle war ein herrlicher Beckmesser, Klaus Florian Vogt begeisterte wie immer mit seinem sehr leichten, jugendlichen Tenor und seinem stil- und geschmackvollen Gesang, Daniel Behle war ein sehr männlicher David mit unheimlich viel St(r)ahlkraft in der Stimme, Wiebke Lehmkuhl die wohl beste Magdalena der letzten Jahrzehnte und Günther Groissböck ein stimmgewaltiger Veit Pogner. Philippe Jordan dirigierte das Festspielorchester mit leichter Hand, wunderbarer Durchsichtigkeit und war mit seinem sängerfreundlichen Dirigat dem Ensemble eine wirkliche Stütze. Der Festspielchor unter Eberhard Friedrichs Einstudierung wie immer ein pures Erlebnis.

Dass Placido Domingo in diesem Sommer dreimal die Walküre (aus dem umstrittenen und bereits ausrangiertem  Castorf-Ring) dirigieren durfte, damit haben sich weder die Festspiele selbst, noch der Dirigent selber einen Dienst getan. Der wohl gewollte Marketingkunstgriff ging eher nach hinten los, denn was Domingo sich im Orchestergraben leistete, das war in keinem Moment festspielwürdig. Bestenfalls  gab es einige Momente, die nicht störten, wie beispielsweise die erste Hälfte des ersten Aktes oder auch große Teile des zweiten, aber Domingos breiige Tempi ließen kaum Dynamik aufkommen. Schlimm der hinkend daherkommende ‘Walkürenritt’ und der komplett nichtssagende ‘Wotan-Abschied’ mit einem absolut ausdrucksarmen ‘Feuerzauber’. Das Orchester selbst spielte so gut, wie Domingo es zuließ, aber nirgends gab es Akzente, nirgends gab es wirkliche Innenspannung und nirgends gab es einen transparenten, dynamischen Orchesterklang. Dass die meisten Sänger dann streckenweise hinter den Erwartungen zurückblieben, ist einzig und alleine Domingos Dirigat anzulasten. Stephen Gould, ein veritabler (schauspielerisch allerdings behäbiger)nHeldentenor, passte sich leider uneingeschränkt Domingos langsamen Tempi an, sang mit beeindruckendem Durchhaltevermögen, verpasste es aber, mit einer  expressiven  Darstellung glänzen zu können, die man sich eigentlich erwartet hätte. Auch die stimmgewaltige Brünnhilde von Catherine Foster konnte ihr Talent nicht hundertprozentig ausschöpfen. Genauso wenig der stimmlich sehr attraktive John Lundgren als Wotan, der mit seinem schönen und eher hellen Bariton an sich eine Idealbesetzung des Göttervaters ist. Dass Domingo, der Sänger, einfach nicht merkte, dass seine langsamen und spannungsarmen Tempi die Sänger immer wieder verhungern ließen, war schon irgendwie erschreckend.

Maria Prudenskaya sang eine überzeugende und persönlichkeitsstarke Fricka mit einer an sich sehr schönen Stimme, die nichts mit den  keifenden Darstellungen gemeinsam hatte, die man im der Vergangenheit hier oft erleben konnte. Tobias Kehrer als Hunding empfahl sich der Festspieldirektion und dem Publikum mit souveränem, sauberen und immer sicheren Gesang sowie einer gesunden und herrlich voll klingenden Stimme. Die einzige Sängerin, die sich scheinbar nicht um Domingos Dirigat kümmerte  und somit erfolgreich gegen die orchestrale Langeweile ansang, war Anja Kampe als Sieglinde, die eine in allen Hinsichten phänomenale Leistung bot und das ansonsten exzellente Sängerensemble anführte. Am Schluss gab es einhelligen Jubel für Wotan & Co, während Domingo  die zu erwartenden und sicherlich gerechtfertigten Buhrufe über sich ergehen lassen musste.

Parsifal
(c) Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Ein weiterer Debütant im Orchestergraben war Semyon Bychkov, der in diesem Jahr erstmals den ‘Parsifal’ in der zutiefst humanistischen Auslegung von Uwe Eric Laufenberg dirigierte. Allerdings kam er mit den akustischen Verhältnissen und der Musik weitaus besser zurecht als Domingo am Vorabend. Endlich klang das Festspielorchester so, wie man es gewohnt ist, endlich waren musikalische Schönheit, Innenspannung und Transparenz wieder präsent. Bychkov dirigierte einen nahezu vollkommenen ‘Parsifal’, bei dem eigentlich alles stimmte. Die Sänger fühlten sich hörbar wohl und konnten auf dem wunderbaren Klangteppich, den Bychkov ihnen auslegte, so ziemlich alles machen, was sie wollten. Besonders davon  profitierte Andreas Schager in der Titelrolle, der mit seinem Gesang und seiner Interpretation endlich die dreißig Jahre andauernde Lücke wirklicher Parsifal-Sänger schloss, deren Ära Mitte der Achtzigerjahre mit Peter Hofmann und Siegfried Jerusalem ihr jähes Ende gefunden hatte.

Günther Groissböck war ein stimmgewaltiger, bewegender Gurnemanz und Elena Pankratova eine stimmlich imposante Kundry. Thomas J. Mayer überzeugte als gequälter Amfortas während  Derek Welton bewies, dass man die Partie des Klingsors auch singen und nicht unbedingt schreien muss. Tobias Kehrer in der kleinen Rolle des Titurel ergänzte das Solistenensemble auf höchstem Niveau. Unser Fazit: Die Bayreuther Festspiele leben wieder auf. Und es wurde auch allerhöchste Zeit.

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